Sightseeing statt Fußball: Einige Fans des VfB Stuttgart boykottieren trotz Buchungen das Montagsspiel in der Bundesliga beim SV Werder – und reisen nach Bremen.

Sport: Gregor Preiß (gp)

Stuttgart - Bremen kann ja ganz nett sein: das alte Rathaus, der Hafen, die Weserpromenade. Abwechslung genug für mehr als nur einen Tag. Viele Fans des VfB Stuttgart können aber nur spöttisch lachen, wenn sie in diesen Tagen auf die Sehenswürdigkeiten der Hansestadt angesprochen werden. Der Grund ist das leidige Montagsspiel ihrer roten Helden an der Weser. Den Fans geht es nicht anders als dem geneigten Arbeitnehmer, den Boomtown Rats („I don’t like Mondays“), und eigentlich allen Fans der Bundesliga: Sie mögen keine Montage. Zumindest nicht als Spieltag. Als angestammter Zweitligatermin ruft er insbesondere beim Anhang abstiegsbedrohter Clubs düstere Assoziationen hervor, vor allem trifft er aber aus praktischen Gründen auf Ablehnung. Zwei Urlaubstage gehen drauf, wenn man, wie im konkreten Fall, seinen Club ans andere Ende der Republik begleiten will.

 

Seit Wochen wünschen die Fans des VfB die Spielplanmacher der Deutschen Fußball-Liga auf einen anderen Planeten, dorthin also, wo sie sich nach Meinung der Szene ohnehin längst befinden. Nun, da das auf 2. Mai (20.15 Uhr/Sky) angesetzte Abstiegsendspiel näher rückt, kulminiert das Murren in einer groß angelegten Protestaktion. Am Tag vor dem Spiel wollen all jene, die den Brustring über dem Herzen tragen, vom Bahnhof Bad Cannstatt zum Trainingsgelände marschieren und der DFL klarmachen, was sie von ihren „verrückten Anstoßzeiten“ (Commando Cannstatt) zum Wohle weiterer TV-Erlöse halten: nichts.

„Die wollen doch nur testen, welche Einschaltquote sich mit zwei Traditionsvereinen an einem Montagabend erzielen lässt“, sagt Tobias Klecker von den Away-Fahrern, die das Spiel wie alle organisierten Fangruppen boykottieren. Von der Saison 2017/18 an gehört der Wochenauftakt mit fünf Spielen pro Saison zum festen Programmplatz der Eliteliga. Klecker ist immer noch verärgert, wenn er darüber spricht. Der Student denkt sogar darüber nach, den Bezahlsender Sky am Montag mittels TV-Verzicht abzustrafen.

Der Auswärtsfahrer bucht frühzeitig

„Besonders ärgerlich ist es, dass die Fans das jetzt auch noch finanziell ausbaden müssen“, meint Georgios Kargakis aus dem VfB-Fanausschuss. „Ich kenne viele, die jetzt trotzdem hochfahren oder storniert haben und auf ihren Kosten sitzenbleiben.“

Der klassische Auswärtsfahrer bucht seine Reise nämlich frühzeitig. Meist schon, wenn der Rahmenspielplan veröffentlicht wird. Für weit entfernte Begegnungen wie in Bremen (650 Kilometer) wird meist gleich das ganze Wochenende gebucht, da die genaue Ansetzung erst wenige Wochen vorher erfolgt. Das rechtzeitige Reservieren von Zügen und Hotels spart Geld – schlägt aber doppelt zu Buche, wenn Sparpreise nicht storniert werden können. Deshalb werden viele Stuttgarter Fußballfans ihr Wochenende trotzdem in Bremen verbringen und der Frage nachgehen: Wo geht’s hier zu den Bremer Stadtmusikanten?

„Auch aus meinem Fanclub machen einige aus der Not eine Tugend und fahren trotzdem hoch“, erzählt Joachim Schmid vom Fanclub RWS Berkheim. Als Trost empfindet das aber niemand, zu sehr mischt sich der Ärger über die Verlegung in die allgemeine Depression des weiß-roten Anhangs. „Als Gästefan bist du im Zweifel immer der Dumme“, bemerkt der langjährige Allesfahrer Schmid lakonisch.

4000 Karten hätte das Stuttgarter Kontingent im Weserstadion betragen. Angesichts der aufgekommenen sportlichen Brisanz der Partie wären an einem Samstag wohl auch sämtliche Karten abgerufen worden. Jetzt werden wohl nur ein paar Versprengte ihrer Mannschaft vor Ort die Daumen drücken, die Mitglieder eines VfB-Fanclubs aus Hamburg etwa. Der große Rest bleibt zu Hause.

Auch Werder-Fans wollen protestieren

Und feuert die Mannschaft am Sonntag an – vor deren Abflug nach Bremen. Durch die gemeinschaftliche Aktion soll vor den restlichen drei Spielen der Zusammenhalt demonstriert und den Kickern noch einmal klargemacht werden, was auf dem Spiel steht. „Es wird nicht darum gehen, Stunk zu machen“, sagt Joachim Schmid. „Wir wollen motivierend auf die Mannschaft einwirken und zeigen, dass wir zu ihr stehen.“

Beim Gegner sind sie nicht minder motiviert. Im Rahmen der Aktion „Mors hoch“ sollen alle Zuschauer die Partie im Stehen verfolgen – und ihre Mannschaft lautstark nach vorne treiben. Ein Teil der grün-weißen Fan-Szene wird das Montagsspiel aber ebenfalls boykottieren. Das haben einige Ultragruppierungen angekündigt. Manager Thomas Eichin hofft, dass das letzte Wort noch nicht gesprochen ist. „Wir bitten die Fans, das zu überdenken. Wir brauchen jeden Zuschauer“, appelliert er an die Ultras. Beim Club aus Cannstatt wurde nichts unternommen, den protestierenden Anhang umzustimmen. „Es ist natürlich sehr bitter, dass wir so ein entscheidendes Spiel ohne unsere Fans bestreiten müssen. Das Fernbleiben ist aus Sicht der Fans aber nachvollziehbar“, sagt Präsident Bernd Wahler.

So also wird der Gästeblock bei einem VfB-Auswärtsspiel erstmals nahezu leer bleiben. Tobias Klecker wäre ein schlechter Fan, würde er nicht versuchen, selbst daraus etwas Positives abzuleiten: „Wer weiß, vielleicht hat das für die Mannschaft ja eine befreiende Wirkung.“