Der Hamburger SV und der VfB Stuttgart haben eine Sache gemeinsam: Beide Vereine stecken im Neuaufbau. Doch die Stimmung könnte unterschiedlicher kaum sein.

Stuttgart - Es war schon wieder hell geworden, als die lange Partynacht in die Verlängerung ging. In Erikas Eck, dem Kultlokal in der Hamburger Sternschanze, landete die vom HSV-Trainer Bruno Labbadia angeführte Feiergesellschaft, nachdem der Club dem Abstieg in den Relegationsspielen gegen Karlsruhe auf wundersame Weise entkommen war. Es wurde viel gelacht und noch mehr getrunken – und am nächsten Abend, erinnert sich Labbadia, „ging es mit dem Feiern gleich weiter“.

 

Knapp vier Monate später ist von der Partystimmung in Hamburg rein gar nichts übrig geblieben. Im Gegenteil: an diesem Samstag empfängt der HSV den VfB – und in Hamburg sagen sie, dass es im Laufe der ununterbrochenen Bundesligazugehörigkeit seit der Gründung im Jahr 1963 noch kein erstes Saisonheimspiel gegeben hat, das von so großer Bedeutung war. Schon wieder ist der HSV Tabellenletzter, und noch schlimmer: schon wieder hat das Chaos den Verein fest im Griff.

Hamburg gegen Stuttgart, das ist das Duell der beiden Bundesligadampfer, die in den vergangenen Jahren in schwere Seenot geraten sind. Beide wären in der letzten Saison zum wiederholten Male fast abgestiegen; beide sehnen sich nach Ruhe und sind dabei, neu aufzubauen; beide haben zum Saisonauftakt schon wieder verloren. Doch könnte die Stimmungslage an beiden Standorten unterschiedlicher kaum sein.

Mit begeistertem Beifall sind die Stuttgarter Spieler verabschiedet worden, nachdem sie am Sonntag im eigenen Stadion mit 1:3 gegen Köln verloren hatten. Anders als in den vergangenen Jahren war die Arena restlos ausverkauft; und viel mehr Zuschauer als früher standen auch in den Tagen danach neben dem Trainingsplatz. So gut und so hoffnungsvoll wie lange nicht ist die Stimmung rund um den Verein – „die Euphorie“, sagt der Trainer Alexander Zorniger, „ist überall zu spüren“.

Eine bundesweite Lachnummer

Auch in Hamburg haben sie im Sommer vom Aufbruch in bessere Zeiten gesprochen. Zuversicht gab die gute Vorbereitung und die Trennung von Leuten wie Rafael van der Vaart und Heiko Westermann, den Symbolfiguren der ewigen Krise. Doch genügte ein Wochenende, um alles wieder einzureißen und zur bundesweiten Lachnummer zu werden. Erst blamierte sich der HSV beim Viertligisten Jena und musste nach dem Pokalaus randalierende Fans bändigen. Dann wurde bekannt, dass in einem Hamburger Park ein Rucksack mit Gehaltslisten gefunden wurde, der dem Sportchef Peter Knäbel angeblich gestohlen wurde. Das Landeskriminalamt ermittelt inzwischen im „Rucksack-Gate“.

Mit dem bescheidenen Ziel, kein Debakel zu erleben, reiste der HSV zum Ligaauftakt nach München – und war mit dem 0:5 noch gut bedient. Es trug anschließend nicht zur Beruhigung der Lage bei, dass der Boulevard darüber berichtete, das neu verpflichtete Abwehrraubein Emir Spahic habe seine Mitspieler als „Pussies“ bezeichnet und ihnen Prügel angedroht. Nur wenig half es, dass Labbadia („Wir halten für nichts her, was gar nicht passiert ist“) widersprach.

Beim VfB sieht man vor, während und nach jedem Training die Mannschaft eng umschlungen im Kreise stehen – mittendrin der neue Trainer, der den Teamgeist besonders wichtig findet und auch sonst alles anders macht als seine Vorgänger. Zu einem Spektakel will Zorniger die VfB-Spiele machen – und weiß gleichzeitig, dass Punkte noch wichtiger sind: „Wir müssen die Euphorie möglichst schnell mit positiven Ergebnissen unterfüttern.“

Viel Beifall von den Fans

Dazu soll auch die Personalpolitik von Robin Dutt beitragen, der es in den Wirren des Abstiegskampfes geschafft hat, zum starken Mann des VfB zu werden. Nach dem Klassenverbleib schürte der Manager die Aufbruchstimmung und bekam viel Beifall von den Fans, als er öffentlich die Kaderplanung seines Vorgängers Fredi Bobic in Schutt und Asche redete und von einer „Mannschaft ohne Struktur“ sprach. Erstaunlicherweise empfindet es Dutt nun als „Statement“, dass die Stammelf nahezu unverändert geblieben ist. Zumindest den Torhüter tauschte er aus – doch dann war es ausgerechnet der neu verpflichtete Pole Przemyslaw Tyton, der die Niederlage gegen Köln einleitete.

Beim HSV wären sie schon froh, wenn es überhaupt einen starken Mann gäbe, ganz egal wie der sich die Wahrheit zurechtlegt. Als vermeintlicher Erlöser ist im vergangenen Jahr Dietmar Beiersdorfer zurückgekehrt und hat den Vorstandsvorsitz übernommen. Doch ist er nach drei zum Teil bizarren Trainerwechseln im Vorjahr und den jüngsten Turbulenzen in diesem Sommer inzwischen stark angeschlagen. Vorübergehend abgetaucht ist nach der Rucksackaffäre der Sportchef Peter Knäbel – und hat in der Vereinsführung eine vergiftete Atmosphäre geschaffen.

Bleibt nach Meinung der schon wieder verzweifelten HSV-Fans nur ein Mann, der ihren einstmals stolzen Club noch einmal retten kann: Bruno Labbadia, der Partylöwe aus Erikas Eck und Brandlöscher an allen Fronten. „Am Arsch geleckt“, hat er einst beim VfB gesagt, als es nicht nach seinen Vorstellungen lief. Nun erklärt er: „Ich habe immer wieder Bock drauf.“