Exklusiv Der Abstiegskampf in der Fußball-Bundesliga hinterlässt beim VfB-Torhüter Sven Ulreich offenbar Spuren. „Es ist keine schöne Situation. Ich liege nachts oft wach, bin sehr unruhig, mache mir viele Gedanken“, sagt der Schlussmann im Interview.

Stuttgart - - Nach der Saison will Sven Ulreich heiraten. Doch zuvor überschattet der Fußball alles. „Ich gehe seltener aus dem Haus“, sagt der VfB-Torhüter vor dem Spiel am Samstag in Mönchengladbach, „und wenn ich doch mal durch die Stadt gehe, dann ziehe ich mir eher eine Mütze auf.“
Herr Ulreich, fast 7000 Leute haben Ihre famose Leistung gegen Freiburg auf Ihrer Facebook-Seite mit „Gefällt mir“ gekennzeichnet. Ein neuer Rekordwert?
Auf jeden Fall ist der Wert ganz oben dabei. Das freut mich. Und das zeigt, wie wichtig der Sieg war.
Inwiefern sind die Reaktionen in den sozialen Netzwerken ein Barometer für die allgemeine Stimmungslage?
Ich glaube, sehr vielen Leuten ist am vergangenen Samstag ein großer Stein vom Herzen gefallen. Ich war einer davon. Wir wissen aber gleichzeitig alle, dass es nicht mehr als ein Pflichtsieg war und noch nichts gewonnen ist. Deshalb kann sich die Stimmung auch schnell wieder drehen.
Nicht nur im Internet merken Sie, wie immens die Bedeutung des VfB für viele Menschen ist. Spüren Sie deshalb auch, wie groß Ihre Verantwortung ist, dass der Verein in der ersten Liga bleibt?
Der Verein steht für die Region, er hat so viel Tradition, es gibt so viele Fans, für die wir ein Lebensmittelpunkt sind. Das wissen wir. Genauso sind wir uns der Verantwortung gegenüber den Mitarbeitern hier auf der Geschäftsstelle bewusst, die jeden Tag alles dafür tun, dass wir unsere Leistung bringen können. Einen Abstieg darf es daher nicht geben.
Muss anstrengend sein, so viel Last auf den Schultern zu tragen. Wie kann man sich davon gedanklich freimachen?
Ich brauche mir nur die Nachrichten im Fernsehen anzuschauen oder die Zeitung zu lesen – und zwar nicht den Sportteil. Dann weiß ich, dass es auf der Welt viel wichtigere Dinge gibt. Wir reden immer noch über Fußball. Das ist zwar unser Beruf und auch für viele andere Leute sehr wichtig. Wir werden auch unser Bestes dafür geben, in der Bundesliga zu bleiben. Aber es geht zum Glück nicht um Leben und Tod. Ich denke, es hilft, wenn man sich das bewusst macht. Denn mit zu großem Druck kann man keine Leistung bringen.
Trotzdem: wie sehr zehrt der Abstiegskampf an den Nerven?
Es ist keine schöne Situation. Ich liege nachts oft wach, bin sehr unruhig, mache mir viele Gedanken. Morgens hofft man dann, dass es nur ein böser Albtraum war. Aber es ist leider die Realität.
Was bedeutet das für Ihr Leben abseits von Training und Spielen?
Man schüttelt das nicht aus den Klamotten, wenn man das Trainingsgelände verlässt, und sagt: so, jetzt genieße ich meine Freizeit. Ich gehe seltener aus dem Haus, ich nehme weniger am Leben teil. Und wenn ich doch mal durch die Stadt gehe, dann ziehe ich mir eher eine Mütze auf. Aber so ist es nun einmal. Wenn wir den Klassenverbleib geschafft haben, bleibt dafür wieder genug Zeit.
Sie sind beim VfB, seit sie zehn Jahre alt sind. Geht einem so eine Situation näher als anderen, wenn man so eng mit dem Verein verbunden ist?
Ich kann nicht beurteilen, wie andere damit umgehen. Jeder macht das auf seine Weise. Ich bin hier tief verwurzelt, ich war früher Fan, ich möchte mit dem VfB auch weiter in der ersten Liga spielen. Für mich wäre es besonders bitter, falls wir absteigen sollten. Aber es gibt keinen in der Mannschaft, dem das nichts ausmachen würde.
