Die Ausstellung „play gameZ“ in der Stuttgarter Stadtbibliothek präsentiert außergewöhnliche Indie Games – und lädt zur Diskussion über das junge Medium.

Stuttgart - Computerspiele garantieren unvermittelte Adrenalinschübe und ermöglichen es, in fremde Galaxien abzutauchen? Von wegen! Beim „Farming Simulator 15“ schlendern wir in aller Herrgottsfrühe über einen Bauernhof, während die Vögel munter zwitschern und die umliegenden Wiesen in prächtigem Grün erstrahlen. Bei dem Spiel geht es um das Management eines landwirtschaftlichen Betriebs: Wir beginnen zunächst als Ein-Mann-Unternehmen, ehe wir uns später Angestellte und ausgefallene Traktoren leisten können.

 

Das mag langweilig klingen; trotzdem landet die Spielereihe regelmäßig in den Bestsellerlisten großer Elektromärkte, wie René Bauer von der Zürcher Hochschule der Künste erläutert – ein Umstand, der irritierende Rückschlüsse darüber erlaubt, was dann doch überraschend viele Menschen unter Unterhaltung verstehen. René Bauer kuratiert gemeinsam mit seinem Kollegen Beat Suter die interaktive Ausstellung „play gamez“ in der Stuttgarter Stadtbibliothek, die noch bis Samstagabend zu sehen ist. Die Schau präsentiert über 30 Spiele unabhängiger Entwickler, also sogenannte Indie Games, die die Besucher ausprobieren können – darunter besagter Landwirtschaftssimulator, der von ehemaligen Studenten der Zürcher Hochschule entwickelt worden ist.

Innovative Ideen

Allerdings stößt man in dem Ausstellungsraum auf noch deutlich innovativere Ideen. Da wäre beispielsweise das Spiel „Violet – pale noise“ der Schweizer Studentin Melanie Vetterli. Darin gelangt ein Mädchen mit lila Haaren in ein Städtchen, über dem ein geheimnisvoller Fluch liegt. Die Aufgabe des Spielers ist, den Ursprung dieses Fluchs zu ermitteln. Mechanisch betrachtet ist das Programm ein konventionelles Point-and-Click-Adventure, man zeigt also mit der Maus auf ein Objekt und klickt dann für die gewünschte Aktion. Außergewöhnlich ist aber die optische Präsentation: Die Entwicklerin hat die Figuren und die Umgebung in Handarbeit hergestellt, anschließend die einzelnen Szenen mittels Stop-Motion-Technik gefilmt und so die grafische Umgebung des Spiels gestaltet. Herausgekommen ist gewissermaßen eine digitale Puppenstube; dass es sich bei dem betörend schönen Spiel um eine Abschlussarbeit handelt, zeigt, was mittlerweile eine einzelne Programmiererin in nur wenigen Monaten realisieren kann.

Ähnlich geartet ist das Spiel „Lumino City“ des englischen Entwicklerteams State of Play Games. Auch hier ist die grafische Umgebung weitgehend Handarbeit. Der Spieler spaziert durch eine märchenhaft anmutende Stadt und muss dabei Puzzles lösen. Das preisgekrönte Adventure-Spiel gehört ebenfalls zu den Prunkstücken der Stuttgarter Ausstellung und ist – anders als „Violet – pale noise“ – bereits veröffentlicht worden, kann also über Plattformen wie Steam oder den App-Store erworben werden.

Dreitägiges Festival

Das dreitägige Festival will indes nicht nur ausgefallene Indie Games präsentieren, sondern auch zur intellektuellen Auseinandersetzung mit einem „neuen kulturellen Medium“ provozieren, wie Christine Brunner, die Direktorin der Stadtbibliothek, betont. Zwar seien Computerspiele wirtschaftlich überaus erfolgreich, doch gleichzeitig hinke der gesellschaftliche Diskurs diesem Erfolg hoffnungslos hinterher. „Oft finden sich in der Debatte über Spiele nur Schwarz-Weiß-Positionen“, bemängelt sie – man denke etwa an die Diskussionen um die sogenannten Ballerspiele.

