Der VfB-Trainer Jürgen Kramny muss die Leidenschaft wecken – und die Stuttgarter Mannschaft muss sie ins Stadion tragen.

Sport: Carlos Ubina (cu)

Stuttgart - Jürgen Kramny hat sich nicht zum Affen gemacht. Und nach allem, was man über den Trainer des VfB Stuttgart weiß, wird er auch heute in der Mannschaftsbesprechung kein Theater machen. So wie Huub Stevens vor einem Jahr, als der niederländische Fußballlehrer in der Woche vor dem vorletzten Spiel gegen den Hamburger SV sein berühmtes Affentheater vollführte und die Spieler beschimpfte.

 

Mittlerweile gehört Stevens’ Affennummer zu den Anekdoten, die rund um die Rettung im Mai 2015 erzählt werden. Sie soll zwar viele im Verein damals irritiert haben, sie soll aber vor allem die Spannung unter den Spielern hoch gehalten haben. Im Mai 2016 ist es jedoch so, dass die gesamte Mannschaft schon seit Wochen im Abstiegskampf unter einem kompletten Spannungsabfall leidet und selbst der Altmeister des Knurrertums schon sein ganzes Arsenal an Provokationen benötigen würde, um den VfB wiederzubeleben.

Kramny ist in der Krise jedoch Kramny geblieben. Ruhig. Selbst nach der Nacht der Schande in Bremen. Vielleicht gerade auch deshalb. Weil die Demütigung im Weserstadion den Trainer zwar erschüttert hat, sie hat ihn aber nicht dazu verleitet, in Aktionismus zu verfallen. Vor dem entscheidenden Spiel an diesem Samstag gegen den FSV Mainz 05 hat der 44-jährige Ludwigsburger eine normale Trainingswoche absolvieren lassen. Keine Sondermaßnahmen, keine Mallorca-Erinnerungen. Es ist ja kaum Zeit geblieben seit der krachenden 2:6-Niederlage gegen Werder. Die einzigen Besonderheiten waren nichts besonderes: der VfB hat nur einmal öffentlich geübt und bereits am Donnerstag im Stadion trainiert.

Ein Torwartwechsel könnte einen frischen Impuls setzen

Ansonsten hat Kramny vor allem geredet. Weniger über die Niederlage in Bremen, mehr über die Chance gegen Mainz. „Es gab viele Einzelgespräche“, sagt Kramny. Selbstvertrauen will er den Spielern dadurch wieder einflößen, „weil sie schon gezeigt haben, dass sie es können.“ Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass er durch seine Aufstellung noch einmal versucht, einen Impuls zu geben.

Ein Torwartwechsel wäre eine solche Rochade mit Signalwirkung. Der unverbrauchte Mitch Langerak für den glücklosen Przemyslaw Tyton – für viele VfB-Fans ist dies überfällig und für Kramny wohl die letzte Möglichkeit, dadurch positiv Einfluss auf seine Elf zu nehmen. „Ich rede gerne über das Spiel, aber ich rede nicht über einzelne Personen“, sagt Kramny dazu.

Er sagt es wie immer, bestimmt, aber freundlich. Doch dass er nach außen hin Ruhe ausstrahlt, hat nichts damit zu tun, dass er nicht versucht, den Tabellenvorletzten emotional zu packen. Das muss er sogar. Und damit hat der Coach noch in Bremen begonnen, als er einen Satz sagte, der in der Enttäuschung zunächst unterging und der bereits an die Spieler gerichtet war: „Man muss daran glauben.“ Am liebsten hätte Kramny gleich ein paar Ausrufezeichen dahinter gesetzt, da sich nicht nur ihm der Verdacht aufgedrängt hatte, dass nicht mehr alle im Club an den Klassenverbleib glauben.

Es geht auch um den Charakter der Mannschaft

Der Glaube an die Wende zum Guten ist jedoch die Basis für alles, was auf die Stuttgarter in dieser Saison noch zukommen kann. Rettung oder Relegation, darum geht es. Runter in Liga zwei ist kein Szenario. So bereitet Kramny die Spieler mit aller Energie vor. Er durchdenkt die Varianten, er entwickelt einen Plan, er trifft die Personalentscheidungen. Am Ende wird es vermutlich aber keine Frage der Taktik sein, die über das Auf und Ab entscheidet.

Es geht um die Kraft des Glaubens – und damit auch um den Charakter. „Es kann nicht sein, dass eine Mannschaft an diesem Spieltag den Sieg mehr will als wir“, sagt Kramny – und wird lauter, knallt mit der Faust auf den Tisch. „Das darf einfach nicht sein.“ Nicht in dieser dramatischen Situation, die in Kramny den leidenschaftlichen Kämpfer weckt. Alle seien gefordert, noch etwas mehr für den VfB zu geben. „Wir müssen mit Frische und auch Mut auftreten“, sagt der Trainer. Und: „Wir müssen das auch ins Stadion transportieren.“

Immerhin: auf seine Anhängerschaft kann sich der VfB verlassen

Das ist womöglich der letzte Trumpf der Stuttgarter – die Atmosphäre in der heimischen Arena. Denn der Blick zurück zeigt zweierlei. Erstens: auf die Mannschaft ist nicht wirklich Verlass. Zweitens: auf seine Anhängerschaft kann sich der VfB verlassen. Zusammen soll es noch einmal gehen.

„Am Montagabend nach dem Bremen-Spiel waren viele Leute am Boden zerstört, am Dienstag war es noch schlimmer“, sagt Kramny. Einen Ruck hat er dann am Mittwoch im Team gespürt, der Glaube an die eigene Stärke sei zurückgekehrt. „Zweifellos waren wir der große Verlierer des vergangenen Spieltags“, sagt Kramny, „aber jetzt wollen wir der große Gewinner des nächsten Spieltags werden.“ Großes Kino wäre das im Stuttgarter Fußballtheater.

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