Kann man ein Talent aber nicht auch zerstören, wenn man ihm zu lange keine Chance bei den Profis gibt?

Natürlich darf man einen jungen Spieler nicht unnötig zappeln lassen. Aber generell ist es heute leider so, dass der Faktor Zeit gerne außer Acht gelassen wird. Alles muss möglichst sofort passieren. Mehr Besonnenheit würde uns da manchmal gut zu Gesicht stehen.

 

Die Bayern und Dortmund haben Talente wie Thomas Müller und Mario Götze schnell ins kalte Wasser geworfen.

Wie viele Müllers oder Götzes gibt es denn? Nicht jeder ist wie sie. Das sind zwei Jahrhunderttalente, denen alle Voraussetzungen in die Wiege gelegt worden sind. Die Regel ist das nicht. Im Normalfall muss man sich alles hart erarbeiten und verdienen - und das kann nun mal etwas dauern.

Der vom VfB nach Leverkusen ausgeliehene Torwart Bernd Leno scheint ebenfalls besondere Gaben zu besitzen, was er bei Bayer bewiesen hat. Deshalb dürfte der Werksclub großes Interesse daran haben, das bis 31. Dezember befristete Leihgeschäft zumindest bis zum Saisonende auszuweiten. Hat Bayer Leverkusen da eine Chance?

Man muss immer sehen, was für alle Beteiligten das Vernünftigste ist - für die Vereine und für den Spieler. Das werden wir gegebenenfalls in Gesprächen mit den Verantwortlichen von Bayer klären.

Wie eng ist Kienle an den Profibereich mit Ihnen und dem Trainer Bruno Labbadia angebunden?

Sehr eng. Ich tausche mich mit ihm mindestens einmal pro Woche intensiv aus. Ansonsten geht das auf Zuruf. Bei Bedarf stoßen auch Bruno Labbadia und Jürgen Kramny dazu. Die Kommunikation funktioniert sehr gut. So sprechen wir die Dinge mit offenem Visier an und diskutieren darüber, wie die einzelnen Spieler vorankommen oder wo es gerade vielleicht ein Problem gibt.

Wo sehen Sie denn im Augenblick das größte Problem?

Probleme gibt es in jedem Betrieb immer einmal. Bei uns musste etwa das Talent Kevin Stöger im Juli und August mit Österreich zur U-20-WM nach Kolumbien fliegen. Dort kam er dann keine einzige Minute zum Einsatz. Als er zurückgekommen ist, hat er selbst gesagt, dass er dadurch zwei bis drei Wochen verloren hat.

An solchen Vorgängen dürfte aber auch Kienle nichts ändern können?

Das ist natürlich schwierig. Diese Geschichte zeigt, dass es in der Entwicklung eines jungen Spielers gelegentlich zu Situationen kommen kann, die nicht förderlich sind. Deshalb brauchen wir da Geduld. Wir können nichts erzwingen.

Welche Rolle spielen für Sie noch Thomas Albeck und Frieder Schrof, die vor Marc Kienle für die Jugend verantwortlich waren?

Die Aufgaben sind klar verteilt, und ich habe bisher nicht einmal ansatzweise etwas Negatives gehört. Jeder weiß, wofür er zuständig ist. Außerdem ist ohnehin jeder gewillt, alles für den VfB Stuttgart zu geben und sich in den Dienst des Vereins zu stellen. Thomas Albeck und Frieder Schrof haben einen riesigen Erfahrungsschatz und den gleichen Anspruch wie wir alle - dass wir nämlich möglichst viele Spieler in die Bundesliga bringen.

Dazu passt, dass im Sommer gleich neun Talente einen Profivertrag erhielten. Wer ist am weitesten?

Wir haben diese Entscheidung nicht zufällig getroffen, sondern aus Überzeugung. Alle haben das Zeug, ihr Ziel zu erreichen. Das trauen wir ihnen zu - wenn vielleicht auch nicht gleich heute oder morgen.

Die Frage lautet allerdings, ob alle bis übermorgen warten.

Letztlich muss das jeder selber wissen. Aber ich bin einst auch nicht als Jungspund in die Bundesliga gekommen, sondern mit 22 Jahren. Hat es mir geschadet?

Offensichtlich nicht. 1996 sind Sie sogar Europameister geworden.

Das soll nicht heißen, dass alle meinem Beispiel folgen müssen. Sonst hätten wir hier ja bald lauter neue Fredi Bobic rumspringen (lacht).

Was heißt es dann?

Dass es nichts bringt, ein Talent oben reinzuwerfen - nur weil das populär ist und weil das alle fordern. Damit kann man einen Spieler ganz schnell verbrennen. Damit ist keinem geholfen. Und eines ist auch klar: egal ob im Nachwuchsbereich oder bei den Profis - wer uns von außen unter Zeitdruck setzen will, läuft gegen eine Wand.

"Die individuelle Förderung hat für uns Priorität"

Kann man ein Talent aber nicht auch zerstören, wenn man ihm zu lange keine Chance bei den Profis gibt?

Natürlich darf man einen jungen Spieler nicht unnötig zappeln lassen. Aber generell ist es heute leider so, dass der Faktor Zeit gerne außer Acht gelassen wird. Alles muss möglichst sofort passieren. Mehr Besonnenheit würde uns da manchmal gut zu Gesicht stehen.

