Stimmige Raumaufteilung, kollektive Balleroberung, kreative Lösungen auf engstem Raum: Beim 1:6 des VfB Stuttgart in Dortmund sieht Trainer Thomas Schneider Fußball, wie er ihn sich vorstellt – allerdings nur vom Gegner.

Sport: Carlos Ubina (cu)

Stuttgart - Die Hände steckten in den Taschen der roten Trainingshose. Und hätte man die beeindruckende Kulisse von mehr als 70 000 jubelnden Borussia-Fans im Dortmunder Stadion ausgeblendet, dann hätte Thomas Schneider durchaus wie ein Flaneur auf einem Parkrasen wirken können. Doch nach einem Augenblick der Besinnung unter dem Schutz der Trainerbank suchte der Coach des VfB Stuttgart die Nähe zu seinen Spielern, wenngleich ihm nach dem 1:6 sicher 6000 Gründe eingefallen wären, um sich weit weg zu wünschen. Zumindest aber 600, um die Fäuste in der Tasche zu ballen.

 

Doch das ist nicht Schneiders Stil. Er pflegt einen analytischen Umgang mit dem Fußball, in guten wie in schlechten Momenten. Also behielt er seinen Arbeitsmodus einfach bei und gab sich nach der ersten Bundesligapleite unter seiner Regie keineswegs aufgesetzt lässig, sondern strahlte die gewohnte Gelassenheit in der aufgeregten Atmosphäre um ihn herum aus. Aber nicht, dass ein falscher Eindruck entsteht: Schneider ärgert sich über Fehlleistungen. Er schaut auch vor allem, was für ein Ergebnis herauskommt. Er versucht aber ebenso, dies als Trainer emotionsfrei einzuordnen.

„Um in Dortmund etwas mitzunehmen, hätten wir einen Sahnetag gebraucht“, sagt Schneider, „nach unserer Führung haben wir aber den Ball nicht mehr schnell genug bewegt.“ Noch für die Busfahrt nach Hause in der Freitagnacht kündigte der Trainer für sich und seine Assistenten Tomislav Maric und Alfons Higl die ersten Videoanalysen des Spiels an – um es von heute an mit der Mannschaft eingehend aufzuarbeiten.

Die Abwehr befindet sich im Notstand

Dabei befindet sich Schneider nun in der bemerkenswerten Lage, dass er über reichlich Anschauungsmaterial verfügt, um die VfB-Vorstellung von zwei Seiten anzugehen. Er kann den Stuttgartern eine Mängelliste aufführen und diese durch Bildsequenzen der äußerst schwachen Defensivarbeit belegen. Dabei würde sich zeigen, wie Gotoku Sakai und Arthur Boka auf den Außenverteidigerposten sowie Karim Haggui und Daniel Schwaab in der Mitte immer wieder in eine Art Notstand geraten. Oder wie William Kvist und Christian Gentner im zentralen Mittelfeld es nicht schaffen, als Wellenbrecher gegen die BVB-Angriffe zu fungieren und damit Druck von der Abwehr zu nehmen.

Schneider könnte aber auch einfach weite Teile des Dortmunder Spiels vorführen. Darin lässt sich sehr gut sehr viel davon erkennen, wie sich der VfB-Trainer Fußball eigentlich vorstellt. „Eine unglaubliche Geschwindigkeit verbunden mit einer enormen Qualität“, sagt Schneider, dem nur zu bewusst ist, dass dieser BVB nicht der Gradmesser für den VfB ist, auch nicht sein kann.

Es innerhalb einer Begegnung so deutlich noch einmal vor Augen geführt zu bekommen, ist aber schon noch einmal etwas anderes, als nur über die großen Unterschiede zu reden. Denn was die Gäste aus dem Schwäbischen in Westfalen als gewaltige Herausforderung angingen, entwickelte sich mehr und mehr zu einer Überforderung. Stimmige Raumaufteilung, kollektive Balleroberung, kreative Lösungen auf engstem Raum – das alles boten die Dortmunder, während die Stuttgarter in einem fast schon naiven Anflug von Offensivgeist versuchten, selbst nach dem Doppelschlag zum 1:4 weiter mitzuspielen statt sich rein auf Schadenbegrenzung zu konzentrieren.

Nun wartet der SC Freiburg

Nun ist Schneider nicht geneigt, die Aussagekraft eines Spieltages überzubewerten, aber der Trainer bekommt wohl eine immer bessere Ahnung davon, dass ihn Probleme wie die Stabilisierung der VfB-Elf noch eine Weile beschäftigen werden. „Der Trend stimmt aber“, sagt Schneider. Vom fußballerischen Ansatz her betrachtet. Von den Resultaten her gesehen, drohen die Stuttgarter in eine Abwärtsspirale zu geraten, weil vor der Begegnung in Dortmund teilweise ordentlich gespielt, aber eben nur mäßig gepunktet wurde.

„Das wirft dich zurück, wenn du dreimal in Folge unentschieden spielst und dann verlierst“, sagt Fredi Bobic. Dass die bittere Lektion von Dortmund aber zu schwer auf der Seele der Mannschaft liegt, glauben jedoch weder der Manager noch der Trainer. Vielmehr soll vor dem Spiel am Sonntag beim SC Freiburg die Enttäuschung ganz nüchtern eingeordnet werden, um umgehend die Lehren daraus zu ziehen.