In achteinhalb Jahren von der Regionalliga in die Spitzengruppe der zweiten Liga. Das ist die Geschichte des 1. FC Heidenheim und zugleich die der Karriere von Marc Schnatterer. An diesem Freitag geht es gegen den VfB Stuttgart.

Sport: Dirk Preiß (dip)

Heidenheim - Holz an der Decke, Holz an den Wänden, dazu eine moderne Küchenzeile und ein schicker Tisch – die Szene könnte in den Alpen spielen, in einem Chalet irgendwo in der Schweiz. Spielt sie aber nicht. Die Szene spielt auf der Ostalb, in Heidenheim, in einer Loge der Voith-Arena, des kleinen, aber feinen Fußball-Tempels hoch oben über der 48 048 Einwohner zählenden Kreisstadt. Und der Hauptdarsteller an diesem sonnigen Dienstag spricht nicht Schwyzerdütsch – sondern Schwäbisch. Marc Schnatterer schaut auch nicht hinaus auf ein paar Viertausender, sondern auf eine recht ebene Wiese und sagt: „Unser Rasen ist trotz des harten Winters gut in Schuss, da können wir uns nicht beklagen.“ Aber wer will sich schon beklagen dieser Tage in Heidenheim?

 

Vor acht Jahren noch kickte der 1. FC viertklassig, es gab wenige Experten, die den Club für den gehobenen Profifußball auf der Rechnung hatten. Und das Markanteste am Albstadion war, ergänzend zur Holztribüne, der Kiosk direkt daneben. An diesem Freitag (18.30 Uhr/Sky) nun ist der VfB Stuttgart zu Gast. Nicht angelockt durch eine Antrittsprämie, es geht um Punkte in der zweiten Liga. „Die ganze Stadt vibriert“, sagt der FC-Vorstandsvorsitzende Holger Sanwald, „wir hätten wahrscheinlich 30 000 oder 40 000 Karten verkaufen können.“ 15 000 Menschen werden in der längst modernisierten und ausgebauten Arena sein. Darunter: Freunde, Verwandte – und jede Menge Fans – von Marc Schnatterer. Der sagt: „Das Spiel ist was Besonderes.“ Es gibt nicht wenige in Heidenheim, die sagen: Dieser Typ ist was Besonderes. Sanwald sagt: „Marc ist das Gesicht unserer Mannschaft.“

Wäre ein Studium nicht die bessere Wahl?

Blonde Haare, rotblonder Bart, schwäbischer Akzent, offene Art und – wann immer es geht – ein herzliches Lachen. So tritt der Hochgelobte gerne den Menschen gegenüber, so hat er die Leute auf der Ostalb abseits aller Fußballkünste dazu gebracht, dass sie längst sagen: Der Marc ist einer von uns. Dabei war das Kapitel Heidenheim beinahe beendet, bevor es begonnen hatte für den heute 31-Jährigen.

Es war das Jahr 2008, Schnatterer hatte gerade zwei enttäuschende Jahre beim Karlsruher SC II hinter sich. Der 1. FCH hatte ihn schon vor diesem Engagement gewollt, nun stand Holger Sanwald wieder auf der Matte. Und diese Hartnäckigkeit verfehlte ihre Wirkung nicht. „Andere Angebote haben dann eigentlich keine Rolle mehr gespielt“, erinnert sich Schnatterer, der aber auch zugibt: „Es war ja damals auch nicht so, dass ich zehn Paar Schuhe zur Auswahl gehabt hätte.“ Also Heidenheim – doch schon wenig später eine Art Sinnkrise.

Wäre ein Studium nicht die bessere Wahl? Bietet ein normales Leben nicht mehr Sicherheit? „Ich habe mir die Frage gestellt, ob der Fußball wirklich das ist, worin ich meine Zukunft sehe“, sagt Schnatterer – und es bedurfte eines grundlegenden Gesprächs mit Holger Sanwald, ihn in der Entscheidung pro Fußball zu bestärken. „Es war ganz wichtig, dass wir uns damals ausgesprochen haben“, erinnert sich der Kicker, „danach habe ich mich voll auf den Fußball konzentriert.“ Und Sanwald sollte recht behalten mit seinem damals gesprochenen Satz: „Ehen, die so beginnen, halten meistens am längsten.“ Der Beweis ist längst geführt.

