VfB gegen HSV oder Stevens gegen Labbadia: die beiden Trainer haben jeweils schon den anderen Club gerettet – und könnten ihn nun in die zweite Fußballliga stürzen.

Sport: Carlos Ubina (cu)

Stuttgart - Es gibt Bilder, die wollen die VfB-Fans einfach nicht sehen. Zum Beispiel wie Bruno Labbadia unter Hochspannung den Rücken nach hinten biegt. Wie er leicht nach rechts und links ausweicht, um einen besseren Blick auf das Geschehen zu haben. Wie der Oberkörper dann bei einem HSV-Tor nach vorne schnellt und der Trainer seiner Freude freien Lauf lässt. Mit weit aufgerissenen Augen, geballten Fäusten und Jubelschreien – auch auf die Gefahr hin, dass bei dieser Gefühlsexplosion die schön gerichteten Haare durcheinandergeraten.

 

Was das Horrorszenario für den Stuttgarter Anhang vervollständigen würde, ist die Vorstellung, dass Eddy Sözer noch ins Bild rückt, der neue Cheftrainer des Hamburger SV und sein langjähriger Assistent sich strahlend in den Armen liegen. Das darf nicht sein. Nicht in ihrer Stadt, nicht in ihrem Stadion, denken sie im VfB-Lager.

Doch in diesen Zeiten der großen Ungewissheit können sie sich einer Sache beim Verein für Bewegungsspiele sicher sein: Bruno Labbadia kehrt nicht im Groll nach Stuttgart zurück. Er kommt nicht, um seinen früheren Arbeitgeber in die zweite Liga zu stürzen. Er kommt, um den HSV in der Fußball-Bundesliga zu halten. Für den 49-jährigen Hessen ist das ein fundamentaler Unterschied, auch wenn das eine das andere auslösen könnte. Doch Labbadias Fokus liegt allein auf dem HSV, einzig darauf richtet er sein Tun aus. Mit einer Intensität und Leidenschaft, die sich auch in der Coachingzone zeigt – und mit einer Emotionalität, die in Hamburg eine nahezu leblose Mannschaft wiederbelebt und in der Stadt neue Hoffnung geweckt hat.

Heikle Konstellation

„Es wäre mir natürlich lieber, wenn wir in einer anderen Konstellation aufeinandertreffen würden“, sagt Labbadia. Doch die Konstellation ist nun einmal so, wie sie ist – und sie macht die Begegnung an diesem Samstag in der Mercedes-Benz-Arena zu einer besonderen: da prallen in der entscheidenden Phase des Abstiegskampfes nicht nur zwei leckgeschlagene Liga-Tanker mit ihren existenziellen Problemen aufeinander, sondern ebenso zwei Trainer, die jeweils schon den anderen Club vor dem Untergang bewahrt haben.

Huub Stevens übernahm den HSV 2007 als Tabellenletzten und führte ihn noch in den Uefacup, Bruno Labbadia rettete den VfB 2011 vor der Zweitklassigkeit und schaffte es anschließend mit den Stuttgartern zweimal in die Europa League. „Es gibt aber kein Duell der Trainer, die Situation ist schon brisant genug“, sagt Labbadia.

Das Schlusslicht Stuttgart erwartet den Tabellen-14. aus Hamburg. Mit zwei Punkten Rückstand, weshalb aber in der Partie zwischen diesen beiden inkonstanten Teams die Stunde der Klassenkämpfer Stevens und Labbadia schlägt. Was sie jeweils auf ihre ganz eigene Art angehen. Labbadia durch seine Emotionalisierung der Spieler und seine Sachlichkeit in der Analyse. Seit er vor vier Wochen mit federnden Schritten den HSV geentert hat, beschönigt er weder die Situation noch die Spiele, gleichzeitig schenkt er den Spielern aber viel Vertrauen, die es mit Leistung zurückzahlen. Auch, weil er Rafael van der Vaart und Co. glaubhaft vermittelt hat, dass weder die Vergangenheit noch die Zukunft eine Rolle spielen, und dies durch seine Aufstellungen untermauerte: Zuletzt standen in der HSV-Elf eine Reihe von Profis, die für die nächste Runde bereits aussortiert sind. Wie Gojko Kacar, der Mann für die wichtigen Tore.

Das Affentheater um Stevens

Auch beim VfB zählt nur das Hier und Jetzt. „Wir müssen die Ruhe bewahren und ein Tor mehr erzielen als der Gegner“, sagt Stevens. Es sind solch einfache Fußballwahrheiten, an die sich der Niederländer hält. Er hat nicht die Neigung, das Spiel zu verkomplizieren oder dem Fußball einen intellektuellen Überbau zu verpassen. Erfolg ist für den Sohn eines Grubenarbeiters aus Sittard noch immer das Ergebnis harter Arbeit. Und wenn es sein muss, dann ist sein Ton rau und seine Ansprache schroff.

Wie am Donnerstag, als während des Trainings der Rasen bewässert wurde, weil einigen Herren der Untergrund nicht weich genug war. „Ihr seid Affen“, beschimpfte Stevens seine Schützlinge, „das ist Abstiegskampf!“ Und in dem wird sich nicht beschwert, sondern den Widerständen getrotzt. Das ist Stevens’ tiefste Überzeugung. So ist er, und so handelt er. Weshalb sie beim VfB davon ausgehen, dass der Trainer dieses Affentheater auch ein Stück weit für sich genutzt hat, um die Sinne der Stuttgarter noch einmal zu schärfen. Um nach dem wichtigen 2:0-Sieg gegen Mainz in der Mannschaft dieser Mentalität der vorschnellen Selbstzufriedenheit noch einmal in aller Deutlichkeit zu begegnen.

Da spielt im Verhältnis Spieler-Trainer auch Angst mit – die hält Stevens im Allgemeinen zwar für einen schlechten Begleiter, aber speziell jetzt will er weder für seine Spieler noch für den Gegner oder die Öffentlichkeit berechenbar sein. Alle sollen sich ein wenig vor ihm und seinen Launen fürchten. „Ihr könnt mich alle anschauen“, sagt der 61-Jährige. „Aber ihr könnt nicht in mich hineinschauen.“ Was er fühlt und denkt teilt er im Privaten mit seiner Frau Toos und im Sportlichen mit seinem Trainerteam sowie dem Manager Robin Dutt.

Dagegen begegnet Labbadia den Menschen beim HSV mit einer neuen Offenheit. Als verbissen und misstrauisch hatten sie ihn in Erinnerung, als der Ex-Stürmer die Hamburger schon einmal betreute und 2010 vorzeitig verlassen musste. Zwischen den beiden Europa-League-Halbfinals gegen den FC Fulham. Das hat dem extrem ehrgeizigen Coach immer das Gefühl gegeben, man habe ihn um ein Europapokalfinale gebracht. Jetzt steht er in Stuttgart aber vor einem ganz anderen Endspiel.