Aufsichtsratschef Dieter Hundt hat die VfB-Clique besucht, um von Angesicht zu Angesicht zu diskutieren. Ein erstaunlich harmonischer Abend.

Chef vom Dienst: Tobias Schall (tos)

Stuttgart - Dieter Hundt ist überpünktlich. Kurz vor 18 Uhr ist es an diesem Abend, als der Aufsichtsratschef des VfB Stuttgart die Tür zu Ottos Vesperstüble öffnet. Er trägt auf seiner Mission ein dunkles Hemd, dazu eine schwarze Jeans und ist bestens vorbereitet auf den Freitagabend an diesem Ort, an dem regelmäßig ein Urteil gefällt wird von den sechs Richtern, die Henker zugleich sein können. "Ach, der Herr Hundt begibt sich in die Niederungen der Gesellschaft", frotzeln die Gäste am Eingang. Der Weg zu den Dauerkartenbesitzern in den Biergarten führt vorbei an Fandevotionalien und Zeitungsausschnitten: "Willkommen im Raubtierkäfig Vesperstüble", steht über einem Artikel, der an der Wand gerahmt ist. Gleich tritt er den Raubtieren gegenüber, die jüngst über den Mann aus Uhingen hergefallen sind.

 

"Hallo zusammen, ich freue mich, hier sein zu dürfen", sagt er dann und bestellt ein Bier. Dieter Hundt nimmt Platz auf der Bank im Biergarten des Vesperstübles, eine grüne Oase inmitten der Industrielandschaft und Gleise hinter der Schleyerhalle. Er schmeichelt den Freunden, ein Fan der Clique sei er. "Es tut mir leid, dass ich die letzte Runde so gestört habe", sagt er: "Darüber bin ich ein bisschen traurig, weil manches einfach nicht haltbar ist."

Hundt ist gekommen, um Vorurteile auszuräumen

Vor ihm liegt ein hellroter Heftordner, viel ist nicht drin, es ist eine DIN-A4-Seite, auf der manche Sätze mit Leuchtstift angestrichen sind. Dieses Blatt ist der Grund für diesen Besuch. Es ist ein Ausdruck der VfB-Clique vom 19. Mai. "Der Marionettenspieler" war die Überschrift zu diesem Artikel in der Stuttgarter Zeitung. Als Dieter Hundt den Artikel morgens las, war er, nun ja, not amused über den Vorwurf der sechs Freunde, dass er die Geschicke beim VfB leitet - und alles deshalb leidet, seit der Club auf den Hundt gekommen ist. "Er ist das große Problem", war der Tenor.

Deswegen ist er gekommen, um von Angesicht zu Angesicht zu diskutieren, und Vorurteile auszuräumen. Es ist eine PR-Tour in eigener Sache, eine Art persönliche Gegendarstellung zu den Vorwürfen. Und natürlich ist es auch Wahlkampf beim bürgerlichen, beim kritischen VfB-Fan. Die Hoheit über den Stammtisch gewinnen.

Freunde, hebt Dieter Hundt an: "Ich versichere euch, ich habe mich niemals in das operative Geschäft eingemischt. Natürlich tauschen wir uns über Themen aus, dafür ist der Aufsichtsrat da, aber was da alles rumgeistert, ist absoluter Unsinn." Aber Herr Hundt, entgegnet die Runde, "Sie wollen uns doch nicht erzählen, dass Sie keine Macht haben?" Man kennt Bilder von ihm mit der Kanzlerin, er ist Arbeitgeberpräsident einer der weltgrößten Wirtschaftsmächte - und vielleicht rührt auch daher der Glaube, dass ein derart mächtiger Mann Entscheidungen maßgeblich beeinflusst. Macht? Er lächelt: "Sie müssen mal bei mir zu Hause vorbeischauen." Gelächter am Tisch bei Bier und Weißweinschorle. Charmant ist er, der Abend läuft gut für ihn. "Natürlich diskutieren wir, aber es ist am Ende nicht so, dass der Aufsichtsrat den Daumen hebt oder senkt."

