Das 1:3 gegen Köln hat gezeigt, dass der VfB Stuttgart ein gutes Spiel und ein gutes Resultat noch nicht zusammenbringt. Doch der Fußball-Bundesligist macht Fortschritte.

Sport: Carlos Ubina (cu)

Stuttgart - Als Przemyslaw Tyton nach vorne stürmt, da hallt noch einmal ein Schrei durch die Stuttgarter Fußballarena. Als habe jemand in der Stadionregie den Lautstärkenregler bis zum Anschlag nach oben geschoben, um zur letzten Attacke zu blasen, denn es läuft die Nachspielzeit und alle im Stadion sehen, dass der Torwart seiner Elf helfen will, die er zuvor in die Bredouille gebracht hat. Dass er nicht wie ein Gefangener im eigenen Strafraum verharren will, solange der VfB die Chance hat, aus dem Rückstand ein Unentschieden zu machen.

 

Doch der Eckball von Alexandru Maxim findet weder den Kopf von Tyton noch auf andere Art den Weg ins Tor des 1. FC Köln. Kurz darauf heißt es sogar 1:3 statt 2:2. Es ist der Schlusspunkt einer Begegnung, die der VfB-Trainer Alexander Zorniger „bitter“ nennt, wenn er sie vom Resultat her betrachtet. Und der Kapitän Christian Gentner meint hinterher, dass „Frust“ ein treffender Begriff sei, um seine Gemütsverfassung zu beschreiben.

Die Daueroffensive verpufft

Dabei haben die Stuttgarter lange Zeit Lust auf mehr gemacht. Unaufhörlich haben sie den Ball gejagt, wie es der neue Chefcoach verlangt. Unnachgiebig haben sie Druck auf die Gäste aus dem Rheinland aufgebaut. Unermüdlich sind sie nach vorne gerannt. Doch die Daueroffensive ist verpufft, weil der erfolgreiche Abschluss gefehlt hat. „Vielleicht hatten die Spieler bei der Vielzahl an Tormöglichkeiten das Gefühl, die nächste kommt schon wieder“, sagt Zorniger. Sie kam dann auch immer wieder – nur: in Martin Harnik kam dann häufig der an diesem Abend falsche Angreifer zum Torschuss. Dem Stürmer mangelte es an Klarheit und Konsequenz in einigen seiner verheißungsvollen Aktionen.

Dennoch herrschte auf den Rängen weitaus weniger Unzufriedenheit als auf dem Platz. Die VfB-Fans ließen sich vom ungewohnten Tempofußball ihrer Lieblinge gerne mitreißen, trieben das Team ihrerseits auch immer wieder an, so dass sich ein stimmungsvolles Zusammenspiel ergab. „Die Akustik der Fans ist ein Barometer für unser Spiel“, sagt der Manager Robin Dutt, „sind sie laut, sind wir gut im Balljagen. Sind sie nicht laut, dann stimmt etwas nicht in unserem Spiel.“

Gemessen am Geräuschpegel passte dann vieles im Stuttgarter Spiel, schließlich herrschte gegen Köln kaum eine Minute Ruhe im Stadion. Weder kam der Gegner zum Durchschnaufen, noch konnten sich die Besucher lange an einer Szene aufhalten, denn es folgte ja schon der nächste Aufreger. „So werden wir das ganze Jahr über spielen“, sagt Zorniger. Das ist sein Fußball. Mit hohem Aufwand und viel Herz. Mit hohem Risiko und reichlich Spektakelpotenzial. „Ich glaube, es wird in Zukunft sehr schwierig, hier Punkte mitzunehmen“, meint der FC-Coach Peter Stöger.

Auch, weil sich die neu entflammte Liebe zwischen der Anhängerschaft und ihrem VfB als fester erweisen könnte, als viele nach den zähen Jahren im Abstiegskampf glauben. „Wir brauchen die Fans, um eine Energie aufzubauen, die den Gegner beeindruckt“, sagt Dutt. Und die Fans spüren, dass nach langer Zeit der fußballerischen Dürre etwas entstehen könnte, das Erlebnis und Ergebnis, Spaß und einen akzeptablen Tabellenplatz zusammenbringt.

Brisante Begegnung in Hamburg

Doch dafür braucht es beim VfB auch das dritte große E – für Entwicklung. Und dafür braucht es neben der emotionalen Spielweise wiederum kühle Effektivität. Um eigene Treffer zu erzielen und auch Gegentore zu verhindern, wie das Beispiel Köln aufgezeigt hat, denn nachdem der herauseilende Torhüter Tyton den heranstürmenden FC-Angreifer Anthony Modeste von den Beinen geholt hatte und es 0:1 hieß, fehlte der VfB-Elf auf dem Platz ein Moment des Innehaltens, ein Augenblick des sich Sammelns und neu Sortierens.

So kam es ohne den verletzten Serey Dié, den Mann für das retardierende Moment im VfB-Spiel, zum Doppelschlag durch den von Modeste verwandelten Elfmeter (75.) und Simon Zoller (77.). Und so steht der VfB nach dem Anschlusstor von Daniel Didavi (79./Foulelfmeter) und dem endgültigen K. o. durch Yuya Osako (90.) jetzt vor einer Situation, die sich schon psychologisch heikel auswirken könnte. Am Samstag geht es zum Hamburger SV: zum Duell der beiden um einen Neuanfang ringenden Traditionsvereine, die ihren Bundesligastart vermasselt haben. Auf ganz unterschiedliche Weise zwar, aber mit dem vergleichbaren Resultat, dass sie schon wieder unten in der Tabelle zu finden sind.

„Wenn wir aber weiter so schnell lernen, dann mache ich mir für die Zukunft keine Sorgen“, sagt Zorniger. Und zu den Lektionen für Trainer und Team wird es wohl gehören, dem Rausch der Geschwindigkeit nicht total zu verfallen, sondern das Wilde am VfB-Spiel zu dosieren. Doch noch ist es Zorniger lieber, seine Mannschaft (in Hamburg voraussichtlich wieder mit Serey Dié) greift zu ungestüm an als gar nicht.