Die VfB-Clique weiß, worauf es im Abstiegskampf der Fußball-Bundesliga ankommt. Man muss zusammenhalten – egal wie. Doch so viele Sorgen haben sich die fünf Männer seit 39 Jahren nicht mehr machen müssen.

Stuttgart - Ausnahmsweise braucht Thommi diesmal schon vor dem Essen einen Schnaps, und zwar ganz dringend. Denn vorhin war er im Mombach-Schwimmbad. Und als er sich auf seinem roten Motorroller gerade aufmachen wollte Richtung Vesperstüble, da purzelte plötzlich ein Mann die Treppe hinunter und blieb kurzzeitig ohnmächtig und mit blutendem Kopf vor ihm liegen. Thommi zögerte nicht. Er erinnerte sich an seinen vierwöchigen Sanitäterkurs bei der Bundeswehr, brachte den Mann in die stabile Seitenlage und legte einen Druckverband an. Dann kam auch schon der Notarzt mit Blaulicht herbeigerast und übernahm.

 

Sehr aufgewühlt sitzt Thommi nun im Vesperstüble, kippt zur Beruhigung den Schnaps hinunter – und ist dann gleich wieder als Retter in der Not gefragt. Diesmal geht es um die Frage, wie sein Lieblingsverein in der ersten Bundesliga zu halten ist. Zwar scheint nach dem VfB-Sieg gegen Freiburg keine Reanimation mehr nötig – von der vollständigen Genesung aber ist der Patient auch weiterhin weit entfernt. Nicht viel besser geht es Thommi selbst. „Ich leide wie ein Hund“, keucht er, „seit 39 Jahren habe ich mir um den VfB keine so großen Sorgen mehr gemacht.“

Kein zweiter Abstieg

Damals ist Stuttgart in die zweite Liga abgestiegen. Das soll kein zweites Mal passieren. Doch wie das gelingen soll, das wissen auch die fünf Freunde von der VfB-Clique nicht so genau. Weil die Konkurrenz im  Tabellenkeller noch schwächer ist? „Braunschweig wird Achtzehnter“, sagt Jogi. „Hannover ist gerade ganz schlecht drauf“, bemerkt Jürgen. „Schluss damit!“, ruft Joachim und haut mit der flachen Hand neben den Teller voller Wurstsalat, der vor ihm auf dem Wirtshaustisch steht: „Mir ist es völlig egal, wen es am Ende erwischt – Hauptsache, es sind nicht wir. In dieser Beziehung bin ich Egoist.“

Immerhin: die Freunde sehen endlich wieder ein paar Hoffnungsschimmer am Horizont. Sie freuen sich darüber, dass Daniel Didavi zurückgekehrt ist. Und auch von Carlos Gruezo, dem Neuling aus Ecuador, sind sie durchaus angetan. Mit einigem Erstaunen jedenfalls hat nicht nur Jogi registriert, dass der 18-Jährige „gar nicht so schlecht ist, wie alle gedacht haben“. Auch die neue Begeisterungsfähigkeit des Stuttgarter Publikums könne zu einem Trumpf im Abstiegskampf werden – wenngleich Jürgen ein krasses Missverhältnis zwischen der Leistung der Spieler und jener der Fans festgestellt hat: „Was die Mannschaft für eine Unterstützung bekommt für das, was sie leistet – Hut ab!“

Den nicht vorhandenen Hut zieht auch Thommi, durch das eine oder andere Rotweinschorle wieder zu Kräften gekommen, als es um Sven Ulreich geht. „Das war Chapeau“, ruft er immer wieder und meint damit die Leistung des Torhüters beim 2:0-Sieg gegen Freiburg. Ähnlich beglückt sind die Freunde durch die jüngsten Auftritte von Ibrahima Traoré. Blöd nur, dass der kleine Wirbelwind im Sommer wechselt, zu Mönchengladbach, den kommenden Gegner. „Alles wie immer“, sagt Jürgen: „Man lässt die Leistungsträger ziehen und wird dafür irgendwelche Pfeifen holen.“

Angekommen in der Zukunft

Nun sind die Freunde also doch noch in der Zukunft angekommen, obwohl die nach Lage der Dinge völlig ungewiss ist und obwohl Jogi eben noch darauf verwiesen hat, dass es vorerst nur um das Spiel in Gladbach gehe: „Das ist das alles entscheidende in dieser Saison.“ Das findet auch Thommi. Zwar hätte auch er noch einiges anzumerken zur Zukunft des Vereins – nichts Freundliches hätte er zu sagen über den Stürmer Vedad Ibisevic und den Sportvorstand Fredi Bobic. Doch angesichts der aktuellen Notlage beißt er sich lieber auf die Zunge. „Das Tabula rasa folgt erst nach der Saison“, sagt er. Bis dahin lautet seine Devise: „Zusammenhalten, Fresse halten!“

Thommi mag vorerst nicht weiter als bis Samstag denken – schon gar nicht an das letzte und womöglich entscheidende Spiel beim FC Bayern am 10. Mai. Sein Sohn Ludwig hat an jenem Abend Abschlussball. Thommi hat bisher nicht gewagt, ihm mitzuteilen, dass er daran nicht teilnehmen kann, wenn der VfB zuvor absteigt.