Gänzlich unaufgeregt erläutern dagegen Bauer und Suter in ihrem Vortrag – unter anderem mit Bezügen auf die Philosophen Jean Baudrillard und Johan Huizinga –, was überhaupt unter einem Spiel zu verstehen ist. So ließe sich „Spiel“ definieren als ein sozial abgegrenzter Raum, in dem die üblicherweise in der Welt geltenden Gesetze außer Kraft gesetzt sind. Das heißt aber nicht, dass die Spieler absolut frei wären – vielmehr unterwerfen sie sich in der Regel besonders restriktiven Regeln, die aber eben nur innerhalb des Spiels Geltung haben.

Der Magic Circle im Spiel

Veranschaulichen lässt sich dies mittels Beispielen aus dem Sport: Das Feld im Handball etwa ist klar durch weiße Linien markiert; innerhalb dieses Raums gelten spezifische Regeln, an die sich die Spieler halten müssen. Tun sie das, wird dieses Verhalten vom Spiel belohnt; tun sie es nicht, erfolgen Sanktionen. In der Fachsprache bezeichnet man einen solchen durch ein Spiel konstituierten Raum als Magic Circle.

Über derartige Magic Circles stolpert man buchstäblich auch beim Gang durch die Ausstellung: An einer Stelle haben die Kuratoren einen kleinen Kreis auf den Boden gezeichnet; betritt man diesen, muss man zunächst einen Schaumstoffwürfel werfen, ehe man den Kreis wieder verlassen darf. Ähnlich analoge Erfahrungen vermitteln auch die Objekte des Basler Filmkunstkollektivs „Mobileskino“: Dieses hat Arcade-Konsolen nachgebaut, wie man sie aus Spielhallen von früher kennt, ohne dabei allerdings auch nur einen einzigen Computerchip zu verwenden. Spielen kann man an den klobigen Gerätschaften natürlich trotzdem.

Le Stick – der schwarze Kunststoffstift

Es gibt noch weitere Kuriositäten, die die Ausstellung zu bieten hat: ein altes Playstation-1-Spiel etwa, das einen LSD-Trip simuliert. Oder das Atari-Game „Missile Command“ aus dem Jahr 1980, das der Spieler mittels eines heute bizarr anmutenden Controllers namens Le Stick bedient. Dieser konnte sich damals nicht auf dem Markt durchsetzen, was wenig überrascht: Le Stick ist ein dicker schwarzer Kunststoffstift; die Eingabemöglichkeiten des Nutzers beschränken sich darauf, einen einzigen roten Knopf drücken zu können. Eindrücklicher lässt sich kaum vermitteln, wie viel sich in den vergangenen Jahrzehnten getan hat.

Indie Games – die Spiele unabhängiger Entwickler

Plattformen
Indie Games, also Spiele unabhängiger Entwickler, werden in der Regel über das Internet vertrieben. Auf Plattformen wie Steam, gog.com oder Google Play finden sich zahllose Indie Games zum Download, häufig schon im Early-Access-Stadium, also vor der Fertigstellung der endgültigen Version. Bei Steam sind derzeit „Lumino City“ und „Feist“, die beide jetzt in Stuttgart gezeigtwerden, für knapp zehn Euro zu erwerben.

Ausstellung
Die Ausstellung „play gamez“ ist noch bis Samstag (ab 15 Uhr) im Max-Bense-Forum in der Stuttgarter Stadtbibliothek zu sehen. Um 15.30 Uhr informieren am „Open Mic“ umliegende Hochschulen wie die Ludwigsburger Filmakademie über Ausbildungsmöglichkeiten im Bereich der Computerspielentwicklung. Um 19 Uhr erläutert der Entwickler Sebastian Mittag anhand des Rätselspiels „The Inner World“, wie ein solches Projekt realisiert wird. Um 20.30 Uhr wird das preisgekrönte Hüpfspiel „Feist“ präsentiert.