Innenansichten aus dem Verein

Aber was ist, wenn es um eine Trainerentlassung geht? "Wir sind in die Diskussion eingebunden, aber wir geben nicht das Okay. So habe ich dazu tendiert, an Markus Babbel länger festzuhalten." Und er räumt mit dem Gerücht auf, mit Christoph Daum eng verbunden zu sein. "Ich habe nicht statt Labbadia den Daum gewollt."

Dann fällt der Name Christian Gross. Der Schweizer Trainer hat einst kritisiert, dass man beim VfB in Steine statt Beine investiere - und damit Unmut ausgelöst. Dieter Hundt wird ungehalten. "Wenn der Aufsichtsrat so mächtig wäre, das sage ich ganz offen, wäre er früher gegangen." Gross habe sich im Erfolg verändert und verweist auf die bereits vereinbarte Vertragsverlängerung, die dann platzte. "Und da könnt ihr mich als Dinosaurier bezeichnen, aber wenn einer keine Handschlagqualität hat - mit dem kann ich auch nicht arbeiten."

Innenansichten aus dem Verein. "Das kriegen wir ja alles so nicht mit", sagt Jürgen. Und Thommi fügt an: "Sie argumentieren hier ja ganz hervorragend, aber..." Er macht eine kleine Pause und bereitet seine Frage vor: "Sie könnten viel Gegenwind aus den Segeln nehmen, wenn Sie einen zweiten Kandidaten zulassen würden." Dieter Hundt verweist auf die Regularien und wirbt für Gerd Mäuser. "Dass ausgerechnet Mäuser als Marionette bezeichnet wird, ist unhaltbar. Das ist ein ganz starker, fähiger Mann. Im Gegensatz zu manch anderen ist er nicht auf die Präsidentschaft angewiesen. Er ist der Einzige, der es kann."

Man setzt beim VfB weiter auf die Jugend

Manchmal wird es hitzig, vor allem dann, wenn es um eine Philosophie des Clubs geht. Dieter Hundt bleibt gelassen, vielleicht erinnert er sich an das Durcheinander in Fernsehtalkrunden bei Anne Will. "Der Verein muss die Philosophie vorgeben, nicht der Trainer", fordert Alex. "Da bin ich ganz bei ihnen, sonst will ein neuer Trainer ja auch noch zwei, drei Spieler, die nicht zu den anderen passen - und dann hat man eine nicht homogene Mannschaft", sagt Dieter Hundt. Man setze beim VfB weiter auf die Jugend, stärker, als dies vielleicht zuletzt der Fall war.

Dann gibt es von Jogi Lob für das neue Stadion, und dass alles noch dem Verein gehört. Das Problem ist immer, dass das keinen interessiert, wenn man Spiel um Spiel verliert. Hundt sagt: "Deshalb Danke dafür, dass das auch mal erwähnt wird." Irgendwann, glaubt Hundt, platzt die Blase, die andere Vereine noch am Leben hält. Um 19.24 Uhr verlässt Dieter Hundt nach einer letzten Runde Schnaps den "Raubtierkäfig", in dem halbwegs zahme Katzen saßen. Ein harmonischer Abend. "Letztlich wollen wir alle das Gleiche: das Beste für den VfB", sagt Joachim.

Jürgen rollt mit den Augen. "Da kommt der Hund schon wieder." Man wird den Hund nicht los an diesem Tag. Er setzt sich vor das Kopfende des Tisches auf den Boden und giert nach dem Schnitzel mit Pommes. Der Irish Setter eines Gastes besucht den Stammtisch. Hundstage bei der Clique. Jürgen sagt noch, dass er beruhigt wäre, wenn der VfB einen neuen, nein, keinen neuen Präsidenten, sondern, bitte schön, einen neuen Abwehrspieler habe.