Dass einige Städte bei der Videoüberwachung aufrüsten, hat nur zum Teil mit einem Anwachsen der Kriminalität zu tun. Warum also der Trend zu mehr Sicherheit und Ordnung?

Mannheim/Freiburg - Alles ist relativ, auch die Kriminalstatistik. Mit einer dramatischen Zunahme der Straftaten in der Innenstadt begründen die Stadt und die Polizei in Mannheim, weshalb sie 2018 insgesamt 71 Videokameras in der Fußgängerzone und an drei Plätzen installieren wollen. Tatsächlich ist etwa die Straßenkriminalität in der City nun im vierten Jahr in Folge gewachsen – von 1302 Fällen in 2013 auf 2008 Fälle in 2016. Noch dramatischer sind die Zahlen bei der Drogenkriminalität.

 

Dennoch muss man genau hinschauen, denn die von besorgten Bürgern oft geäußerte Meinung, es werde immer schlimmer mit der Kriminalität, trifft nicht zu: In den ersten Jahren des Jahrtausends war die Straßenkriminalität ähnlich schlimm, im Jahr 2003 mit 2093 Fällen lag die Zahl sogar darüber. Diese Tendenz gilt übrigens nicht nur für die Innenstadt Mannheims, sondern für das gesamte Land Baden-Württemberg. Nach einer Phase der Beruhigung nimmt das Kriminalitätsgeschehen also wieder zu.

Die Mannheimer fühlen sich nicht mehr sicher

Trotz ähnlicher Zahlen stand damals ein Überwachungs-Großprojekt wie jetzt nicht zur Debatte. Heute wird es aber von sehr vielen begrüßt. So hatsich das subjektive Sicherheitsempfinden der Bürger laut neuen Umfragen deutlich verändert: Nachts fühlt sich nur noch die Hälfte der Mannheimer in ihrer Stadt sicher. Weiter hat die Stadt schon lange mit einer hohen Kriminalitätsrate zu kämpfen. Im Durchschnitt geschahen im Jahr 2016 in Baden-Württemberg 5600 Straftaten pro 100 000 Einwohnern. In Stuttgart waren es 9438, in Mannheim aber 11 584 – nur Freiburg steht mit 12 745 Taten pro 100 000 Einwohnern noch schlechter da.

Auch der Einzelhandel befürwortet die Kameras. Vor allem im Bereich der Breiten Straße habe es immer wieder Probleme mit Drogendealern, Taschendieben, Obdachlosen und pöbelnden Punks gegeben: „Unsere Kunden haben sich kaum noch in die dortigen Geschäfte getraut“, sagt Swen Rubel, der Geschäftsführer des Handelsverbandes Nordbaden. Auch Theodoros Tarnanidis, der Inhaber des Restaurants Platzhaus direkt auf dem Alten Messplatz, findet die Kameras richtig. Den Platz hat die Polizei als einen der Brennpunkte ausgemacht.

Kaum einer hegt Zweifel

Zweifel an der Strategie gibt es kaum. Eine gewisse Skepsis besitzt Peter Derks, der ebenfalls am Alten Meßplatz einen Laden mit Café betreibt. Er selbst habe noch nie Straftaten mit ansehen müssen; allerdings sei sein Café nur tagsüber geöffnet. Grundsätzlich hält Derks es für sinnvoller, die Ursachen der Kriminalität zu bekämpfen statt Kameras aufzuhängen: „Sozialarbeit statt Überwachung“, meint Derks.

Die Polizei selbst ist von der Richtigkeit der Überwachung überzeugt. Jedoch zeigt ein Blick auf den Mannheimer Hauptbahnhof, dass Kameras nicht alle Probleme lösen. Schon seit zehn Jahren filmt die Polizei dort und überwacht die Bilder live, dennoch haben sich 2015 noch ein Fünftel aller in der Innenstadt registrierten Fälle von Straßen- und Drogenkriminalität am Hauptbahnhof abgespielt; das waren fast 500 Fälle. Für die Mannheimer Polizei wird dennoch umgekehrt ein Schuh draus: Gerade weil die Delikte nicht ausreichend zurückgegangen seien, müsse weiter per Kamera überwacht werden.

