Vor 15 Jahren war eine Videoüberwachung in der Stadt noch mit vielen politischen Debatten verbunden. Inzwischen setzt die Bundespolizei konsequent Videoaugen ein – und die Folgen sind unübersehbar.

Lokales: Wolf-Dieter Obst (wdo)

Stuttgart - So hätte man sich die Täter nicht vorgestellt. Rabauken, die mit ungestümer Gewalt in einer S-Bahn der Linie S 4 die Glastür zur 1. Klasse zerstören, sehen eigentlich nicht so aus. Und doch: Die Videoaufzeichnung aus der S-Bahn, die an jenem Aprilabend in den unterirdischen Halt des Stuttgarter Hauptbahnhofs einfährt, ist eindeutig. Es handelt sich um junge Frauen im Dirndl, eine mit roten, geflochtenen Zöpfen.

 

Der Fall der Dirndlfrauen auf dem Heimweg vom Wasen steht inzwischen auf der immer länger werdenden Liste der Ermittlungserfolge durch Überwachungskameras. Nicht nur von 83 Bahnsteigen in Stuttgart und der Region flimmern die Bilder im Revier der Bundespolizeiinspektion an der Königstraße. In 157 Zügen der S-Bahn sind mittlerweile mehrere Kameras installiert, jeder zweite Regionalzug ist mit Videoaugen bestückt.

Die rabiaten Dirndl-Girls werden wiedererkannt

„Wir erzielen damit sehr gute und schnelle Erfolge“, sagt Daniel Kroh, Sprecher der Bundespolizeiinspektion Stuttgart. Zum einen führen Livebilder von Bahnstationen zur schnellen Festnahme von Taschendieben – zum anderen werden nach Straftaten die entsprechenden Datenträger der Bahn angefordert. Aus den Videosequenzen werden Standbilder gefertigt, die wiederum in die polizeiinternen Medienkanäle verschickt werden. Die Dirndl-Girls waren in anderen Behörden bekannt: Zwei 17 und 22 Jahre alte Frauen, gegen die nun als Hauptverdächtige ermittelt wird.

Dabei geht es nicht nur um Sachbeschädigung. Und ein Bild allein sagt auch nicht mehr als tausend Worte. Bei der Suche nach einem brutalen Schläger, der Ende September einen 51-jährigen Lokführer der Teckbahn am Bahnhof Oberlenningen (Kreis Esslingen) verprügelt hatte, reichte ein Videofoto allein nicht aus.

Ein Fahrgast schlägt den Lokführer brutal zusammen

Die Bahn rollte morgens gegen halb sechs von Kirchheim/Teck Richtung Lenningen, machte nach 3,5 Kilometern Halt in Dettingen an der Teck. Der Lokführer bekam das Signal, dass jemand ausgestiegen war, fuhr dann weiter. Wenig später trommelte ein wütender Fahrgast gegen die Tür des Führerstands und fluchte. Er habe ihn in Dettingen nicht aussteigen lassen, rief er. An der Endstation in Oberlenningen, so verzeichnet es das Polizeiprotokoll, wurde der 51-Jährige brutal angegriffen. Der Täter versetzte dem Lokführer einen Faustschlag, trat dem am Boden liegenden Opfer dann mehrfach gegen den Kopf. Der Bahnbedienstete blieb schwer verletzt zurück, der Täter flüchtete.

Dank Videoaufzeichnung gab es ein Bild des Gesuchten – doch niemand kannte ihn. Auch Zivilstreifen konnten den Verdächtigen nicht sichten. Die Ermittler gaben nicht auf. Mithilfe der Abbildung wurde eine Beschreibung mit möglichem Geburtsdatum und vermuteter Körpergröße gefertigt. „Damit wurden die Ämter im Umfeld aufgesucht“, so Kroh. Doch auch da: kein Treffer.

Auch Facebook ist für Ermittlungen hilfreich

Immerhin hörten die Beamten im Ort, dass man einen Mann mit diesem Aussehen kenne. Und es gab einen Vornamen dazu. Erneut suchten die Beamten die Amtsstuben auf, grenzten den Kreis weiter ein. Jetzt mit Nachnamen. Schön, dass der Verdächtige sich auch in den sozialen Netzwerken präsentierte. Die Beamten forschten bei Facebook nach und stöberten ihn auf, obwohl er dort einen anderen Nachnamen benutzte. Es handelte sich um einen 31-Jährigen, wohnsitzlos, der bei seinen Eltern in Dettingen untergekommen war.

Videoüberwachung – inzwischen Standard für die Polizei. Wie oft freilich bei der Bahn angefragt wird, um die Datenträger mit den Aufnahmen sicherzustellen, darüber herrscht Schweigen. „Wir unterstützen polizeiliche Ermittlungen, können aber zu Art und Umfang von Anfragen keine Angaben machen“, so ein Bahn-Sprecher. Strichlisten gebe es nicht, sagt auch Bundespolizeisprecher Kroh. Aber: „Das Auswerten von Videoaufzeichnungen gehört bei den Ermittlungen zum täglichen Geschäft.“

Auch die Stuttgarter Polizei nutzt Aufzeichnungen aus den 250 Bussen und 185 Stadtbahnen der Stuttgarter Straßenbahnen. „Es ist bei der Sicherung von Beweisen längst Standard, nach möglichen Aufzeichnungen zu suchen“, sagt Polizeisprecher Stefan Keilbach.

Richter verhängt anderthalb Jahre auf Bewährung

Vor über 15 Jahren war das ein politisch höchst umstrittenes Thema. Ehe die Stuttgarter Polizei ihr Vorzeigeprojekt mit Livebildern vom Rotebühlplatz Ende Januar 2002 starten konnte, waren zwei Jahre Debatten und Planungen vorausgegangen. Im Juli 2003 wurde das Videoauge abgeschaltet, weil die Drogenszene, gegen die es eingesetzt werden sollte, den Platz verlassen hatte. Vergleichsweise geräuschlos führt die Bundespolizei das Prinzip aus Livebildern und Nachermittlungen fort.

Am Montag landete der Gewalttäter von Oberlenningen, der den Lokführer verprügelt hatte, bei Richter Alexander Brost im Amtsgericht Nürtingen – angeklagt wegen gefährlicher Körperverletzung. Das Urteil: ein Jahr und sechs Monate Haft auf Bewährung. Dazu gehört, dass der 31-Jährige 6000 Euro Schmerzensgeld an das Opfer zahlt.