Sie sind auf dem Platz zuletzt mit Moritz Leitner und Georg Niedermeier aneinander geraten. Ist auch das ein Ausdruck dafür, wie groß der Druck ist?
Solche Auseinandersetzungen gehören dazu. Man gibt sich hinterher die Hand, und dann ist wieder alles gut. Grundsätzlich ist es natürlich so, dass ein Torwart auch unter einem ganz besonderen Druck steht. Feldspieler können rennen und auf diese Weise Druck abbauen. Als Torwart aber kannst du manchmal 90 Minuten lang kaum eingreifen – und weißt trotzdem: ein einziger Fehler kann fatale Folgen haben . . .
. . . und im dümmsten Fall zum Abstieg führen.
So darf man das nicht sehen. Ein einziger Ball ist nie entscheidend. Sonst müsste man auch anfangen, irgendwelche vergebenen Chancen oder verschossene Elfmeter anzuführen. Man muss die ganze Saison betrachten, in der einiges schief gelaufen ist. Jetzt müssen wir schauen, dass wir noch mit einem blauen Auge davonkommen.
Und wenn nicht? Wie sehr beschäftigen Sie sich mit dem Fall, dass der VfB nächstes Jahr in der zweiten Liga spielen könnte?
Ich bin weiterhin fest davon überzeugt, dass dieser Fall nicht eintreten wird. Deshalb denke ich daran nicht.
Ganz ehrlich? Nicht einmal in einer schlaflosen Nacht?
Nein. Ich konzentriere mich nur auf meine Leistung und darauf, dass ich der Mannschaft helfen kann. Was nach der Saison kommt, wird man sehen. Dann werden wir sehen, wie es hier weitergeht. Jetzt noch nicht.
Was macht Sie so zuversichtlich, dass der VfB die Klasse hält?
Wir haben in den vergangenen Wochen an Dingen gearbeitet, die für uns wichtig waren. Wir sind vorangekommen und können das auch im Spiel umsetzen. Das hat man zuletzt sehen können.
Was sind das für Dinge?
Vor allem in der Defensive sind wir viel stabiler geworden. Manchmal fallen wir zwar noch immer zurück in alte Verhaltensmuster. Insgesamt aber sind wir kompakter geworden. Das ist sehr positiv.
Warum waren drei Trainer nötig, um das hinzubekommen, was eigentlich selbstverständlich sein sollte?
Das ist schwer zu erklären. Wir hatten auch mit Bruno Labbadia Phasen, in denen es gut geklappt hat. Auch unter Thomas Schneider gab es viele positive Ansätze – wir haben aber zu viele Gegentore bekommen und in den wichtigen Spielen die Punkte liegen gelassen. Es war daher wichtig, dass wir in Huub Stevens einen Trainer bekommen haben, der über viel Erfahrung verfügt.
Warum tut der neue Trainer dem Team gut?
Seine Autorität hilft uns extrem weiter. Huub Stevens ist ein Trainer, der in seinen Entscheidungen unheimlich konsequent ist. Er zeigt uns viele taktische Dinge und führt uns die Fehler klar vor Augen. Das hat uns weitergebracht. Wir haben aber noch viel Arbeit vor uns.
Sie dürften es inzwischen gewohnt sein, dass es beim VfB immer sehr turbulent zugeht. Wie sehr sehnen Sie sich nach Kontinuität, Ruhe und dauerhaftem Erfolg?
Das ist für jeden Sportler der Wunschgedanke. Man lernt zwar auch aus solchen Situationen, wie wir sie jetzt erleben. Aber natürlich hoffe ich, dass es in Zukunft auch mal stetig bergauf geht.
Geht das beim VfB überhaupt?
Ich glaube schon, dass im Verein das Potenzial steckt, viel weiter oben zu spielen. Man muss sich ja nur das ganze Umfeld anschauen, das Stadion, die Wirtschaftskraft in der Region. Wichtig wird aber eines sein: egal wie die Saison am Ende ausgeht – jeder im Verein muss sich hinterfragen, was dieses Jahr falsch gelaufen ist. Da muss man die entsprechenden Lehren daraus ziehen.
Sie selbst werden nach der Saison heiraten. Was ist wichtiger: die Hochzeit oder der Klassenverbleib?
Im Moment überlagert der Beruf alles andere. Dem Abstiegskampf ist alles untergeordnet. Das ändert aber nichts daran, dass meine Hochzeit ein sehr bedeutender Tag für mich sein wird.