Was für ein Abend: die fünf Freunde der VfB-Clique sind nach dem 1:0-Sieg der Stuttgarter beim Hamburger SV überglücklich. Dass sie trotzdem noch ein paar Haare in der Suppe finden? Keine große Überraschung!

Chef vom Dienst: Tobias Schall (tos)

Stuttgart - Männer können keine Gefühle zeigen. Emotionen sind Schwäche. Und schwach darf/kann/will die XY-Spezies nicht sein. Sagt man so. Denken viele Frauen. Ist aber Quatsch. Mann muss nur richtig stimuliert werden. Mit Siegen des VfB Stuttgart, zum Beispiel. Es ist Dienstagabend im Alten Hasen in Cannstatt, 21.50 Uhr, und das klingt dann so:

 

Jaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa!

Aus Dutzenden Kehlen. Bis zur letzten Sekunde haben sie gezetert und gezittert, jetzt die Erlösung. Der Abpfiff. Aus. Aus. Das Spiel ist aus. Die Gefühle gehen Gassi. Stimmung wie bei einer Horde 13-jähriger Mädchen bei der Eröffnung eines Primarks. Thommi und Joachim liegen sich in den Armen. Alex und Jürgen klatschen sich überm Tisch ab, dass fast die Gläser umfliegen. Jogi grölt, Thommi stimmt ein Lied an. Leidenschaft nach einem leidenschaftlichen Kampf. In Hamburg. Im Hasen. Um es mit Jürgen Klinsmann zu sagen: Das sind Gefühle, wo man schwer beschreiben kann.

Die fünf Freunde von der VfB-Clique haben sich mal wieder als Groundhopper in der Stuttgarter Kneipenszene betätigt und das Vesperstüble verlassen, um im Alten Hasen gemeinsam das VfB-Spiel in Hamburg anzuschauen. Public Viewing kommt ja aus dem Englischen, dort ist die öffentliche Aufbahrung von Toten gemeint. Was irgendwie passt angesichts so manches VfB-Trauerspiels. Und manchmal sind Totgesagte ja einfach tot, aber nun sagt Thommi berauscht: „Totgesagte leben länger.“

Jürgen gießt Wasser in den VfB-Wein

In dieser Saison war es oft zum Heulen. Beim letzten Heimspiel gegen Schalke 0:4 verließ Thommi nach 20 Minuten das Stadion, um vor den Toren nebenan beim PSV kurz alleine mit sich und seinen Gefühlen und einem Schorle zu sein. Nun sagt er: „Ich bin so froh, ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr!“ Jogi meint: „Das war brutal. Aber verdient. Ein großer Sieg für die Moral.“ Joachim sagt: „Ich bin einfach nur glücklich.“ Alex sagt: „Das war so wichtig.“ Nur Jürgen gießt nach der ersten Euphorie etwas Wasser in den Wein, mixt also bildhaft gesprochen ein Weinschorle: „Sorry, aber einen schwächeren Gegner als den HSV habe ich noch nie gesehen.“

Jürgen hatte schon vor dem Spiel offen über seine Gefühle gesprochen. Dass er befürchte, der VfB könnte im Falle eines Abstieges durchgereicht werden. „Ein Abstieg wäre auf keinen Fall ein reinigendes Gewitter für den Verein.“ Thommi glaubt ohnehin nicht an den Abstieg. Und auch Jogi vertraut der Mannschaft. Anders als Jürgen, dessen, wie Psychologen sagen würden, Frustrationstoleranzgrenze längst überschritten ist. Vor allem Christian Gentner bringt ihn in Wallung. Dazu muss man wissen, dass Jürgens zwischenmenschliche Beziehung zum Kapitän auf der Liebesskala am anderen Ende von seiner zwischenmenschlichen Beziehung zur anwesenden Petra rangiert. Jürgen hat an diesem Abend der offenen Herzen übrigens offenbart, dass er mittlerweile ganz gerne die Bayern anschaut, weil die schön spielen: „Das ist ja fast Fußballballett.“ Kein Fußball-Dillett(antismus). Wie beim VfB.

90 Minuten später ist Thommi überzeugt, dass der VfB erstmals seit September 2013 zwei Spiele in Folge gewinnt; Jogi lobt Klein und Maxim, mahnt aber an, dass „wir zu viele Bälle im Mittelfeld verlieren“; nur Joachim befürchtet, dass „wir gegen Paderborn wieder auf die Schnauze fliegen“. Und Joachims Wort hat Gewicht, er ist ein alter Hase im Geschäft. An diesem Abend feiert er Geburtstag, eine Schnapszahl, 55 ist er geworden, was er „nur noch zur Kenntnis nimmt“. Seinen Witz hat er aber noch nicht verloren: Als das Spiel am Anfang vor sich hin tölpelte, brachte er diesen tiefsinnigen Kalauer: „Heute singt für Sie . . .“ – Stille im Alten Hasen – „. . .das Niveau.“ Aber das nur nebenbei an einem Abend, wo die Gefühle keine Schweigepflicht hatten.