Wie Heidenheim nach oben kam

Von der Regionalliga ging es in die dritte Liga, fünf Jahre später stieg der 1. FCH in die zweite Liga auf, derzeit steht er auf Platz fünf. Immer mit dabei: Marc Schnatterer, über den Holger Sanwald sagt: „Gemeinsam mit Trainer Frank Schmidt steht er für unsere erfolgreiche Entwicklung in den vergangenen Jahren.“ Dazu kommt: Strukturell hat sich der Club mitentwickelt. „Das hat mir imponiert“, sagt Schnatterer, „hier ist nichts Knall auf Fall entstanden. Es wurde immer Stück für Stück angepasst.“ Das Stadion steht sinnbildlich dafür.

10 000 Zuschauer passten 2009 in die umgebaute Arena, 13 000 betrug die Kapazität 2013, aktuell passen 15 000 Fans hinein, eine nochmalige Erweiterung ist möglich. Und: Rechtzeitig für das Gastspiel des VfB ist der erweiterte Businessbereich fertig geworden. So ist sogar die Bundesliga längst ein Thema. Auch für Marc Schnatterer.

Der erinnert sich mit glänzenden Augen an den 2:1-Hinspielsieg seines FCH in der Mercedes-Benz-Arena. „Da ist ein Traum wahr geworden“, sagt er, gibt aber auch zu: „Am liebsten hätte ich in der ersten Liga gegen den VfB gespielt.“ Was vermutlich sogar machbar gewesen wäre. Marc Schnatterer hatte jedenfalls nicht nur einmal die Möglichkeit, per Vereinswechsel nach oben zu klettern. Der SC Paderborn war mal ein Thema, auch der FC Augsburg. Doch wusste er auch stets, was er aufgeben würde. Das familiäre Umfeld in Heidenheim. Die Wertschätzung, die ihm Trainer, Verein und Fans entgegenbringen. Die Freiheit, die ihm Frank Schmidt auf dem Spielfeld lässt. Die speziellen Beziehungen, zum Beispiel jene zu einer deutsch-italienischen Familie, über deren Pizzeria er lange Jahre gewohnt hat. Marc Schnatterer sagt: „Ich bin ein Wohlfühlfußballer. Das Drumherum muss stimmen.“ Und keines der Angebote sei letztlich so verlockend gewesen, als dass er diesen Wohlfühlfaktor riskiert hätte. Sein Vertrag in Heidenheim gilt bis 2020.

Sein Vertrag läuft noch bis 2020

Für diese Sache mit dem Oberhaus gibt es daher auch nicht viele Optionen. „In die Bundesliga wechseln werde ich wohl nicht mehr“, sagt Schnatterer und lacht. Es müsste also schon mit dem FCH hochgehen. „Warum sollte das nicht klappen?“, fragt er und ahnt: „Wenn ein Jahr perfekt läuft, können wir oben anklopfen.“ Und wenn nicht? Wird Marc Schnatterer irgendwann („2020 muss nicht meine Deadline sein, ich habe gute Knochen“) dennoch zufrieden seine Karriere beenden – ein Anschlussjob im Club ist längst geplant. „Es gibt nichts, was ich bereue“, sagt er und grinst, als er ergänzt: „Aber vielleicht denkt ja der eine oder andere Verein, dass er eine Chance verpasst hat.“ Womöglich sogar der VfB Stuttgart?

In der D- und C-Jugend kickte der Junge aus Bönnigheim bei den Roten, wurde dann aber für zu klein und schmächtig befunden. Später klopfte Rainer Adrion noch einmal an. Marc Schnatterer wollte sein letztes Schuljahr lieber in der Heimat absolvieren, danach gab es nie mehr eine Anfrage aus Stuttgart. Der aktuell zweitbeste Scorer der zweiten Liga (sieben Tore, acht Vorlagen) nahm den Umweg (SGV Freiberg, KSC, Heidenheim) – der ihn an diesem Freitag doch wieder mit dem VfB zusammenbringt.

In der rustikal schicken Loge wird dann Klaus Mayer sitzen. Viertausender braucht auch der Aufsichtsratschef nicht beim Blick hinaus. So ein Gipfeltreffen mit dem VfB ist ihnen in Heidenheim viel lieber.