Alexander Zorniger muss seinen Trainerposten beim VfB Stuttgart aufgeben. Der Manager Robin Dutt sieht allerdings keinen Grund, sich Vorwürfe zu machen. Er muss nun handeln, bevor der Unmut sein Amt erreicht.

Stuttgart - Fast zwei Stunden sind inzwischen vergangen, zwei Stunden, in denen Robin Dutt auf sich warten lässt. Jeden Dienstagvormittag um elf empfängt er üblicherweise ausgewählte Reporter zu so genannten Hintergrundgesprächen, in denen der Sportchef des VfB Stuttgart zwar in den seltensten Fällen Hintergründe liefert, seine Aussagen anschließend aber trotzdem immer autorisieren will. Diesmal ist es fast eins, als Dutt zur Tür hereinkommt. Er bittet um Entschuldigung und verweist auf „einen triftigen Grund“ für seine Verspätung. Einer Autorisierung bedarf es ausnahmsweise nicht – denn den Inhalt seiner anschließenden Ausführungen verschickt zeitgleich die Medienabteilung des Vereins. Pressemitteilung Nummer 82 trägt die Überschrift: „VfB beendet die Zusammenarbeit mit Alexander Zorniger.“

 

Die Entlassung eines Trainers gehört in Stuttgart seit Jahren zum Alltag – und ist auch diesmal eine Nachricht, die eigentlich niemanden überraschen kann. Der VfB liegt auf dem 16. Tabellenplatz, hat neun von dreizehn Saisonspielen verloren und ist am Samstag gegen den FC Augsburg im eigenen Stadion mit 0:4 untergegangen. Und doch überrascht sie an diesem Mittag, denn Robin Dutt ist es gewesen, der Zorniger auch nach dem Fiasko gegen den Tabellenletzten den Rücken gestärkt hat, „aus Überzeugung“, wie er sagt.

Diese Überzeugung, so berichtet es der Manager, habe auch am Dienstagmorgen noch Gültigkeit besessen, als er sich um kurz vor acht an die Arbeit begibt. Zwei Stunden später jedoch ist plötzlich alles ganz anders. Dazwischen liegt „ein offenes, ehrliches, emotionales Gespräch“ mit Zorniger, an dessen Ende Dutt „keine andere Handlungsoption“ sieht, als „in aller Klarheit die Konsequenzen zu ziehen“.

Gespräche unter Männern

Die genauen Inhalte dieses Gesprächs unter Männern, die seit Jahren freundschaftlich miteinander verbunden sind, mag Dutt nicht wiedergeben, „das ist vertraulich“. Ob die Entlassung daran liegt, dass Zorniger signalisiert habe, mit seinem Latein am Ende zu sein (was Dutt vorsichtig durchblicken lässt)? Oder daran, dass sich der Trainer einer vom Manager gewünschten Kurskorrektur verweigert habe (was viel plausibler klingt)? Robin Dutt mag diese Fragen nicht konkret beantworten und bleibt lieber im Vagen: Die von Zorniger „aufgezeigten Lösungen“ für die Bewältigung der Krise hätten ihm keine andere Wahl gelassen. „Ich habe schließlich eine Sorgfaltspflicht gegenüber dem Verein.“

Im Wissen, gefeuert zu sein, leitet der Zorniger anschließend seine letzte Trainingseinheit, dann verabschiedet er sich von der Mannschaft und räumt sein Büro. Und dann endet beim VfB die Ära des 48 jahre alten Fußballlehrers, die nicht einmal fünf Monate gedauert hat – und trotzdem noch eine ganze Weile in Erinnerung bleiben wird. Denn selten ist ein Bundesligatrainer (und mit ihm der Manager, der ihn verpflichtet hat) so kolossal gescheitert. Es ist ein einziges Debakel.

Den großen Neuanfang rief Robin Dutt im vergangenen Mai aus, zwei Tage nachdem der VfB dem Abstieg wieder einmal ganz knapp entkommen war. Zur Generalabrechnung mit seinen Vorgängern holte der Manager aus – und präsentierte neben einer neuen Spielphilosophie auch einen neuen Trainer, mit dem alles anders und vor allem alles besser werden sollte.

