Die Stuttgarter haben im Sommer die Verpflichtung des Talents abgelehnt, das dafür jetzt bei Borussia Dortmund für Aufsehen sorgt. Damit hat der VfB Stuttgart mal wieder eine Chance verpasst.

Stuttgart - Robin Dutt blickt auf einen heißen Sommer zurück. Mit insgesamt 16 Spielern hat der VfB-Sportvorstand da mehr Leute aus seinem Kader abgegeben als jemals zuvor in der Vereinsgeschichte während einer einzigen Transferperiode – von A wie Abdellaoue bis Y wie Yalcin. Das ist die eine Seite. Dem gegenüber stehen jedoch immerhin auch acht Neuzugänge. Leicht hätten es neun sein können, und diese neunte Verpflichtung wäre vermutlich sehr wertvoll für den VfB geworden – nach dem Stand von heute sogar wertvoller als die acht Einkäufe, die Dutt in den vergangenen Wochen tatsächlich getätigt hat. Aber der Reihe nach.

 

Wenn die Fans gerade über die Gewinner und Verlierer des Saisonauftakts in der Fußball-Bundesliga diskutieren, macht bei den Gewinnern ein Name besonders oft die Runde: Julian Weigl aus Dortmund, der an diesem Dienstag 20 Jahre alt wird. Er gilt als die Entdeckung der ersten drei Partien, da den von 1860 München zur Borussia gekommenen Mittelfeldspieler zuvor kaum jemand gekannt, geschweige denn auf der Rechnung hatte. Das wäre die große Chance für den VfB gewesen, doch er hat sie nicht genutzt.

Der VfB wollte nicht

Dabei waren die Voraussetzungen hervorragend. Weigl hätte sich ein Engagement auf dem Wasen sehr gut vorstellen können. Nach StZ-Informationen war das für ihn lange die erste Wahl. So gab es Kontakte zwischen seinem Berater und dem Management des VfB mit Dutt und seinem Scoutingchef Ralf Becker. Ein Gespräch fand statt, aber das hätten sich die Beteiligten eigentlich auch sparen können. Denn das Thema war im Prinzip erledigt, bevor es überhaupt eingehender beleuchtet werden konnte. Der VfB wollte Weigl nicht. Er hatte erhebliche Zweifel an den Qualitäten des Talents, was zu einem schnellen Ende der Verhandlungen führte – mit der Begründung der Stuttgarter Delegation, dass dieser Spieler schlicht den Ansprüchen ihres Clubs nicht genügen würde. Punkt, fertig.

Für die Position von Weigl holte der VfB dann lieber Lukas Rupp (24) aus Paderborn, der sich aber bis jetzt wie die sieben anderen Neuzugänge vielleicht einmal abgesehen von Emiliano Insua nicht als die erhoffte Verstärkung erwiesen hat. So überzeugend wie Weigl in Dortmund ist beim VfB jedenfalls noch keiner aufgetreten – nicht mal ansatzweise.

Dabei hat die Borussia auch Ansprüche, sogar höhere als die zuletzt mehrfach nur ganz knapp dem Abstieg entronnenen Stuttgarter. Aber in ihr Raster passte Weigl. So hieß es: zu schlecht für den VfB, aber gut genug für Dortmund. Die sportliche Leitung und die Talentspäher der Westfalen erkannten, welches Potenzial in dem Mann steckt, der 38 Zweitligaeinsätze für 1860 München bestritten hat. Die Dortmunder zahlten eine vergleichsweise geringe Ablöse von 2,5 Millionen Euro – weniger etwa als der VfB nun in den Bosnier Toni Sunjic (26) aus Krasnodar investierte. Und sofort hat Weigl den elf Millionen Euro teuren Einkauf Gonzalo Castro verdrängt.

Falsche Einschätzungen

Castro ist Nationalspieler – und Weigl nach Meinung vieler Experten bald auch. Aber schon jetzt ist sein Marktwert deutlich gestiegen. Diese Entwicklung verfolgt der VfB natürlich. Er liegt mit null Punkten auf dem vorletzten Tabellenplatz, die Borussia ist Spitzenreiter mit neun Zählern – und mit Weigl.

Weil Dutt nicht so viel Geld wie manche Kollegen zur Verfügung hat, ist er eigentlich auf derart kreative Transfers angewiesen. Diese Möglichkeit wurde aktuell verpasst – und vor einem Jahr bei Abdul Rahman Baba (21), der damals für die gleiche Ablöse wie Weigl nach Dortmund von der SpVgg Greuther Fürth zum FC Augsburg wechselte. Zwölf Monate später legte der FC Chelsea für ihn 25 Millionen auf den Tisch. Statt für Baba entschied sich der VfB einst übrigens für Adam Hlousek (26).

Die Geschichte wiederholte sich bei Weigl. Fast direkt vor seiner Haustür übersieht der VfB junge Perspektivspieler oder er schätzt zumindest deren Veranlagung falsch ein. Dazu kommt noch das eigene Anspruchsdenken, das sich explizit in der Absage für Weigl geäußert hat. Offenbar ist die Selbstwahrnehmung beim Meister von 2007 nach wie vor eine andere als es die Wirklichkeit von 2015 hergibt. Auch das ist eine Erkenntnis dieses heißen Sommers.