VfB-Trainer Alexander Zorniger ist überzeugt, dass sich die Stuttgarter Niederlagen aus zu wenig Zorniger-Fußball ergeben – und nicht aus zu viel. Auch nach dem 0:4 beim FC Bayern bleibt er bei dieser Meinung.

Sport: Carlos Ubina (cu)

München - Bei Alexander Zorniger hat es ganz schön gekribbelt. Schon lange vor dem Anpfiff in München hatte sich dieses Gefühl beim Trainer des VfB Stuttgart breit gemacht, das sich aus der Anspannung und dem Anreiz ergibt, erstmals beim großen FC Bayern als Chefcoach anzutreten. Auch aus der Herausforderung, der Übermannschaft der Fußball-Bundesliga und ihrem besessenen Trainer eine Aufgabe zu stellen, die sie nicht so einfach im Vorbeigehen bewältigen.

 

Und dann kribbelte es in der Halbzeit wieder gewaltig. Aber ganz anders. Eher so, dass es Zorniger die Nackenhaare aufstellte. Zumindest hat es der 48-Jährige so beschrieben, als er etwas tat, was nicht seinem Naturell entspricht. Was sogar als Verrat an seiner eigenen fußballerischen Überzeugung interpretiert werden kann.

Hoffnungslos unterlegen und heillos überfordert

„Ich kann mich jedenfalls nicht daran erinnern, jemals zuvor etwas angewiesen zu haben, das rein auf Torsicherung aus war“, sagt Zorniger. Doch sein Team brauchte neuen Halt und bei jeder anderen Maßnahme, als den VfB weiter nach hinten zu beordern, hätte sich der Trainer der unterlassenen Hilfeleistung an der eigenen Mannschaft schuldig gemacht. 0:4 stand es zur Halbzeit (wie auch am Ende) und alle 75 000 Besucher im ausverkauften Stadion konnten schon früh zwei Schlüsse ziehen – ganz gleich, ob sie das Südderby oberflächlich betrachteten oder bis in die tiefste Tiefe analysierten: Die Stuttgarter waren hoffnungslos unterlegen und sie waren heillos überfordert.

Beides führte dazu, dass die Systemkritiker sich früh bestätigt fühlten und den VfB als dankbares Opfer abqualifizierten, weil er zu offensiv und zu offen antrat. Die Systembefürworter fanden dagegen keine Argumente, die für das Stuttgarter Spiel sprachen. Denn Zornigers Taktik hatte ja vor allem einen Fehler gehabt: Sie hielt nur bis zur elften Minute. Dann führte der VfB einen Eckball stümperhaft aus, Emiliano Insúa traf den Ball nicht richtig – und schon brach das Unheil in Sekundenschnelle über die Schwaben herein. Ruckzuck von einem Strafraum in den anderen ging es – und prompt hieß es 1:0 durch Arjen Robben.

Gentner spricht von „Naivität“

Das Spiel hatte also schnell seine Schlüsselszene und Zorniger musste sich einer Frage stellen, die er eigentlich gar nicht hören wollte. Eine Frage, die er auch unausgesprochen mit seinem Prinzip des hohen Verteidigens verknüpft sah: Wie kann man den Überschall-Bayern nur so eine Gelegenheit zum Kontern anbieten? Der erfahrene Kapitän Christian Gentner nennt das „Naivität“, der junge Stürmer Timo Werner meint: „Wir haben den Bayern gegeben, was man den Bayern nie geben darf: Raum.“

Das Problem bei der Suche nach einer Antwort für die Chancenlosigkeit war jedoch, dass Zorniger diesen einen Eckball so gar nicht angeordnet hatte. Dass er zwar eine kurze Variante als Option hatte einstudieren lassen, aber seiner Elf sehr wohl mit auf den Weg gab, Sicherungen in das eigene Spiel einzubauen. Nur: das Gegenteil trat ein und der Trainer wähnte sich einmal mehr in eine Grundsatzdebatte über Sinn und Unsinn seiner Spielidee verstrickt.

Guardiolas Lob

Für Pep Guardiola ergibt die Arbeit seines Kollegen auf jeden Fall Sinn. Der Bayern-Coach schwang sich sogar zum bisher prominentesten Fürsprecher auf. „Ich mag das Spiel mit dieser Mentalität – nach vorne zu gehen“, sagt Guardiola. Und auch wenn es der Spanier nie so formulieren würde, für ihn ist das Spiel nach vorne, das frühe Attackieren alternativlos. Das macht für Guardiola Fußball überhaupt aus: Erst kommt die Idee, dann die Entwicklung und daraus ergeben sich schließlich die Erfolge. Selbst wenn Guardiola als Ballbesitz-Fetischist einen grundsätzlich anderen Ansatz pflegt als Zorniger mit seinem „Spiel gegen den Ball“, auf dem alles andere fußt.

Doch im Moment befinden sich die Stuttgarter im Sog der miesen Resultate. Die vielen Niederlagen überlagern alles andere. Und während sich Guardiola nicht damit beschäftigen muss, warum das VfB-Spiel nicht zu den gewünschten Ergebnissen führt, steckt Zorniger in einem Teufelskreis. Er weiß, dass sein Fußball auch den unverwundbar erscheinenden Bayern weh tun kann. Er muss sich aber ständig dafür rechtfertigen, warum der VfB trotzdem verliert. Dabei ist der Trainer überzeugt davon, dass sein Team verliert, weil es zu wenig à la Zorniger spielt und nicht zu viel.

„Ich glaube aber nicht, dass die Niederlage gegen die Bayern bleibende Schäden hinterlässt“, sagt Zorniger. Denn der Tabellenführer ist schon lange nicht mehr der Maßstab für den Abstiegskandidaten. Vielmehr der FC Augsburg, Tabellenletzter und nächster Gegner nach der Länderspielpause. Da wird es wieder gewaltig kribbeln.