Alexander Zorniger, zuvor beim Zweitligisten Leipzig entlassen und von seinem Freund Dutt trotz mancher Bedenken innerhalb des Vereins, gleich mit einem Dreijahresvertrag ausgestattet, war ganz neu in der Bundesliga. Das hielt ihn nicht davon ab, vom ersten Tag an bei jeder Gelegenheit ein bemerkenswertes Selbstbewusstsein zu demonstrieren. Seine Mannschaft werde in dieser Saison „nicht mehr viele Spiele verlieren“, das sagte er nach der Auftaktniederlage und bezeichnete sein offensives Spielsystem auch nach der fünften Niederlage hintereinander als „alternativlos“. Ins Verderben rannte die Mannschaft anschließend nicht nur in Leverkusen, als sie auch nach einer 3:1-Führung munter weiterstürmte. Am Ende stand es 3:4.

Blanker Hohn für Timo Werner

Fassungslos schüttelten die Beobachter den Kopf – vor allem als Zorniger auch noch damit begann, die eigenen Spieler vor den Kopf zu stoßen. Mit blankem Hohn bedachte er den Jungstürmer Timo Werner, der es gewagt hatte, nach einem Torerfolg kurz vor Spielende Handküsschen ins Publikum zu werfen. Im Amt blieb er auch weiterhin und erklärte im StZ-Interview vor dem Augsburg-Spiel, seinem letzten, wie man inzwischen weiß: „Ich bin der richtige Trainer für den VfB.“ Widersprechen konnte man ihm nicht – mit seiner Erfolglosigkeit und seinen Irrtümern passte der Heißsporn auf der Trainerbank tatsächlich bestens zu diesem Verein, dessen einzige Konstante seit Jahren der Niedergang ist.

Lange hat Robin Dutt an Zorniger festgehalten. Er war schließlich sein Mann, er war der Trainer, mit dem der Manager die neue Ausrichtung des Vereins verknüpfte. Das Gespräch am Dienstagmorgen mag zum Umdenken geführt haben – ganz sicher aber auch der radikale Stimmungsumschwung beim Stuttgarter Publikum am vergangenen Samstag. Mit erstaunlicher Langmut hatten bis dahin die Fans die vielen Niederlagen ertragen – und wendeten sich nach dem 0:4 zum ersten Mal ab. Es war ein Alarmsignal für Dutt, der zwar noch nicht herausgefunden hat, wie man zum Erfolg kommt – dafür aber über ein ausgeprägtes Gespür verfügt, sich selbst ins rechte Licht zu rücken.

Also opferte der Sportchef, noch ehe sich die Wut der Fans auf ihn richten konnte, den Chefcoach mitsamt dessen im Sommer ebenfalls neu engagiertem Assistentenduo. Und anschließend sieht er keinen Grund, sich irgendwelche Vorwürfe zu machen. Er sei nach wie vor „zu hundert Prozent“ von den Qualitäten Zornigers überzeugt, „er ist ein hervorragender Trainer, doch habe sich am Ende „eine Konstellation ergeben, die so nicht weitergehen konnte“.

Jürgen Kramny springt ein

Auch bei der sonstigen Auswahl des Personals kann der Manager keine Fehler erkennen – auch wenn der neue Innenverteidiger Toni Sunjic am Samstag zum wiederholten Male überfordert ausgewechselt werden musste und die anderen Neuzugänge zumeist von Beginn an auf der Bank oder der Tribüne sitzen. „Das eine oder andere Rädchen hätte noch mehr optimiert werden können“, zumindest das räumt Dutt ein, erklärt ansonsten aber: „Die Mannschaft hat die Qualität, einen gesicherten Mittelfeldplatz zu erreichen.“ Im Übrigen habe „die Branche“ zu Saisonbeginn vorhergesagt, der VfB könne dieses Jahr sogar noch weiter vorne landen – „und die Experten müssen ja nicht immer irren“.

Als Interimstrainer wird nun der bisherige U-23-Coach Jürgen Kramny mit dem VfB am Sonntag in Dortmund antreten, während Alexander Zorniger ein paar Wochen Ruhe dringend nötig haben dürfte. Bald aber werde der Trainer zurückkehren, glaubt Robin Dutt, „er wird zu hundert Prozent wieder im Profifußball aufschlagen.“ Der Manager weiß, wovon er spricht: Als Trainer ist er in Leverkusen und Bremen gescheitert, als DFB-Sportdirektor warf er nach zehn Monaten hin – und erhielt beim VfB trotzdem einen Vierjahresvertrag.