Nicht nur die Filmgalerie „451“ in Stuttgart schließt. Für die Branche ist das Ende des schon legendären Ladens symptomatisch: Die Videothek ist bundesweit ein Auslaufmodell.

Stuttgart - Dieser Tage hat Marc Hug, der Inhaber der am 30. September schließenden Filmgalerie 451, noch einmal alle Kunden angemailt. Er hat gefragt, wer zu einem Freundeskreis der Filmkunstvideothek vernetzt werden möchte. Wer also erfahren will, welche Rettungsversuche und Nachfolgeprojekte es geben und was der Einzelne zu deren Gelingen beitragen könnte. Denn noch gibt Hug nur die Geschäftsräume an der Gymnasiumstraße auf, nicht den Gedanken, die Stadt könne eine – vielleicht auch mobile – Filmgalerie als Treffpunkt für Cineasten und Adresse für außergewöhnliche Filme brauchen. „Es wäre“, schreibt Hug, „nicht das erste Mal, dass Bürger etwas retten – auch wenn es nur ein kleines Filmarchiv wäre.“

 

Ein Verein als Träger eines Videoverleihs und Filmeventbüros wäre beispielsweise denkbar, eine Genossenschaftslösung mit Genussscheinen und Vorzugsveranstaltungen ebenfalls. Vermutlich könnte solch ein Betrieb bereits mit 6000 Gönnern, die jährlich nur 20 Euro geben, eine interessante Größe im Stuttgarter Kulturleben werden. Doch egal, was man wie erfolgreich wagt, bundesweite Aufmerksamkeit dürfte dem Projekt zumindest innerhalb der Branche zuteilwerden. Die nämlich befindet sich im katastrophalen Abschwung.

Fürs erste Halbjahr 2013 präsentiert der Verleihmarkt stolz Wachstumszahlen gegenüber dem Vergleichszeitraum des bereits glänzend verlaufenen Vorjahres: neun Prozent Plus, eine Umsatzsteigerung von 135 auf 147 Millionen Euro. Doch das Wachstum ist dem Fernverleih übers Internet zu verdanken und vor allem dem Video-on-Demand-Bereich. Die stationäre Videothek ist seit Langem ein Auslaufmodell. 1990 existierten 9500 solcher Läden in Deutschland, im Jahr 2000 waren es noch 4591. Für 2012 zählte der Interessenverband des Video- und Medienfachhandels gerade noch 2208 Videotheken, Tendenz rasant sinkend.

Marktbereinigung hieß das Zauberwort

Lange hat man sich die Entwicklung schönzureden versucht. Marktbereinigung hieß das Zauberwort. Die Schmuddelvideotheken mit miesem Angebot fielen dem Druck von Kauf-DVDs und Internet zum Opfer, hieß es zunächst. Dann: allzu kleine Betriebe würden es trotz aller Mühe wohl nicht schaffen. Die gut sortierte und gut gelegene Familienvideothek werde es noch lange geben, und die auserlesene Schar der Filmkunstvideotheken operiere sowieso in einem Markt mit eigenen Regeln.

All diese Prognosen und Analysen erweisen sich nun als Makulatur. Schon vergangenen Sommer hat die Videothek „Mr. & Mrs. Smith“ in Mannheim schließen müssen, die wenigstens in Maßen Besonderes zu bieten versuchte. Die „Tiefenschärfe“ in Mönchengladbach, die einst ebenfalls Filmgalerie hieß, gab ungefähr zur gleichen Zeit auf. Die Filmgalerie in Düsseldorf hat vor einem Monat dicht gemacht, die Filmgalerie in Berlin zieht in neue Räume. Den Kostendruck zu mindern mag so vorerst gelingen. Der Publikumsschwund muss aber bundesweit aufgehalten werden. Seit Langem werden die Videothekennutzer weniger, entwickeln sich die verbliebenen Kunden zu Intensivkunden. Das heißt im Umkehrschluss aber auch, dass mit jedem weiteren wegbleibenden Bestandskunden viel mehr Umsatz wegfällt als mit einem Laufkunden von früher.

Deutsche Filmkunstvideotheken stecken zunächst einmal in einer auch anderen Branchen vertrauten Servicezwickmühle. Ein ausreichend großes Publikum finden sie vor allem in attraktiven Ballungsräumen mit hohen Mieten. Dieses über Alternativen im Netz gut informierte Publikum erwartet einen großen Filmbestand und komfortabel lange Öffnungszeiten, was die Betriebskosten hochhält.

Filmkunst hat es schwer auf dem deutschen Kaufmarkt

Aber Betriebe wie die Filmgalerie 451 haben noch mit einer anderen Schwierigkeit zu kämpfen: mit der Schwäche der Filmkunst am deutschen Kaufmarkt. Das klingt zunächst paradox, scheint dieser große Konkurrent des Verleihmarkts damit doch eine Nische wunschgemäß frei zu lassen. Mangels deutscher DVD-Editionen muss eine Filmkunstvideothek, die ein kulturell breit und historisch tief gestaffeltes Archiv anlegen will, viele Filme aus dem Ausland beschaffen. Sie kann zum Beispiel die großartigen Werke des osteuropäischen Kinos der sechziger und siebziger Jahre fast nur mit englischen oder französischen Untertiteln vorlegen. Das aber schafft zusätzliche Hemmschwellen und Barrieren.

Trotz großartiger Programme einiger rühriger kleiner Labels ist das Filmkunstangebot auf Deutschlands DVD-Markt, vergleicht man es mit dem von Frankreich oder England, eher klein. Das liegt mit daran, dass in Deutschland noch immer ein Wertigkeitsgefälle zwischen tradierter Hochkultur wie Theater und Oper hie und Film da besteht. Dieser wird noch immer von Kulturbürgern, die ihn beharrlich nicht begreifen, als etwas denunziert, an dem es nicht viel zu begreifen gäbe.

Filmkunstvideotheken kämpfen daher hierzulande nicht nur darum, das Filminteresse an sich zu binden. Sie kämpfen um den Aufbau von Filminteresse. Anders ausgedrückt, ein Betrieb wie die Filmgalerie 451 strebt im Überlebenskampf nicht danach, dass etwas, das einmal war, übers Gebrauchtwerden hinaus bleiben soll. Filmkunstvideotheken kämpfen um etwas, das in Deutschland erst noch werden soll, um informierte Filmliebe in einer Welt des Nebenbeikonsums bewegter Bilder.