Eine Faninitiative will das alte VfB-Wappen wieder einführen. Der Verein will nun auf der Mitgliederversammlung darüber abstimmen lassen.

Chef vom Dienst: Tobias Schall (tos)

Stuttgart - Man wollte Asien erobern. Und um diesen Markt zu erschließen, musste die von vielen Fans geliebte Zahl „1893“ aus dem Wappen verschwinden. Es war Ende der 1990er Jahre, Asien galt als der Kontinent, auf dem Milch und Honig fließen – wenn man es als Fußballverein nur schafft, sich dort zu positionieren. Das wollte man damals beim VfB Stuttgart – und deshalb wurde, so die offizielle Begründung, ein neues Wappen designt. Das Gründungsdatum des Vorläufervereins wurde getilgt und durch den Schriftzug „Stuttgart“ ersetzt, damit in Asien auch klar ist, wo dieser VfB eigentlich herkommt, wie es damals hieß. Zuvor, 1994, waren unter anderem die Letter „VfB“ entschnörkelt worden, der Rahmen des Wappens wurde schwarz und die drei Geweihe waren gestutzt worden.

 

Asien hat der VfB damit nicht erobert, und wenn es nach dem Willen vieler Fans geht, soll diese Wappenklitterung rückgängig gemacht werden. Widerstand gab es ja schon damals, und es gab ihn danach, aber nie war er organisiert. Zumindest wird so begründet, warum man sich nach langem Wappenstillstand erst jetzt lautstark meldet.

Seit zweieinhalb Jahren arbeitet die Initiative „Pro altes VfB-Wappen“, gegründet vom Fanclub Schwabensturm 02, mit großem Aufwand und Engagement an einer Rückkehr zur alten Optik – eine Bewegung, die mittlerweile von Großteilen der Kurve unterstützt wird. Das lautstärkste Signal sind dabei die „1893-hey“-Rufe im Stadion, optisch präsent ist die Aktion durch entsprechende Transparente oder Aktionen wie in Hannover, als Hunderte Pappwappen hoch gehalten wurden.

Am Samstag wurde sogar auf dem Schlossplatz für das alte Wappen demonstriert. Aber der wichtigste Beleg für die Relevanz ihres Anliegens: sie haben 25 000 Unterschriften gesammelt. „Das ist kein so kleines Thema, wie Außenstehende vielleicht denken“, sagt Benjamin Nagel von der Initiative. Die Aktion sei ein Kraftakt.

Ein erfolgreicher: der VfB, mit dem man laut Nagel gut zusammengearbeitet hat, wird tatsächlich über das Begehren abstimmen lassen. Auf der Mitgliederversammlung im Sommer wird die Frage des Wappens einer der Tagesordnungspunkte sein. Ein Stück Basisdemokratie. Der VfB lässt derzeit rechtlich prüfen, wie das genaue Prozedere sein wird. Wie die nächste Stuttgarter Volksabstimmung ausgeht, ist schwer zu sagen, weil es eben auch Menschen gibt, die das heutige Wappen einfach schöner und zeitgemäßer finden.

Dass Logos überarbeitet werden, ist keine Seltenheit, sei es bei Firmen oder Vereinen. Es gibt denn auch Menschen, die sich jenseits von optischen Gesichtspunkten fragen, ob die Leute denn eigentlich keine anderen Probleme haben. Und ob nicht auch der VfB andere Probleme hat, als sich gezwungenermaßen um die Öffnung des „V“ oder um die Jahreszahl im Wappen Gedanken zu machen. Und überhaupt fragt mancher, was das dann wohl alles kostet, wenn man es ändert.

Die Wappendebatte mag für Unbeteiligte vielleicht ein bisschen lächerlich klingen, wie ein Nebenkriegsschauplatz einer pubertierenden Anhängerschaft. Das ist es aber nicht. Um zu verstehen, warum ein Wappen derart Massen mobilisieren und Emotionen hervorrufen kann, muss man die Fanseele verstehen, gerade die der organisierten Anhänger in der Kurve. Es besteht dort Einigkeit, Traditionen zu bewahren und sich gegen die Kommerzialisierung zu wehren. Das spiegelt sich wider in Protesten, wenn Stadionnamen meistbietend an Firmen versteigert werden oder eben, wenn am Wappen gearbeitet wird.

Das Wappen und der rote Brustring sind so etwas wie das Evangelium der dunkelroten Anhänger. Die zentralen Sakramente der weiß-roten Religion. Und das Facelifting war für sie ein Sakrileg. Die religiöse Überhöhung mag befremden und auch nicht auf jeden Verfechter des alten Wappens zutreffen, aber Fakt ist: für viele Anhänger ist es eben nicht nur ein austauschbares heraldisches Symbol. Es steht dafür, etwas zu bewahren in diesen Zeiten, in denen der Fußball immer mehr zu einem Kommerzspektakel wird. Ein Zeichen wider die Vergänglichkeit. „Das Wappen hat eine riesige Bedeutung für die Fanszene – der rote Brustring und das Wappen sind die Identifikationsmittel“, sagt Nagel. Die Zahl „1893“ ist für sie eine Hommage an den Gründerverein FV Stuttgart 1893 und ein Bekenntnis des VfB zu seiner Geschichte und seiner Tradition.

Die Fans sprechen bewusst auch von einer „Abgrenzung zu den Produkten drum herum“ – und meinen damit Vereine wie die TSG Hoffenheim oder den Red-Bull-Ableger in Leipzig. Clubs, die sie mit Powerpoint-Präsentationen in Verbindung bringen, am Reißbrett entworfene PR-Gefäße. Dass diese Karte auch von Vereinen im Merchandising durchaus gespielt wird, davon zeugen nicht zuletzt Retrokollektionen in Fanshops, die sich großer Beliebtheit erfreuen. „Es ist auch eine Chance für den VfB, sich als Traditionsverein offensiv zu positionieren“, sagt Nagel. Es käme jetzt eine Generation ins Stadion, die das alte Wappen gar nicht mehr kenne. „Es ist deshalb die letzte Chance“, sagt er.

Der VfB ist kein Einzelfall – weder bei der grafischen Veränderung noch bei der rückwärtsgerichteten Bewegung der Fans. Viele Vereine haben im Laufe der Jahre an ihren Emblemen gefeilt, immer verbunden mit Kritik, speziell aus der Ultra-Szene. Zuletzt ist zu beobachten, dass bei Clubs ein Umdenken stattfindet. Im Jahr 2010 hat zum Beispiel der 1. FC Kaiserslautern sein altes Wappen wieder eingeführt, mit den verschlankten Lettern „1 FCK“ auf einem weinroten Grund – so, wie es früher eben war. Auch Alemannia Aachen und Eintracht Braunschweig sind zu ihren alten Wappen zurückgekehrt. Folgt der VfB?

Von den 18 Bundesligisten haben übrigens aktuell neben dem VfB nur sechs weitere den Namen ihrer Stadt im Wappen.