Mit dem Start in die Vorbereitung beginnt für Jürgen Kramny die Zeit, in der er die Dinge erstmals richtig selbst gestalten kann. Der VfB-Trainer hat klare Ideen – die sich wesentlich von denen seines Vorgängers unterscheiden.

Stuttgart - Unterm Weihnachtsbaum hat Jürgen Kramny endlich die Zeit gefunden, ein bisschen zur Ruhe zu kommen. Es ging ja auch alles so schnell in den Wochen zuvor. Erst die Ernennung zum Interimstrainer des VfB, dann die vielen Spiele mit den ewigen Debatten über seine Zukunft und schließlich die Beförderung zum Chefcoach nach dem 3:1-Sieg gegen Wolfsburg. Ziemlich viel auf einmal für einen Mann, der vor Kurzem noch fürchten musste, als Trainer der zweiten VfB-Mannschaft abgelöst zu werden – und nun der große Hoffnungsträger bei den Profis ist.

 

„Es war gut und wichtig, etwas abschalten zu können“, sagt Kramny, als am Montag die Vorbereitung auf die Rückrunde beginnt: „Jetzt freue ich mich, dass es wieder losgeht.“ Von nun an muss der Trainer nicht mehr nur ganz kurzfristig denken wie in den letzten Wochen des alten Jahres, als ein Spiel auf das andere folgte und nur kleinere Veränderungen möglich waren. Jetzt kann er erstmals damit beginnen, die Dinge selbst zu gestalten. An Arbeit wird es ihm nicht fehlen – denn schon möglichst bald soll beim VfB der Abstiegskampf der Vergangenheit angehören: „Wir wollen den 15. Tabellenplatz nicht halten“, sagt Kramny, „wir wollen uns verbessern.“

Der Teamgedanke steht bei Kramny über allem

An diesem Dienstagmorgen fliegt die VfB-Mannschaft ins Trainingslager nach Belek. Wie üblich soll dort an Grundlagenausdauer und Kraft gearbeitet werden – ein Schwerpunkt wird aber auch die Stärkung des Mannschaftsgeistes sein. „Der Teamgedanke steht über allem. An ihm müssen wir arbeiten“, sagt Kramny. Das ist keine revolutionär neue Idee – mit dem exakt gleichen Vorhaben ist auch sein Vorgänger Alexander Zorniger ans Werk gegangen. Ansonsten aber lässt sich nicht viel finden, was die beiden Trainer in ihrer Herangehensweise gemeinsam hätten.

Unvergessen ist es, wie Zorniger bei seiner Antrittsrede sein alternativlose Spielsystem der Vorwärtsverteidigung erläuterte und davon sprach, dass seine Mannschaft gegen jeden Gegner auf die gleiche Weise zu Werke gehen werde. Dass dieser radikale Ansatz zu einer Flut an Gegentoren und bis auf den letzten Tabellenplatz geführt hat, das hat auch Kramny registriert. Seine Regierungserklärung zu Jahresbeginn liefert nun den Gegenentwurf zu Zornigers Thesen: „Das System ist nicht so wichtig. Wichtiger ist, dass wir Spiele gewinnen.“ Man werde von Spiel zu Spiel schauen, was das Beste für die Mannschaft sei, in welcher taktischen Formation die Erfolgsaussichten am größten seien.

In Zukunft soll es wieder über die Flügel gehen

Erste Anhaltspunkte haben die letzten Vorrundenspiele geliefert, in denen die Mannschaft die altbekannte Spielweise wiederaufleben ließ: hinten kompakt und vorne mit Kontern, idealtypisch praktiziert zum Abschluss gegen Wolfsburg. „Man hat gesehen, dass die Dinge funktionieren können, wenn die Spieler auf ihren besten Positionen eingesetzt werden“, sagt Kramny. Vorbei sind also die Zeiten, in denen beispielsweise der Flügelstürmer Filip Kostic auf Wunsch des Trainers das Zentrum entdecken sollte. „Wir spielen durch die Mitte, weil das der kürzeste Weg zum Tor ist“, sagte einst Zorniger. „Das Spiel über die Flügel ist ein gutes Mittel, um nach vorne durchzukommen“, sagt nun Kramny.

Auch deshalb hat sich der Trainer sehr dafür eingesetzt, Kevin Großkreutz nach Stuttgart zu holen, einen Mann, der auf den Außenpositionen seine Stärken hat. Letzte Zweifel hat ein persönliches Treffen mit dem früheren Dortmunder ausgeräumt, der nach dem missglückten Ausflug in die Türkei wild entschlossen ist, einen Neuanfang in Stuttgart zu unternehmen: „Wenn man einem Fußballer in die Augen schaut, merkt man schnell, ob es einer ernst meint“, sagt Kramny und berichtet davon, dass Großkreutz „Feuer und Flamme“ gewesen sei. Neben der „wahnsinnigen Qualität“, über die der Weltmeister verfüge, erhofft sich der Trainer vor allem, „dass er Mentalität in die Mannschaft bringt“.

Gesucht wird noch ein neuer Innenverteidiger

Der Leihstürmer Artem Kravets wiederum, groß und kräftig, soll die Möglichkeiten im Angriff vergrößern, zumal Martin Harnik und Daniel Ginczek nicht mit in das Trainingslager in die Türkei fliegen und noch länger ausfallen. „Er ist eine richtig gute Option und genau der Spieler, den wir gesucht haben“, sagt Kramny. Zu seinem Glück fehlt jetzt nur noch ein neuer Innenverteidiger. „Wenn es einen gibt, der bezahlbar ist und uns weiterhilft, werden wir versuchen, ihn zu verpflichten.“ Und wenn nicht, gibt es ja immer noch Georg Niedermeier. Noch so ein Fall, den Jürgen Kramny ganz anders behandelt als sein Vorgänger.