Vedad Ibisevic hat seit 569 Bundesligaminuten kein Tor mehr geschossen – worunter der VfB Stuttgart fast mehr leidet als der Stürmer selbst.

Stuttgart - Die 55. Minute läuft, als der VfB einen Angriff vorträgt, dessen Ende Vedad Ibisevic (28) später so kommentieren wird: „Mann, oh Mann.“ Zuvor auf dem Platz war er enttäuscht in die Knie gegangen, weil er den Ball aus wenigen Metern über das Nürnberger Gehäuse befördert hatte. Wenn er getroffen hätte, wäre es das 2:0 gewesen und wohl die Entscheidung. Aber so hieß es nach dem Schlusspfiff 1:1. Mann, oh Mann, lautet deshalb das Fazit von Ibisevic, das jedoch nicht nur zu seinem Aufritt am Samstag passt und auch nicht nur zu seiner persönlichen Bilanz seit Weihnachten, sondern zur Entwicklung des gesamten Teams in diesen Wochen.

 

Die Stuttgarter Misere an Ibisevic festzumachen, wäre jedoch ungerecht – einerseits. Andererseits leidet der VfB unter den Fehlschüssen fast mehr als der Spieler selbst. Ibisevic war in der Hinserie der effektivste Stürmer in der Liga, der die meisten spielentscheidenden Tore erzielt hat, insgesamt zehn. Der VfB lag gut im Rennen. In der Rückrunde ist Ibisevic bisher leer ausgegangen. Der VfB ist abgerutscht.

Mann, oh Mann. Seit 569 Minuten wartet Ibisevic nun schon auf ein Erfolgserlebnis in der Eliteklasse. Dazu kommen nach der Winterpause noch einmal 180 Minuten aus der Europa League. Für einen Torjäger ist das eine sehr lange Zeit und eine harte Phase, die momentan beispielsweise auch Klaas-Jan Huntelaar auf Schalke durchmacht. Er und Ibisevic sind ziemlich ähnliche Spielertypen, die sich fast ausschließlich über ihre Treffsicherheit definieren – im Gegensatz etwa zu dem in der Torschützenliste führenden Leverkusener Stefan Kießling, der zudem auch noch neunmal als Vorbereiter in Erscheinung trat. Auf dem Konto von Ibisevic und Huntelaar stehen dagegen jeweils nur drei Assists. Umso bitterer sind dann Tage wie diese.

„Und dann kommt der Ball“

Besonders problematisch ist es für den VfB, weil er die Treffer von Ibisevic dringend benötigt. Seit der Bosnier seine Ladehemmung hat, brachte die Mannschaft in sieben Bundesligaspielen nur noch dürftige fünf Tore zu Stande und markierte dabei nie mehr als einen Treffer pro Partie. Das sind die Fakten. Mann, oh Mann.

Ibisevic verlässt die Kabine und wird mit den Zahlen konfrontiert. Er hätte sie nicht parat gehabt. Trotzdem findet er es „sehr interessant, dass da alle mitzählen“. Warum er das für so spannend hält, sagt er nicht. Eigentlich müsste es ihn eher langweilen, da es ihm bekannt vorkommen dürfte. Denn schon bei seinem früheren Verein in Hoffenheim verzeichnete Ibisevic solche Durststrecken – die letzte vor seinem Wechsel zum VfB im Januar 2012. Dennoch gibt es einen Unterschied. Während er bei seinem alten Club in schlechten Zeiten auf die Bank verbannt wurde, droht ihm dieses Schicksal in Stuttgart nicht. Der VfB kann Ibisevic nicht ersetzen.

Vielleicht erklärt das, warum er trotz seiner Flaute recht ausgeglichen wirkt. Im Augenblick klappe es zwar nicht so, wie er sich das vorstelle, „aber das nervt mich nicht“, sagt Ibisevic. Entspannt fügt er hinzu: „Man arbeitet und rackert 90 Minuten lang, damit man wenigstens eine Chance bekommt. Und dann kommt der Ball. Da muss man total konzentriert sein.“ Mann, oh Mann, das ist er gerade offensichtlich nicht. Denn Möglichkeiten wie gegen Nürnberg hätte er im Herbst wahrscheinlich noch mit verbundenen Augen genutzt.

Eventuell sind das auch die Gedanken, die ihm durch den Kopf gehen, als er hinterher auf dem Bildschirm in den Katakomben der Mercedes-Benz-Arena noch einmal seine Szene aus der 55. Minute betrachtet. Unmittelbar zuvor hatte Ibisevic erklärt, dass überhaupt kein Grund zur Aufregung bestehe und dass es jetzt nur wichtig sei, „einen kühlen Kopf zu bewahren.“ Dann sieht er sich im Fernsehen.

Mann, oh Mann.