Der Trainer erreicht seine Spieler und widerlegt so die Zweifler, die es auch intern beim VfB Stuttgart lange gegeben hat. So ähnlich war es auch einst bei Joachim Löw.

Stuttgart - Nach diesem mitreißenden Duell hätte Jürgen Kramny wirklich verrückte Sachen machen können – zum Beispiel im Huckepack mit seinem Assistenten Kai Oswald über das Feld stolzieren oder passend zum Fasching eine Polonaise mit den Spielern starten. Aber stattdessen jubelt er nur ganz kurz, indem er den rechten Arm in die Höhe streckt.

 

Kramny hätte in diesem Augenblick auch verwegene Sätze formulieren können – etwa, dass sich seine Mannschaft endgültig gefunden hat oder dass der 4:2-Sieg bei der Frankfurter Eintracht für den VfB Stuttgart der Aufbruch in eine bessere Zeit war. Manch anderer Trainer hätte sich wohl so oder so ähnlich ausgedrückt, aber Kramny sagt stattdessen lediglich, „dass das ein schweres Spiel war, in dem wir auch Glück hatten“.

Willkommen in der Realität. Der VfB hat in der Bundesliga viermal nacheinander gewonnen, was seit fünf Jahren nicht mehr passiert ist. Wenn das kein Grund ist, um ein bisschen auf die Pauke zu hauen. Doch Kramny bleibt Kramny. Er ballt nur kurz die Faust und wählt dezente Worte.

Ein Zampano sieht anders aus. Vielmehr verhält sich Kramny nach dem Schlusspfiff so, wie er sich vermutlich auch verhalten würde, wenn sein Team jetzt viermal in Serie verloren hätte – denn er sei einfach in jeder Situation total normal und das komme an bei den Profis, heißt es dazu beim VfB. Oder um direkt mit dem Manager Robin Dutt zu sprechen: „Er nimmt sich nicht so wichtig – und dadurch macht er andere in seiner Umgebung wichtig.“

Der Vorstand hatte Bedenken bei Kramny

In diesem Stil loben ihn gerade alle im Club. Von Fleiß ist die Rede und von Ehrlichkeit, Bescheidenheit und Gelassenheit. Tenor: wir haben ja von Anfang an gewusst, dass er ein Guter ist. Dabei hat Kramny eine solche Wertschätzung nicht immer erfahren. So gab es vor dem Amtsantritt von Dutt vor rund einem Jahr erhebliche Bedenken in dem damals nur aus dem Präsidenten Bernd Wahler und dem Finanzchef Ulrich Ruf bestehenden Vorstand, ob der auslaufende Vertrag des zu diesem Zeitpunkt für die zweite Mannschaft zuständigen Trainers überhaupt verlängert werden soll. Das geschah dann doch, aber nur auf Betreiben des alten Sportdirektors Jochen Schneider.

Und Ende September 2015 stand Kramny intern erneut auf der Kippe, nachdem er mit seinem Team aus den ersten zehn Saisonspielen nur fünf Punkte eingefahren hatte. Damit belegte der VfB II den letzten Tabellenplatz in der dritten Liga. Dann folgte ein 3:0 gegen Fortuna Köln, aber heute ist erste Liga und Frankfurt – und alle haben das ja schon immer gewusst.

„Oh, wie ist das schön“, singen die Fans während der 90 Minuten. Sie genießen das. „Oh, wie ist das schön“, haben sie auch bei der 0:4-Pleite gegen den FC Augsburg am 21. November gesungen – voller Hohn und Spott. „Wir sind ja immer noch die gleiche Mannschaft wie in der Hinrunde“, sagt der wegen einer Gelb-Roten Karte am Samstag gegen Hertha BSC gesperrte Daniel Didavi. Die gleiche Mannschaft, jedoch ist in Kramny für Alexander Zorniger ein anderer Trainer da. „Er macht keine Wunderdinge, aber wir fühlen uns stark auf dem Platz“, erklärt Didavi.

Parallelen zu Joachim Löw

Daran hat Kramny entscheidenden Anteil, sagen sie in der Mannschaft. Offenbar ist der VfB in diesem Fall also zu seinem Glück gezwungen worden – wie einst schon einmal. Parallelen gibt es zu Joachim Löw, der im August 1996 auch nur als Interimslösung vorgesehen war – ein Status, den auch Kramny im November 2015 inne hatte. Löw spürte nur wenig Rückendeckung der Vereinsführung um den Präsidenten Gerhard Mayer-Vorfelder. Inzwischen ist er Bundestrainer und Weltmeister.

Wo der Weg von Kramny hinführt, ist ungewiss. Aber er befindet sich in einer glänzenden Ausgangsposition. Das Betriebsklima scheint zu stimmen, und hinzu kommt, dass die Spieler unter Zugzwang stehen. In Thomas Schneider, Armin Veh und Alexander Zorniger haben sich zuletzt drei Trainer an ihnen abgearbeitet. Sie sind dabei schnell gescheitert. Würde es auch unter Kramny nicht funktionieren, hätten die Spieler ein Problem, weil sie dann bald als untrainierbar gelten könnten. Diesen Eindruck wollen sie vermeiden – und entsprechend engagieren sie sich.

Momentan greift ein Rad ins andere. Aber wie stabil das ist, wird sich erst zeigen, wenn es Rückschläge gibt. So sagt Dutt einerseits, „dass wir zum ersten Mal in dieser Saison ein Polster haben“ – um zum anderen hinzuzufügen, „dass ein Polster auch schnell wieder aufgebraucht ist.“ Fünf Punkte beträgt der Vorsprung, den der VfB auf den Relegationsplatz hat, den Bremen belegt.

Das ist die Entwicklung unter Kramny. „Wir haben eine Balance zwischen Abwehr und Angriff gefunden“, sagt Didavi, „für drei oder vier Tore sind wir in jedem Spiel gut“ – also prinzipiell auch an diesem Dienstag (20.30 Uhr) im Pokalviertelfinale gegen Borussia Dortmund. „Ich bin natürlich sehr froh“, sagt Kramny am Ende des Tages in Frankfurt dann noch.