Die deutsch-französische Grenze ist ein Schwerpunkt der illegalen Einreise – auf Streife mit der Bundespolizei.

Baden-Württemberg: Heinz Siebold (sie)

Offenburg - Der Auftrag ist klar: Verhinderung unerlaubter Einreise in die Bundesrepublik Deutschland. Dafür ist die Bundespolizei da, dafür machen sich sich Nicole Drescher und Dieter Hutt bereit. Die 22-jährige Polizeimeisterin und der 41-jährige Polizeikommissar überprüfen ihre Ausrüstung: Schlagstock, Pfefferspray, Taschenlampe, Handschuhe, Dokumentenprüfgerät, Handschellen, die Pistole und die schusssichere Weste. Um 21 Uhr beginnt die Spätschicht, Routine für die beiden. Sie werden in den nächsten acht Stunden in Zügen unmittelbar an der französischen Grenze Fahrgäste kontrollieren, ob sie gültige Ausweispapiere oder eine Aufenthaltsgenehmigung haben. Auch an den Bahnhöfen in Offenburg und Kehl, beide liegen im Ortenaukreis, sind die Polizisten im Einsatz, und die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass sie auf „unerlaubt eingereiste Personen“ stoßen.

 

2300 Menschen seien von Anfang des Jahres bis Ende August allein im Bereich der Direktion Offenburg aufgegriffen worden, berichtet Cora Thiele von der Presseabteilung der Stuttgarter Bundespolizeidirektion. „Im Jahr davor waren es im gleichen Zeitraum 430 Fälle.“ In ganz Baden-Württemberg wurden im gleichen Vorjahreszeitraum nur etwas mehr als in Offenburg aufgegriffen: 2800. Für dieses Jahr liegt die Zahl schon bei 5200 – und es kommen immer mehr dazu. Die Gründe sind klar. Die Kriege in Syrien und im Irak, die schlimme Situation in vielen afrikanischen Ländern wie Eritrea, dem Sudan oder Libyen. „Das treibt die Menschen in die Flucht. Auch zu uns“, sagt Thiele.

Die Strecke ist Teil einer der Flüchtlingsrouten

Der Offenburger Bahnhof ist Endstation für die Ortenau-S-Bahn 87467. Sie verkehrt zwischen Straßburg und Offenburg über den Rhein. Die Strecke ist Teil einer der Flüchtlingsrouten, die oft in Italien beginnen. Der Zug steht zur Rückfahrt Richtung Straßburg bereit, die Streife will bis Kehl an der Grenze mitfahren. Dazu kommt es nicht. Ein dunkelhäutiger Mann mit Rucksack und einem offensichtlich überdurchschnittlichen Alkoholpegel fällt auf. „Haben Sie einen Ausweis?“ Der Mann schaut Kommissar Hutt aus großen Augen an. Das Aufstehen fällt ihm schwer, er muss seinen Rucksack nehmen und wieder aussteigen. War sowieso die falsche Richtung, denn von Straßburg war er ja eben hergekommen und ist aus Versehen wieder eingestiegen.

Der Zug fährt ab, auf dem Bahnsteig klären sich die Verhältnisse. Was zu verstehen ist, klingt französisch. Der Mann ohne Ausweis sagt, er sei Tunesier. „Comprenez arabe?“, fragt er, ob sie Arabisch verstünden. Auch der Schlüsselbegriff „Asyl“ fällt, ab hier greift ein klar geregeltes Verfahren. „Er muss mit auf die Dienststelle, dort wird er erfasst“, erklärt Hutt. „Wären seine Personalien in einem sicheren Drittland erfasst worden, müssten wir ihn dorthin zurückschicken.“

Die Fingerabdrücke des Tunesiers werden registriert

Der drahtige Kommissar aus der Nähe von Baden-Baden ist Freizeitsportler. Ihm rennt so schnell keiner weg, seine Marathonbestzeit ist zwei Stunden 49 Minuten. „Ist eine Weile her“, sagt er schmunzelnd, „aber den Ironman möchte ich noch machen.“ Der Tunesier läuft nicht weg, er kann sich gerade mal auf den Beinen halten. Auf der Dienststelle, nicht weit vom Bahnhof entfernt, muss er sich in einem Zimmer ausziehen und untersuchen lassen. Seine Fingerabdrücke werden registriert. Er sei tätowiert und habe etliche Narben, wird später im Bericht stehen. Ausweispapiere oder sonstige Dokumente besitzt er nicht, im Rucksack ist nur dreckige Wäsche und eine Flasche Rotwein. In der Tasche hat er 9,60 Euro.

Er sei 1976 in Tunis geboren und über das Mittelmeer geflohen, 2011 schon, als die sogenannte Jasminrevolution sich gegen das autoritäre Regime erhob und es unter blutigen Opfern hinwegfegte. Von Lampedusa in Italien sei er über Marseille nach Paris gereist. Gearbeitet habe er illegal, da, wo es schmutzige Arbeit zu verrichten gab. Nun wolle er Asyl in Deutschland. Da unklar ist, woher er genau kommt, muss er ab sofort geduldet werden.

