Der Sieg gegen Werder eröffnet dem VfB Stuttgart eine neue Perspektive: Die Psychologie des 3:2-Erfolges gegen Werder und der treffsichere Daniel Ginczek sprechen im Abstiegskampf der Fußball-Bundesliga für den VfB.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Peter Stolterfoht (sto)

Stuttgart - Sollte der VfB tatsächlich noch um den Abstieg in die zweite Liga herumkommen, dann würde im Stuttgarter Rückblick auf die Saison vermutlich eine Partie die zentrale Rolle einnehmen: der Sieg am Sonntag gegen Werder Bremen. Schon einmal bereitete ein dramatischer 3:2-Erfolg das gute Saisonende für den VfB vor. Das war im Jahr 2007, als die Stuttgarter in Bochum die Weichen auf Meisterschaft stellten. Mit einem Spiel glaubten damals alle an den Erfolg. Und so ist das acht Jahre später wieder, wo es jetzt nur noch um den Klassenverbleib geht, dessen Bedeutung für den Verein aber mindestens so hoch einzuschätzen ist wie damals der Titel.

 

Der VfB hat am Sonntag einen am Ende vielleicht entscheidenden Sieg gelandet. Es war ein Schlüsselspiel mit eingebauter Initialzündung. In der Mercedes-Benz-Arena kam es beim Schlusspfiff jedenfalls schon zu einer ersten Explosion der Emotionen. Nach dieser unvergesslichen Partie spricht nun plötzlich wieder vieles im Abstiegskampf für die Stuttgarter.

Die neue Stuttgarter Perspektive: Land in Sicht

„So ein Sieg muss Selbstvertrauen geben“, sagt der Trainer Huub Stevens und spricht damit den ersten großen Stuttgarter Mutmacher an, den diese Partie liefert. Wer nach der Gelb-Roten Karte für Martin Harnik den Bremer Ausgleich zum 2:2 hinnehmen muss und zu zehnt in letzter Sekunde noch das Siegtor erzielt, darf an die eigene mentale Stärke glauben. Ein großer Vorteil vor den letzten sechs Spielen in einem nervenaufreibenden Abstiegskampf. „Wir wissen, wie es sich anfühlt, Tabellenletzter zu sein“, sagt Martin Harnik, „wir hatten ja lange genug Zeit, uns daran zu gewöhnen.“ Damit deutet er den Vorteil gegenüber dem Hamburger SV an, der das neue Schlusslicht ist und mit dieser belastenden Situation aktuell keine vergleichbare Erfahrung hat. Psychologisch in die Karten spielt dem VfB außerdem, dass nun plötzlich nicht mehr allein der Relegationsplatz das maximal Erreichbare darstellt. Drei Punkte noch beträgt der Rückstand auf einen Nichtabstiegsplatz, oder anders ausgedrückt – Land in Sicht. Diese Perspektive verleiht einem Schiffbrüchigen neue Kraft, zu der auch ein Restspielplan gehört, der dem VfB in den Duellen gegen die direkte Konkurrenz alle Möglichkeiten eröffnet.

Die Stuttgarter Hoffnung liegt aber nicht nur im psychologischen Bereich, sondern auch im physischen, denn im Sturm steht mittlerweile ein echter Brecher. Der so lange verletzte Daniel Ginczek könnte in der Endphase der Saison die ganze Sache für den VfB noch einmal zurechtbiegen. Der ehemalige Nürnberger (Motto: „Ich bin Stürmer geworden, um Tore zu schießen“) erzielte gegen Bremen die Tore zum 2:1 und 3:2. Bereits beim 3:1 gegen Eintracht Frankfurt hatte er zweimal getroffen, was eine in dieser Saison noch nie dagewesene VfB-Serie von zwei Heimsiegen nacheinander zur Folge hat.

Die Mitspieler loben Stürmer Daniel Ginczek

Daniel Ginczek, seit Montag 24, ist damit zum Hoffnungsträger für die ganze Mannschaft geworden. „Wir wissen jetzt, dass vorne einer steht, der die Tore macht“, sagt der Kapitän Christian Gentner. Und der Innenverteidiger Georg Niedermeier lobt dann auch noch den defensiven Ansatz im Spiel von Ginczek: „ Er schirmt den Ball sehr gut ab und arbeitet viel nach hinten.“ Und mit seinem Willen verkörpert er wie kein anderer Stuttgarter eine entscheidende Tugend im Abstiegskampf und reißt seine Mitspieler mit. Die haben nun wieder einen guten Grund offensiver zu spielen, weil da vorne einer lauert und mit den Zuspielen etwas anzufangen weiß. „Ich konnte meine Arbeit nur erledigen, weil ich gute Bälle bekommen habe“, sagt Ginczek.

Das alles entscheidende Zuspiel vor dem 3:2 gelang Serey Dié. Ein Pass als Mutmacher, denn ohne diesen einen Ball auf Daniel Ginczek wäre nach dem Spiel die Frage durchaus erlaubt gewesen, ob die Verpflichtung des Ivorers in der Winterpause die richtige Entscheidung gewesen ist. Denn zuvor hatten grobe Patzer immer wieder die engagierten Auftritte Diés gravierend geschmälert. Auch gegen Bremen, als ein Fehlpass des 30-Jährigen das 1:1 durch Davie Selke einleitete.

Gerade in der Defensive – darüber kann auch dieser denkwürdige Sieg nicht hinwegtäuschen – klemmt es beim VfB weiterhin gewaltig. Egal wie die Abwehr personell aufgestellt ist, sie ist vor allem für Konter extrem anfällig. Daran ändert zunächst auch die Rückkehr von Antonio Rüdiger nach seiner langwierigen Meniskusverletzung nichts.

Ansonsten könnte sich durch den Auftritt vom Sonntag einiges beim VfB ändern, zumal die Hoffnung nun auch grün ist – der Vereinsfarbe des SV Werder. Die Begegnung mit den Bremern könnte schließlich das ganz große Umschaltspiel gewesen sein – der Zeiger jedenfalls steht in Stuttgart plötzlich auf Zuversicht.