Im VHS Pressecafé der Reihe Stuttgarter Zeitung direkt hat die Redakteurin Renate Allgöwer über die Bildungspolitik der grün-schwarzen Regierung gesprochen. Die Teilnehmer der Diskussion äußerten viel Kritik – auch am „Abiwahn“.

Stuttgart - Über Bildung lässt sich trefflich streiten. Insbesondere in einem Haus, das sich der Materie verschrieben hat wie der Treffpunkt Rotebühlplatz. Dort beim Pressecafé, der gemeinsamen Veranstaltungsreihe von Stuttgarter Zeitung und der Volkshochschule, wurde länger als üblich diskutiert, als nun Renate Allgöwer, Redakteurin dieser Zeitung im Ressort Landespolitik, über „Bildung in der grün-schwarzen Regierung - Hat man über allen Reformen und Strukturdebatten die Qualität des Unterrichts vergessen?“ sprach. „Kultusministerin Susanne Eisenmann will Leistung und Qualität steigern, das steht im Koalitionsvertrag“, beschrieb die Journalistin, zu deren Schwerpunkten die Bildungspolitik zählt. den Hintergrund: Bei der IQB-Bildungsstudie blieb Bayern mit vorne, während Baden-Württemberg 2016 schlechter abschnitt. Demnach fielen die getesteten baden-württembergischen Neuntklässler bei der Lesekompetenz im Vergleich aller Bundesländer von Platz drei auf Platz 12 zurück, beim Zuhören von 2 auf Platz 14 und bei der Rechtschreibung von 2 auf Platz 10.

 

Der Grund nach Eisenmann: Im Land sei in den vergangenen Jahren zu viel über Schulstrukturen gestritten worden. „Das stimmt nicht ganz“, findet indessen Renate Allgöwer. Auch die Grünen hätten an Bildungsqualität gedacht. Im Koalitionsvertrag stehe, dass auch die Gymnasien die tragende Säule der Schullandschaft seien. „Noch unter Grün-Rot wurde beschlossen, dass die Gymnasien 111 zusätzliche Stellen zum aktuellen Schuljahr bekommen, um leistungsfähiger zu werden.“ Erstmals werden in Klasse zehn Vertiefungsstunden in Pflichtabiturfächern wie Deutsch und Mathe eingeführt. Da geht es etwa darum, ob wieder – wie einst gehabt – drei Leistungskurse à fünf Wochenstunden eingeführt werden sollen. Derzeit sind drei Kernkompetenzfächer, ein Profilfach und ein Neigungsfach vierstündig zu belegen.

Realschulen müssen auch den Hauptschulabschluss anbieten

In den Grundschulen soll die individuelle Förderung gestärkt, der Fremdsprachenunterricht später eingeführt, dafür Deutsch und Mathe intensiver unterrichtet werden. Und Realschulen müssen nach einem – bereits für sie beschlossenen – pädagogischen Konzept auch den Hauptschulabschluss anbieten. „Bisher gab es dort eine Binnendifferenzierung“, erklärte Renate Allgöwer. „Nun können von Klasse sieben an entweder leistungsbezogene Gruppen oder reine Züge nach Leistung gebildet werden.“

Dafür erhielten die Realschulen mehr frei verfügbare „Poolstunden“. „Momentan sind es acht, kommendes Schuljahr 13, 2020/2021 sollen es 21 sein“, so die Journalistin. Damit reagiere die Ministerin auf die zunehmende Heterogenität der Schülerschaft. „Eine Herausforderung!“, betonte auch ein Zuhörer. Die Privatschulen hätten Zulauf, weil sie eine homogenere Schülerschaft verzeichneten. „Da kann ich auch bei großen Klassen besser unterrichten“, so der Besucher.

Während die „Qualitätssicherung der Lehre“ insbesondere in Mathe und Deutsch, gut ankam, erregte das Thema Gemeinschaftsschulen Unmut, ebenso dass Eltern wieder die Grundschulempfehlung vorlegen sollen. Eine Besucherin meinte, dass die Gemeinschaftsschulen austrockneten, dies sei vom Land politisch gewollt. Renate Allgöwer betonte denn auch, dass es weniger Anmeldungen für neue Gemeinschaftsschulen gebe. Die Zahl sei jährlich von 70 über 40 auf nun 5 gesunken. „Mit der Grundschulempfehlung sind die Kinder abgestempelt“, fand die Besucherin.

Mneschn in den Mittelpunkt stellen – nicht nur die Leistung

Einig waren sich die Teilnehmer der Diskussion, dass es in der Schulbildung mehr um den Menschen als um die mechanisch benotete Leistung gehen müsse. Dieses System bringe stromlinienförmige Menschen hervor, die „bulimisches Lernen“ gewöhnt seien und in dem Eltern große Angst hätten, dass aus ihren Kindern beruflich nichts werde. „Nicht alle müssen Abitur machen. Warum können wir nicht die Menschen nach ihren individuellen Fähigkeiten schätzen?“, fragte eine Frau.

Renate Allgöwer nickte. Die Journalistin wies darauf hin, dass das Gymnasium die beliebteste Schulart sei: „43 Prozent der Eltern wählen sie für ihre Kinder. Und die Politiker wissen, dass man daran nicht vorbeiregieren kann.“

Die nächsten Termine:

StZ/VHS direkt
Mit der Veranstaltung im Treffpunkt Rotebühlplatz wollen die Volkshochschule und die Stuttgarter Zeitung einmal im Monat ins Gespräch mit Bürgern kommen. Dabei kann es um Politik, Kultur, Architektur, Sport oder Wirtschaft gehen. Eine Anmeldung dazu ist nicht notwendig. Die Veranstaltungen beginnen jeweils um 18.30 Uhr. Die Teilnahme an den Mittwochsveranstaltungen ist kostenlos. Folgende Referenten stehen in den nächsten Monaten den VHS-Besuchern Rede und Antwort:

5. Juli: Der Politikredakteur Willi Reiners beschäftigt sich seit Jahren intensiv mit dem Thema Gesundheit. Er fragt, warum die Versorgung immer teurer wird und die Versicherer teilweise rote Zahlen schreiben.

18. Oktober: Martin Haar, in der Lokalredaktion auch zuständig für die Themen Religion und Gesellschaft, hat folgendes Thema: Wer entscheidet auf dem letzten Weg? Patientenverfügung, Sterbebegleitung, Pflegeheime.