Die Bayern und Dortmund haben Talente wie Thomas Müller und Mario Götze schnell ins kalte Wasser geworfen.

Wie viele Müllers oder Götzes gibt es denn? Nicht jeder ist wie sie. Das sind zwei Jahrhunderttalente, denen alle Voraussetzungen in die Wiege gelegt worden sind. Die Regel ist das nicht. Im Normalfall muss man sich alles hart erarbeiten und verdienen - und das kann nun mal etwas dauern.

Der vom VfB nach Leverkusen ausgeliehene Torwart Bernd Leno scheint ebenfalls besondere Gaben zu besitzen, was er bei Bayer bewiesen hat. Deshalb dürfte der Werksclub großes Interesse daran haben, das bis 31. Dezember befristete Leihgeschäft zumindest bis zum Saisonende auszuweiten. Hat Bayer Leverkusen da eine Chance?

Man muss immer sehen, was für alle Beteiligten das Vernünftigste ist - für die Vereine und für den Spieler. Das werden wir gegebenenfalls in Gesprächen mit den Verantwortlichen von Bayer klären.

Zurück zum VfB. Neben der Personalie mit Kienle haben Sie eine weitere Veränderung im Nachwuchsbereich beschlossen. Statt Jürgen Seeberger ist nun Jürgen Kramny als Trainer für die zweite Mannschaft zuständig. Die Elf steht gut da in der dritten Liga.

Die sportliche Bilanz ist nicht einmal so wichtig. Wichtiger ist die Art und Weise, wie Fußball gespielt wird. Die extrem junge Mannschaft ist zwar zwangsläufig noch Schwankungen unterworfen, aber die Auftritte sind ganz anders als im vergangenen Jahr. Man spürt bis hoch auf die Tribüne, dass da Begeisterung drin ist.

Würden Sie sogar den Abstieg in die Regionalliga in Kauf nehmen, wenn es dafür gelingen würde, immer einen oder zwei Spieler pro Saison in die Bundesliga zu bringen?

Die individuelle Förderung hat für uns Priorität, aber wir wollen auch die Klasse halten. Sonst könnten wir so agieren wie 90 oder 95 Prozent der Bundesligavereine, die mit ihrer zweiten Mannschaft irgendwo in der Regionalliga sind. Ihre jungen Spieler leihen sie an andere Clubs aus, die dann für die Ausbildung sorgen. Ein Leihgeschäft kann auch für uns sinnvoll sein, aber grundsätzlich haben wir den Anspruch, unsere Spieler selber auszubilden.

Nach dem Vorbild des großen FC Barcelona, der mit vielen eigenen Talenten sogar die Champions League gewonnen hat?

Man kann immer mal prüfen, welche Strategien andere Vereine in diesem Bereich verfolgen und wie gute Strukturen aussehen. Aber ich halte wenig davon, jemandem nacheifern zu wollen, auch wenn er so erfolgreich ist wie Barcelona. Jeder muss seinen Weg finden. Wir haben das getan. Unser Weg ist der Stuttgarter Weg.

Da sind Sie aber wohl erst am Anfang, weil seit Längerem kein Talent mehr den großen Durchbruch beim VfB geschafft hat.

Vielleicht ist da in der Vergangenheit wirklich nicht alles optimal gelaufen. Andererseits ist es aber auch so, dass wir uns bei den Profis jetzt zuerst einmal weiter stabilisieren sollten. Dann hat es ein junger Spieler leichter, Fuß zu fassen.

Nach den Siegen gegen Hannover und Freiburg sieht es bei den Profis doch gut aus.

Trotzdem sind wir noch weit entfernt von dem Zustand, den wir erreichen wollen. Wir müssen am Optimum spielen, um bestehen zu können. Wenn wir nur ein Prozent nachlassen, wird es schwierig.

Wie würden Sie den Ist-Zustand beschreiben?

Nach der enttäuschenden letzten Saison vergleiche ich uns mit einem Patienten, der noch nicht ganz raus aus der Reha ist. Aber wir sind auf dem Weg der Genesung.

Ist der VfB schon ganz gesund, wenn heute Abend gegen den Hamburger SV der nächste Sieg verbucht werden kann?

Nein, dann hätten wir nur drei Punkte mehr auf dem Konto. Aber dennoch sind auch dann erst sieben Spiele absolviert.

Ihr Traum sieht wohl so aus, dass der VfB in der Bundesliga immer ganz vorne mitmischt - und das mit vielen eigenen Talenten.

Dann könnte ich hier aufhören. (lacht)

Im Ernst?

Wir haben eine Vision, die Ihrer Vermutung in der Tat sehr nahekommt.

Der Hobbymusiker

Sport Als Stürmer hat Bobic zwischen 1994 und 2005 für fünf verschiedene Vereine gespielt: den VfB Stuttgart, Borussia Dortmund, Bolton Wanderers, Hannover 96 und Hertha BSC. Er bestritt 37 Länderspiele (zehn Tore).

Privates Er ist verheiratet und hat zwei Töchter. Die Familie lebt in Berlin. Als Spieler hat er einst ein Musikvideo gedreht und eine CD aufgenommen. Der Titel: "Steh auf". T.H.