Welche Rolle hat der höchst umstrittene Mediziner Klümper bei Profis des VfB Stuttgart in den 1970er und 1980ern gespielt? Noch fehlen Beweise.

Chef vom Dienst: Tobias Schall (tos)

Stuttgart - Die Vergangenheit kehrt am Montag um 12.48 Uhr in die Gegenwart zurück. Da verschickt Andreas Singler, Mitglied der Evaluierungskommission, die die Dopingvorgänge an der Uni Freiburg untersucht, eine Mitteilung. Er schreibt von „Anabolikadoping in systematischer Weise“ im Profifußball beim VfB Stuttgart („in größerem Umfang“) und dem SC Freiburg („nur punktuell nachweisbar“). Es ist ein böses Echo aus der Vergangenheit, das den Fußball erschüttert. In Freiburg. In Stuttgart. Deutschlandweit.

 

Die Dementis folgen prompt: Von Jürgen Sundermann, von 1976 bis 1979 und von 1980 bis 1982 Trainer des VfB Stuttgart, zum Beispiel. „Das ist absurd“, sagte er dem „Sportinformationsdienst“: „Ich kann mir das überhaupt nicht vorstellen und halte das für völlig ausgeschlossen.“ In jenen Jahren spielten beim VfB große Namen wie die Förster-Brüder Bernd und Karlheinz, Hansi Müller oder Karl Allgöwer, auch der heutige Bundestrainer Joachim Löw war in dieser Zeit sowohl in Freiburg (1978 bis 1980 und 1982 bis 1984) als auch in Stuttgart (1980/81) aktiv. Namen werden aber keine genannt, dies sei nicht möglich, so Singler. Beweise wurden keine vorgelegt.

Ein VfB-Spieler jener Jahre, der nicht genannt werden will, ist empört und spricht von einem „Skandal“: „Da werden ohne Beweise auf den Tisch zu legen, solche Vorwürfe in die Welt geschickt.“

In der Freiburger Uniklinik ging zu jener Zeit das Who’s Who des deutschen Sports ein und aus, auch die Spieler des VfB, von denen einige ein sehr enges Verhältnis zu dem heute höchst umstrittenen und mit Dopingvorwürfen konfrontierten Arzt Klümper hatten – allen voran Karlheinz Förster. Der hat Besuche bei Klümper auch nie bestritten: „Wenn’s Spitz auf Knopf ging, da haben wir gesagt: ‚Mensch Professor, ich muss am Samstag wieder ran.’ Da hat man auch mal was Unvernünftiges gemacht“, hat Förster kürzlich dem SWR gesagt. Dass Klümper, der heute in Südafrika lebt und sich zu den regelmäßig aufkommenden Vorwürfen gegen ihn traditionell nicht äußert, VfB-Spielern bei Verletzungen für einen schnelleren Heilungsprozess Anabolika gespritzt hat, soll, so hört man, ein offenes Geheimnis gewesen sein.

Bewiesen ist das aber nicht. Anabole Steroide wurden 1974 auf die Dopingliste gesetzt, das Verbot galt vorerst aber nur für den Wettkampf. Erst 1976 wurden anabole Steroide ganz verboten, also auch außerhalb des Wettkampfs – entsprechende Behandlungen mit Anabolika wären nach 1976 also ein Dopingverstoß gewesen.

Der VfB betont, dass Klümper nie Mannschaftsarzt gewesen und es schwierig sei, heute Behandlungen nachzuvollziehen. Ähnlich äußert sich der SC Freiburg, der betont, dass man die Kommission unterstütze und alles dafür tue, damit die Vorgänge aufgeklärt werden könnten.

Die 1970er und 1980er Jahre gelten im Sport als nahezu flächendeckend verseucht. Im Kalten Sportkrieg der Systeme, so legen viele Berichte nahe, wurde in Ost wie West hemmungslos gedopt. 1987 starb die Siebenkämpferin Birgit Dressel, eine Patientin von Klümper, an Multiorganversagen. In ihrem Körper wurden mehr als 100 Medikamente nachgewiesen. Beim SC Freiburg wie auch beim VfB soll laut Singler das Anabolikum Megagrisevit zum Einsatz gekommen sein, das auch von Dressel zeitweise eingenommen wurde.

Der Turnstar Eberhard Gienger, 1974 Reck-Weltmeister und heute Bundestagsabgeordneter, war ebenfalls regelmäßiger Gast in Freiburg. „Professor Klümper war ein Arzt, der sehr großzügig verschrieben hat. Ich habe im Laufe der Zeit festgestellt, dass ich die Medikamente gar nicht alle essen konnte. Ich trug sie dann in die Apotheke zurück. Da kam schon ein ansehnliches Arsenal zusammen, wenn man das nicht tat“, sagte er 2006 der „FAZ“. Damals hatte Gienger zugegeben, im Jahr 1975 zur Regeneration Anabolika genommen zu haben. „Ich bekam nach einer Operation für cirka acht Tage ein Anabolikum, nachdem mein Bein von einem auf den anderen Tag sechs Zentimeter weniger Umfang aufwies.“ Mutmaßlich um diese Art des Dopings geht es auch bei den aktuellen Vorwürfen.

Von den Verantwortlichen wurde stets behauptet, dass Doping im Fußball keine Rolle spiele. „Wer mit links nicht schießen kann, trifft den Ball auch nicht, wenn er 100 Tabletten schluckt“ – das hat Otto Rehhagel einst gesagt, und das war und ist bis heute die recht schlichte Argumentationslinie des Fußballs. Experten sind sich aber einig, dass auch der Fußball ein Dopingproblem hat, zumindest gibt es dafür einige Indizien. Bei Juventus Turin wurde Epo-Doping sogar von einem Gericht offiziell festgestellt. Die Physis spielt im modernen Fußball eine immer größere Rolle, Faktoren wie Dynamik, Kraft und Ausdauer sind entscheidend auf dem Platz, weil auch die Belastung angesichts der zunehmenden Zahl von Spielen gestiegen ist und die Regenerationspausen kürzer werden. Epo kann zum Beispiel die Ausdauerleistung verbessern, Stimulanzien können Ermüdungsphasen hinauszögern – und anabole Steroide verkürzen Verletzungspausen. Das war früher so, und ist es heute noch immer.

Stuttgarts Meistercoach Christoph Daum hatte mal vage Doping mit dem Kälbermastmittel Clenbuterol angedeutet, ehe er zurückruderte. Auch der Trainer Peter Neururer hatte Doping im Fußball Ende der 1980er Jahre als „gang und gäbe“ bezeichnet, dies später dann aber relativiert.