Die Tücken liegen im Detail

Auch im Breisgau wünscht man sich „Sicherheit und Ordnung“. So heißt ein Projekt, das der Freiburger Gemeinderat bereits im April verabschiedet hat und das die Aufstellung von Videokameras in drei Stadtquartieren vorsieht. Im Anbetracht der traurigen Spitzenposition im Land und wohl auch unter dem Eindruck der Ermordung einer 19-jährigen Studentin durch einen jungen afghanischen Asylbewerber – der Prozess läuft derzeit – gab es kaum Gegenstimmen. Jeweils eine halbe Million Euro sollen in den Haushaltsjahren 2017 und 2018 zur Verfügung gestellt werden. Doch dass die Mittel in diesem Jahr noch abgerufen werden, ist unwahrscheinlich. Es gebe noch zu viele Unklarheiten, sagt die Sprecherin der Stadt Edith Lamersdorf.

In dem Quartier zwischen Martinstor, Bertholdsbrunnen und Universität, das die Freiburger selbst „Bermudadreieck“ nennen, findet 29,7 Prozent der Straßenkriminalität statt – damit gilt es als Kriminalitätsschwerpunkt. Bei der Gewaltkriminalität liegt der Anteil sogar bei 31,9 Prozent. Dabei macht der Bezirk flächenmäßig kaum sieben Prozent der Altstadt aus. Doch bei der Umsetzung des Projekts ist man seit April kaum weiter gekommen. Im Freiburger Rathaus gibt es mittlerweile massive Bedenken, die Kameras könnten selbst Opfer der Straßenkriminalität werden, indem sie beschädigt oder beschmiert werden. Zudem müssten im Colombipark, wo sich die Freiburger Drogenszene trifft, erst noch Stromleitungen gelegt werden. Ein Gutachter hat mittlerweile Vorschläge vorgelegt. „Wir hatten uns die konkrete Umsetzung einfacher vorgestellt“, räumt Lamersdorf ein.

Die Landeshauptstadt kennt keine dunklen Ecken

In Stuttgart sind Videokameras der Polizei derzeit kein Thema. Man habe im Moment keine Kriminalitätsschwerpunkte in der Innenstadt, die einen Einsatz rechtlich zuließen, argumentiert die Polizei. Insgesamt ist die Innenstadt aber auch in Stuttgart deutlich höher belastet – 2016 fanden 42,6 Prozent aller Straftaten in der Innenstadt und in Bad Cannstatt statt. Und die Polizei sagt selbst in ihrer Statistik für 2016, dass gesamtstädtisch die Straßenkriminialität auf hohem Niveau liege, beim Taschendiebstahl ist die Zahl sogar von 688 (2008) auf 2370 (2015) hochgeschnellt.

Die Stadt Stuttgart folgt der Einschätzung der Polizei. Hermann Karpf, der Sprecher von Ordnungsbürgermeister Martin Schairer und ein alter Hase in Polizeifragen, hält Videokameras ohnehin nur dann für sinnvoll, wenn sie Straftaten auch verhindern und nicht nur die Ermittlungen erleichtern können. Konkret: Nur wenn ein Beamter live die Bilder verfolgt und etwa bei einem Raubüberfall sofort eine Streife losschicken kann, lohne sich der Aufwand.

Hintergrund zur Videoüberwachung

Kameras sind rechtlich nur möglich, wenn ein Gebiet als Kriminalitätsschwerpunkt gilt. Klare Vorgaben finden sich im Polizeigesetz aber nicht. Nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofs Mannheim gilt jedoch der Grundsatz, dass in dem überwachten Bereich mindestens ein Viertel bis ein Drittel der Straßenkriminalität des gesamten Stadtbezirks zu verzeichnen ist.

http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.mannheim-baut-kameranetz-aus-grossflaechige-ueberwachung.fe1636cd-6f06-4220-8e67-a18eb1bb6793.html