Vom Flüchtlingsheim in die Bundesliga – der Kongolese Chadrac Akolo und Neuzugang beim VfB Stuttgart hat eine außergewöhnliche Geschichte.

Sport: Carlos Ubina (cu)

Neustift - Plötzlich weiten sich die Augen, die weißen Zähne blitzen aus dem bislang so ernsten Gesicht, und Chadrac Akolo lehnt sich zurück. Er lacht. Ja, Zinedine Zidane, der geniale Franzose ist sein Vorbild. Und ja, „Zidane“ haben sie ihn damals in Kinshasa gerufen, wenn er als Kind auf den staubigen Plätzen im Stadtteil Kintambo mit seinen Kumpels gekickt hat. Stundenlang ging das, weil sie nichts anderes hatten als den zusammengeflickten Ball. Kein Essen und keine Zukunft. „Ich hätte nie gedacht, dass ich Profi werden könnte“, sagt Akolo.

 

Doch jetzt ist er es, sogar in der Bundesliga. Einen Vierjahresvertrag hat Akolo beim VfB Stuttgart unterschrieben und muss sich nicht nur während des Trainingslagers im österreichischen Neustift wie in einem real gelebten Traum vorkommen. „Das ist verrückt, und wie schnell alles gegangen ist“, sagt der 22-jährige Kongolese, der auf eine bewegte und bewegende Zeit zurückblicken kann.

Es ist die Geschichte eines Afrikaners, der 2009 mit seinem Vater aus der Heimat und der Hoffnungslosigkeit flieht. 14 Jahre ist Chadrac Akolo damals. Es geht im Boot über das Mittelmeer, dann bis in die Westschweiz. Nach Bex im Kanton Waadt, wo Mutter und Geschwister nach der lebensgefährlichen Reise bereits in einem Flüchtlingsheim auf die beiden warten.

Der Durchbruch in der Schweiz klappt nicht gleich

Akolos Angst, über die er nicht sprechen möchte, verzieht sich langsam. Asylanträge werden gestellt, und der Teenager verbringt das Warten mit Fußball. Er spielt leidenschaftlich, und eines Tages traut er sich, an die Kabinentür der C-Junioren des FC Bex zu klopfen. Die Tür geht auf, und Chadrac Akolo fragt schüchtern, ob er mitspielen darf. Er darf. In geliehenen Schuhen dribbelt er nach seiner Einwechslung durch die gegnerischen Reihen und erzielt zwei Tore. Also darf er auch wiederkommen, und der Jugendtrainer Anthony Tagan kümmert sich um das Talent. Bis heute besteht der Kontakt. „Diese Familie hat mir sehr geholfen. Ursprünglich war ja vorgesehen, auf Amateurniveau zu spielen und mir einen Job zu suchen“, erzählt Akolo.

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Doch dieser Plan geht nicht auf, weil Tagan die fußballerische Begabung erkennt und seinen Schützling in die Nachwuchsabteilung des FC Sion vermittelt. Dort wird das Angriffsjuwel taktisch geschult und technisch geschliffen. Nur mit dem Durchbruch beim Schweizer Erstligisten klappt es nicht gleich. Weshalb das Schicksal Akolo mal wieder über einen Umweg führt.

Akolo, der „Instinktfußballer“

Im April 2014 debütiert er zwar für den FC Sion in der Super League, aber zunächst reicht es nur für Teileinsätze. Also lässt sich die Offensivkraft zu Xamax Neuchâtel ausleihen, in die Challenge League. Mit dem Trainer Michel Decastel kommt Akolo beim Zweitligisten gut aus. Er wird gefördert, begeistert mit seinen Finten, und am Ende stimmt die Bilanz: 16 Einsätze, neun Tore, drei Torvorlagen.

Sehen Sie hier das Interview mit VfB-Spieler Chadrac Akolo aus dem Trainingslager:

Mit dieser Empfehlung kehrt Akolo zum FC Sion zurück, wo mittlerweile Peter Zeidler das Sagen hat. Der schwäbische Fußballlehrer mit den frankophilen Zügen nimmt den „Instinktfußballer“, wie er Akolo bezeichnet, unter seine Fittiche und empfiehlt ihn nach einer starken Saison mit 15 Treffern und fünf Torvorlagen als Flügelstürmer dem VfB, wo Zeidler früher als Nachwuchscoach tätig war. „Wir pflegen eine sehr enge Beziehung“, sagt Akolo, „und Peter hat mir vermittelt, dass es beim VfB sehr gut für mich passen könnte.“

Kein Auto, sondern ein Besuch der Familie beim Heimspiel

Nun fühlt er sich schon nach wenigen Wochen in der familiären Atmosphäre des Clubs wohl und an der Seite des Französisch-Dolmetschers Valentin Brix bei den Stuttgartern angekommen. Seine persönliche Reise ist aber noch lange nicht beendet. Weil er die Bundesliga als den nächsten Schritt in seiner Karriere betrachtet und ein klares Ziel vor Augen hat: „Ich will bald schon zurück und für die kongolesische Nationalmannschaft spielen“, sagt Akolo.

Keine leichte Entscheidung war das, da auch der Schweizer Verband um den Angreifer gebuhlt hat und Akolo die Zukunft seiner Familie in dem kleinen Land mit den vielen Bergen sieht. Doch der Junge aus Kinshasa fühlt trotz der harten Vergangenheit eine tiefe Verbundenheit mit seiner Heimat. Obwohl er aus dem Zehn-Millionen-Moloch geflohen ist, wo Armut und Ausbeutung an der Tagesordnung sind. Und obwohl seine Familie in der Schweiz noch um ihr Bleiberecht zittert.

Die Trikotnummer 19 trägt Akolo für seine Schwester

„Ich weiß, woher ich komme – und ich weiß, dass ich einen weiten Weg hinter mir habe“, sagt Akolo, dessen Mutter in Sion nur 15 Minuten entfernt vom Trainingszentrum lebt. Das war gut für ihn, „aber es wird in Stuttgart nicht möglich sein“.

Möglich machen will der VfB aber den Wunsch seines Zugangs, die Geschwister zum ersten Heimspiel einzuladen. Das hat Jan Schindelmeiser von Akolos Berater nach Abschluss der Verhandlungen erfahren. „Er hat uns gesagt, dass sich Chadrac kein Auto oder so wünscht, sondern nur, dass seine Familie ihn besuchen kommt“, erzählt der Manager. Dann wird wohl auch die kleine Schwester stolz nach unten schauen, weil ihr Bruder Chadrac das Trikot mit der Nummer 19 trägt – ihr zuliebe, da sie an einem 19. Geburtstag hat.

VfB Stuttgart - 1. Bundesliga

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