Eine Stuttgarterin, die Tantra-Massagen anbietet, verklagt die Stadt wegen der geforderten Vergnügungssteuer-Abgabe. Sie will nicht mit Bordellbesitzern in einen Topf geworfen werden.

Aus den Stadtteilen: Kathrin Wesely (kay)

Stuttgart - Hinter Angeboten wie „Dakini-Ritual zu dritt“, „Prostata-“ oder „Dakini-Massage Secret Feeling“ dürften wohl die meisten Laien eine erotische Dienstleistung erwarten. Auch die Stuttgarter Stadtverwaltung ist in Fragen der Tantra-Massage offenbar nicht ganz sattelfest und hat einer Frau, die in ihrem Salon in der Innenstadt jene indisch-esoterische Massagetechnik anbietet, in die Schmuddelecke gestellt und ihr kurzerhand Vergnügungssteuer aufgebrummt.

 

Doch die 55-Jährige wehrte sich gerichtlich, mit Bordellbetreibern in einen Topf geworfen zu werden. Sie ist überzeugt, dass ihr die 840 Euro Vergnügungssteuer für zwei Monate fälschlichweise in Rechnung gestellt worden seien. Bemessungsgrundlage war die Quadratmeterzahl ihres Salons – pro Quadratmeter berechnet die Stadt 10 Euro. Das ist keinesfalls Standard: In Berlin und Hamburg zum Beispiel gibt es überhaupt keine solche „Sexsteuer“.

Ein „Zwischending“ zwischen Wellness und Sex

Wie es dazu kam, dass der Massagesalon, der seit zehn Jahren existiert, plötzlich mit der Steuer bedacht wurde, erklärte Andrea Wilbur, Mitarbeiterin der Stadtkämmerei: Bei den Haushaltsberatungen 2012/2013 hätten die Gemeinderatsfraktionen diverse Anträge zur Vergnügungssteuer gestellt, um auf diese Weise neue Einnahmequellen aufzutun. Offenbar war einer der Räte auf den Tantra-Massage-Salon gestoßen. „Da muss sonst gar kein tieferer Sinn dahinterstecken“, sagte Wilbur. Bei Preisen von 180 bis 230 Euro für eine übliche Massage könne man durchaus von „erhöhter Leistungsfähigkeit“ sprechen, und diese dürfe besteuert werden. Allerdings räumte die Juristin ein, dass es sich bei dem fraglichen Objekt um „ein Zwischending zwischen Wellness und sexueller Betätigung“ handele.

Schon gegen diese Einordnung wehrten sich die Klägerin und ihr Anwalt. Die altindische Tantra-Massage folge einem festen Ritual, dessen Ausübung sie in einem zertifizierten Ausbildungsinstitut erlernt habe. „Es geht darum, dem Menschen von Herzen und in seiner Ganzheit zu begegnen. Es darf dabei gar kein Körperteil ausgelassen werden, wenn man den ganzen Menschen im Blick hat.“ Die Behandlung sei keinesfalls auf die intimen Körperzonen fokussiert, sagte die 55-Jährige. Ein Orgasmus könne zwar stattfinden, müsse aber nicht. Interessenten, die blanken Sex wünschten, „schicken wir weg“.

Eine ölige Angelegenheit

Im Übrigen sei die Behandlung nicht immer das reine Vergnügen: Mitunter kämen Kunden auf Anraten ihres Arztes oder Psychiaters. Insbesondere Frauen haderten häufig mit der Ganzheitlichkeit der Tantra-Behandlung. „Wir leisten da sehr viel Prozessarbeit, da fließen ganz viele Tränen“, sagt die Klägerin. Wieso? „Weil wir den Kunden eine aufmerksame Zuwendung schenken, die sie sonst kaum kennen. Das berührt und überwältigt.“

Der Vorsitzende Richter wies seinerseits auf den seriösen Internetauftritt des Massagesalons hin, auf der sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter keineswegs aufreizend präsentierten. Allerdings wollte er wissen, warum es nötig sei, dass sich auch die Masseure entkleiden, wenn sie sich eines Kunden annehmen. „Wir wollen unseren Klienten möglichst auf Augenhöhe begegnen, deshalb sind wir auch kleidungsmäßig immer auf derselben Ebene. Außerdem ist die Angelegenheit ja oft auch sehr ölig“, erläuterte die Klägerin.

Die Achte Kammer des Stuttgarter Verwaltungsgerichts will heute im Lauf des Nachmittags ihre Entscheidung über die Besteuerung des Salons bekanntgeben.

Tantra: Mehr als esoterische Erotik

Neotantra
Was heute unter dem Begriff Tantra zusammengefasst wird, ist eigentlich Neotantra: Eine Bewegung, die sich in den 1960er und 1970er Jahren im Zuge der sich verändernden Sexualmoral von Indien aus in den Westen ausbreitete. Das zum Beispiel von Bhagwan Shree Rajneesh (auch bekannt als Osho) in seiner früher als Psychosekte wahrgenommenen Neo-Sannyas-Bewegung propagierte Neotrantra möchte Spiritualität und Sexualität durch Meditation verbinden. Dies bedeutet jedoch nicht einfach nur, die eigene Sexualität auszuleben. Vielmehr geht es darum, die Sexualität als positive Energie wahrzunehmen und zu sublimieren.

Massage
Die Tantra-Massagen sind heute einerseits Bestandteil der kleinen, aber lebendigen Tantra-Szene, andererseits werden sie auch als kommerzielle Dienstleistungen angeboten.

Philosophie
Ursprünglich ist das Tantra eine komplexe Erkenntnislehre innerhalb der indischen Philosophie, deren Wurzeln bis ins zweite Jahrhundert nach Christus zurückreichen.