Den Gegner im Blick: In Krisenzeiten gibt der VfB-Gegner KRC Genk den Menschen in der flämischen Stadt Halt. Und das, obwohl viele sich nicht einmal den Eintritt ins Stadion leisten können. Erst kürzlich hat Ford sein Werk in Genk geschlossen.

Stuttgart - Über die Anzeigentafel flimmern einzelne Angebote für Billigjobs. Noch ist an diesem eiskalten Februarsonntag kein Tor gefallen im Spiel des Koninklijke Racing Club gegen den Club Brügge. In der 65  000-Einwohner-Stadt Genk, knapp 60 Kilometer nordwestlich von Aachen in der belgischen Provinz Limburg gelegen, lässt sich die Realität auch im Fußballstadion nicht mehr aussperren.

 

Es war am 24. Oktober, als der amerikanische Autokonzern Ford die Schließung seines Genker Werkes ankündigte. Im Süden der Stadt, direkt am Maas-Schelde-Kanal gelegen, arbeiten 4500 Menschen – doch nun ist Ende nächsten Jahres Schluss. Der mit Abstand größte Arbeitgeber verlässt die Region, was weitere 5000 Stellen in der Zulieferindustrie kosten wird. „Das ist ein Albtraum, eine Katastrophe für Genk und für die Region“, sagte der Bürgermeister Wim Dries nach Erhalt der schlechten Nachricht.

Viele Arbeitslose können sich das Spiel nicht leisten

Die Stimmung in seiner Stadt ist seither aufgewühlt und aggressiv. „Hurensohn Odell“ hat jemand quer über eine Werkshallenwand geschrieben. Gemeint ist Stephen Odell, der Europachef des Autobauers. Eine Stunde vor dem Anpfiff des Spiels gegen Brügge wärmen sich zwei Männer, die unter normalen Umständen jetzt auf dem Weg ins Stadion wären, ihre Hände am Feuer einer brennenden Holzpalette. Das Werkstor ist versperrt mit zwei ausgebrannten Autos – Andenken an die gewaltsamen Streiks und Proteste gegen die Schließung. „Viele, die hier arbeiten, sind Racing-Fans“, sagt einer der Männer am Tor, „ob wir es uns als Arbeitslose noch leisten können, zu den Spielen zu gehen, muss man sehen.“ Ein Kollege fügt hinzu: „Es wird schwierig für die Region – auch für den Fußball.“

Für die nächste Saison bekommen Ford-Arbeiter die Dauerkarte zum halben Preis. Die Vereinskasse ist noch gut gefüllt nach dem Verkauf dreier Spieler der Meistermannschaft von 2011. Der junge Verein, 1988 aus einer Fusion der Clubs KSV Waterschei und KFC Winterslag hervorgegangen, weiß, dass es auch um seine Zukunft geht. „Viele Ford-Angestellte und ihre Familien sind treue Fans“, hieß es direkt nach der Unternehmensankündigung auf der Internetseite des KRC: „Die Werksschließung trifft unsere Gemeinschaft ins Herz.“ Entsprechend gab es eine Solidaritätsveranstaltung im Stadion vor dem Spiel gegen Standard Lüttich. Die Freikarten für die Arbeiter brachten der Trainer Mario Been und seine Spieler persönlich vorbei. Besonders viel Applaus bekam Jelle Vossen – nicht nur weil er Kapitän und mit 16 Ligatoren erfolgreichster Torschütze des Vereins ist, sondern vor allem weil sein Vater im Werk arbeitet.

„Im Angriff haben wir mehr Möglichkeiten als sonst irgendwo“

Im Spiel gegen den Abstiegskandidaten Beerschot am vergangenen Wochenende hat er wieder zweimal getroffen. In der Partie gegen den Tabellenzweiten Brügge geht Vossen ausnahmsweise leer aus – die Tore beim 4:1-Erfolg schießen andere: der Israeli Elyaniv Barda etwa nach einem Alleingang. Einzelaktionen sind aber die Ausnahme. Sonst geht es in der knapp 25.000 Zuschauer fassenden Cristal-Arena regelmäßig über die schnellen Außen Khaleem Hyland aus Trinidad und Steven Joseph-Monrose aus Frankreich schnurstracks nach vorne. Fans wie Leo Kurt gefällt’s: „Dass wir dieses Jahr nicht um die Meisterschaft mitspielen, macht mir nicht so viel aus, weil die Spiele immer schön anzuschauen sind.“

„Im Angriff haben wir mehr Möglichkeiten als irgendwo sonst“, sagt der Trainer Mario Been. Die ein oder andere Abwehrschwäche ist auch gegen Brügge unübersehbar, dennoch steht das Team nach zuletzt zwei Siegen in Folge auf Platz drei. „Wir können an guten Tagen gegen jede Mannschaft gewinnen“, ergänzt der Assistenztrainer Pierre Denier, „verlieren aber zu oft gegen Teams, die unten drinstehen.“

Stuttgarts Kondition

Gute Chancen also für den VfB, könnten böse Zungen nun behaupten. Doch Denier weiß natürlich, dass in der Bundesliga generell auf höherem Niveau gespielt als in Belgien und sagt: „Stuttgart hat eine konditionsstarke Mannschaft.“ Gleichzeitig berichtet er, dass der zweite Co-Trainer, Hans Visser, der sich den VfB-Auftritt in Düsseldorf angeschaut hat, nicht unbedingt beeindruckt war: „Da hat er keine Angst bekommen.“ Denier war beim 1:4 gegen Bremen im Stadion und dürfte seitdem auch keine schlaflose Nächte haben.

„Die Chancen gegen den VfB“, sagt Trainer Mario Been, „stehen 50:50.“ Für die Ford-Mitarbeiter in Genk gibt es keine mehr, für den Fußballverein in der Stadt schon. „Die Krise hat uns zusammengeschweißt“, sagt der Fan Eerdekens Starckx.