Dem Verein droht wegen der unbeantworteten Präsidentenfrage ein Führungsproblem. Weiterhin ist ungewiss, welcher personelle Kurs eingeschlagen werden soll.  

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Peter Stolterfoht (sto)

Stuttgart - Wenn Bruno Labbadia sagt, dass er nur von Spiel zu Spiel denkt, hat das seinen Grund. Denn für den VfB Stuttgart und seinen Trainer dürfte jede der letzten sieben Saisonpartien richtungsweisend werden. Das ist die Ausgangslage vor dem Spiel am Samstag in Bremen (ab 15.30 Uhr bei uns im Liveticker).

 

Während die abstiegsgefährdete Mannschaft auf der Zielgeraden angelangt ist, steht der Vereinsführung offenbar ein Marathon bevor. Weil nach wie vor ungewiss ist, welcher personelle Kurs an der Spitze des operativen Geschäfts eingeschlagen werden soll, wird es in den kommenden Wochen und Monaten viele Gespräche und Verhandlungen geben. Das Ergebnis ist ebenso richtungsweisend wie die nächsten sieben Spiele.

Entscheidung vielleicht erst im Herbst

Klar erscheint wenig, am ehesten noch, dass die Ära des Präsidenten Erwin Staudt in diesem Jahr zu Ende geht. Momentan deutet nichts darauf hin, dass der frühere IBM-Chef vom Aufsichtsrat noch einmal zur Wiederwahl vorgeschlagen wird - sei es, weil Staudt nicht mehr kandidieren will oder nicht mehr kandidieren soll. Aber damit beginnt das Problem erst richtig.

Wenn Staudt nicht vorher abtritt, kann der Stabswechsel nur auf der nächsten Mitgliederversammlung erfolgen. Bei einem Abstieg würden die Einladungsschreiben dafür sehr zeitnah nach dem Saisonfinale Mitte Mai verschickt, so dass der VfB dann wenigstens relativ früh Planungssicherheit hätte - aber für die zweite Liga.

"Die Entwicklung war zuletzt glücklicherweise so, dass die Wahrscheinlichkeit steigt, unser Ziel Klassenverbleib zu erreichen", sagt der Aufsichtsratsvorsitzende Dieter Hundt. In diesem Fall wäre der Termin der Mitgliederversammlung allerdings erst viel später - wohl im September oder Oktober. Das dürfte vor allem daran liegen, dass der Aufsichtsrat dann ohne Druck den Nachfolger von Erwin Staudt suchen will. Zudem wäre es bis dahin möglich, den Präsidenten würdig zu verabschieden - im Rahmen des Länderspiels gegen Brasilien am 10.  August in der neuen Stuttgarter Arena, deren Umbau von Staudt maßgeblich vorangetrieben worden ist. Das wäre dann die passende Bühne, um auf  Wiedersehen zu sagen - aber der Preis dafür wäre hoch.

Eine ungestörte Saisonvorbereitung ist unter diesen Umständen nämlich nicht zu erwarten. Der VfB fiele sozusagen ins Sommerloch. Denn bei einer Mitgliederversammlung im Herbst zeichnet sich ein Machtvakuum ab, da Staudt nur noch ein Präsident auf Abruf ist und unklar ist, wer ihn beerben wird. Eine solche Hängepartie lähmt und führt zu Spekulationen im Verein und um den Verein herum. Unruhe wäre die Folge. Will der neue Präsident den Trainer austauschen oder den Manager oder den Buchhalter oder den Zeugwart oder die Sekretärin? Vielleicht belässt er auch alles beim Alten, aber wer soll sich angesichts dieses Schwebezustands nur auf seinen Job konzentrieren können?

Die große Planungsunsicherheit

Das sind sicher keine optimalen Voraussetzungen für die sportliche Abteilung mit Bruno Labbadia sowie den Managern Fredi Bobic und Jochen Schneider, deren Aufgabe es ist, die Vorgaben von oben umzusetzen. Die Vereinsführung hat beschlossen, dass der VfB nach dieser frustrierenden Saison nicht einfach zur Tagesordnung übergehen kann. Deshalb wird es gravierende Einschnitte in der Mannschaft geben. Eine Zäsur ist in den Augen der Chefetage unerlässlich, schon alleine aus wirtschaftlichen Gründen, weil der VfB so schnell nicht mehr international vertreten sein wird.

Einigkeit herrscht derzeit im Verein, künftig wieder ganz verstärkt auf die eigene Jugend bauen zu wollen. Diesen Stuttgarter Weg hat der Club nach Ansicht mancher Experten zuletzt etwas verlassen - ein Kritikpunkt, der auch intern bisweilen diskutiert und geteilt wird. Angesichts der Rückbesinnung auf die alten Tugenden ist der VfB nun bereit, ein oder zwei Übergangsjahre in Kauf zu nehmen, um ein Team mit Perspektive zu entwickeln.

Diese Strategie muss der neue Präsident mittragen, unabhängig davon, wie er heißt. Björn Seemann hat sich mit seinem Team bereits positioniert - im Gegensatz zur zweiten Oppositionsgruppe, der Aktion VfB 2011, die ihren Kandidaten noch nicht offiziell benannt hat. Allerdings steht diese Faninitiative in Kontakt mit dem früheren Stuttgarter Torhüter Helmut Roleder, der sich in Kürze endgültig festlegen will, ob er seinen Hut in den Ring wirft.

Keine große Palastrevolution

Ursprünglich hatten beide Kampagnen das Ziel, die Vereinssatzung dahingehend zu ändern, dass der Präsident nicht mehr vom Aufsichtsrat vorgeschlagen werden muss, sondern direkt von den Mitgliedern bestimmt werden kann. Diesem Antrag müssten auf der Versammlung jedoch zwei Drittel der anwesenden Mitglieder zustimmen - ein wenig aussichtsreiches Unterfangen. Deshalb wird es immer wahrscheinlicher, dass beide Oppositionsparteien nicht mehr wie ursprünglich angekündigt die ganz große Palastrevolution anstreben.

Die einfachere Methode ist es, die Unterstützung des Aufsichtsrats einzuholen, der ohnehin noch vier Jahre gewählt ist. Im Augenblick befinden sich die Beteiligten jedenfalls auf dem Weg der Annäherung. Aber das funktioniert nur Schritt für Schritt - wie die von Labbadia formulierte rein sportliche Ausrichtung auch. "Die Situation erfordert, dass wir weiterhin alle Konzentration darauf richten müssen, den Abstieg zu vermeiden. Alle anderen Themen behandeln wir zu gegebener Zeit", sagt Dieter Hundt.

Rückblick: Von Hinzmann bis Staudt

Rückblick
Seit dem Zusammenschluss des FV Stuttgart 93 und des Kronenclubs Cannstatt im Jahr 1912 zum VfB Stuttgart hatte der Verein insgesamt zwölf Präsidenten:

Amtszeiten
1912–1918 Wilhelm Hinzmann
1914–1918 Julius Lintz (in Vertretung)
1918–1919 Gustav Schumm
1919–1923 Egon Reichsgraf von Berlodingen
1923–1931 Adolf Deubler
1931–1932 Albert Bauer
1932–1944 Hans Kiener
1944–1968 Fritz Walter
1969–1975 Hans Weitpert
1975–2000 Gerhard Mayer-Vorfelder
2000–2003 Manfred Haas
seit 26. Juni 2003 Erwin Staudt
(StZ)