Nicole Dreschers letzter Tag in Offenburg

Die Streife fährt nicht wie geplant mit dem Zug, sondern mit dem Auto nach Kehl. Nicole Drescher sitzt am Steuer. Offenburg ist ihre erste Station nach der Ausbildung, sie stammt aus Mecklenburg-Vorpommern und hat Heimweh. Heute ist ihr letzter Tag in Südbaden, sie hat sich erfolgreich in Hamburg beworben und freut sich auf die Stadt am Wasser, aufs Kanufahren. Menschen ohne Papiere aufgreifen, das kann manchmal ziemlich belastend sein. „Wenn ich nach Feierabend hier rausgehe, ist das weg“, behauptet sie. Natürlich habe sie Mitleid, und sie könne gut verstehen, dass Menschen eine so lange und beschwerliche Reise auf sich nähmen, um aus üblen Verhältnissen zu fliehen.

Der Bahnhof in Kehl liegt unmittelbar an der Grenze. Vom Vorplatz sieht man auf die Auffahrt zur Rheinbrücke. Auf deutscher Seite sind die ehemaligen Grenzbaracken noch zu sehen, sie sind umgebaut worden und dienen jetzt der Bundespolizei als Dienstgebäude. Es ist nach 23 Uhr und kalt. Ein Mann mit einer Plastiktüte verlässt etwas auffällig Georgies Grillstube. „Dürfen wir bitte einmal Ihre Papiere sehen“, sagt Nicole Drescher halblaut, aber bestimmt. Sie ist einen Schritt auf den Grauhaarigen zugegangen, der aus der Plastiktüte einen ungarischen Pass und eine Meldebescheinigung für Frankreich kramt. „O. K. Gute Nacht.“ Ein scheuer Blick noch und der Mann macht sich auf den Weg zu Fuß über die Rheinbrücke.

Manchmal kommen Flüchtlinge zu Fuß über die Brücke

Vor der Döner-Kebab-Pizza-Kneipe stehen zwei Koffer mit Rollengestell, gespickt mit  Aldi-Tüten. Der Besitzer kommt schnell aus der Bude raus. „Hallo, alles in Ordnung?“ Den kenne man, sagt Dieter Hutt. Ein Obdachloser, die Koffer sind seine ganze Habe, er arbeitet in Straßburg und wird ebenfalls bald über die Brücke gehen, um sich dort eine Ecke zum Schlafen zu suchen. „Manchmal kommen Flüchtlinge auch zu Fuß über die Brücke“, sagt Dieter Hutt. Es gibt ja jetzt keine Grenzkontrollen mehr, auf französischer Seite sind die Baracken abgebaut. Ältere Jahrgänge kennen noch die Staus und die ruppigen Posten auf der Rheinbrücke. Auf beiden Seiten.

Menschen über diese Grenze zu schleusen ist einfach. Verboten ist es trotzdem. „Paragraf 96 Aufenthaltsgesetz“, bemerkt Hutt beiläufig. Wer jemanden anstiftet oder dabei Hilfe leistet, unerlaubt nach Deutschland einzureisen, kann mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe belegt werden. Je nachdem. Ob es zum Beispiel wiederholt und gewerbsmäßig vorkommt. Doch die Schleuser, die Flüchtlinge durch Europa lotsen, sind schwer zu fassen. Gerade einmal 19 Schleuser sind in den ersten acht Monaten des Jahres in der Direktion Offenburg und 105 in ganz Baden-Württemberg erwischt worden. „Die Schleuser reisen meist nicht mit im Zug“, erklärt Thiele. Die oft mafiamäßig organisierten Banden haben den Schienenweg als für sie relativ sichere Transitstrecke entdeckt. Für Transporte mit Kraftfahrzeugen fliegt bei einer Polizeikontrolle zumindest der Chauffeur auf. Die Bosse halten sich im Hintergrund. Es gibt aber auch die familiäre Hilfe: Bereits in Deutschland wohnende Syrier oder Iraker versuchen derzeit verzweifelt, ihre Angehörigen aus dem Schussfeld zu holen.

Nächtliche Kontrolle im Liegeabteil

Der City-Nightliner CNL 451 von Paris nach Berlin hat eine halbe Stunde Verspätung. Sieben junge Beamte der in Kehl stationierten Mobilen Kontroll- und Überwachungseinheit der Bundespolizei, abgekürzt MKÜ, sind zur Verstärkung über die Straße gekommen. Endlich rollt der Zug an, die Beamten steigen an vier Stellen ein und gehen durch die Liegeabteile. „Deutsche Polizei. Passkontrolle.“ Mit der Taschenlampe leuchten sie in die Abteile. Die schlafenden Passagiere drehen sich unwillig um, fluchen. Giggelnde Schülerinnen auf der Rückkehr vom Klassenausflug finden die Kontrolle supertoll, sie wollen dringend ihren Ausweis vorzeigen.

Eine gute Viertelstunde und der Nachtzug kann weiter nach Berlin, der Schaffner nickt und pfeift, er kennt das Prozedere. Zurück bleibt ein zorniger Russe, der angibt, seinen Pass verloren zu haben. Einer der jungen MKÜ-Beamten ist Russlanddeutscher. Er hört geduldig zu und erklärt dem Mann, er müsse mitgehen auf das Revier, wo seine Angaben überprüft werden.

„Das war mager“, beschreibt Dieter Hutt das Ergebnis der Kontrolle. Normalerweise seien es vier, fünf Leute, die man aus dem Zug holt, manchmal ganze Familien oder ein ganzes Abteil. „Fahren wir zurück.“ Die Schicht neigt sich dem Ende zu, und Nicole Drescher will noch ihren Ausstand für die Offenburger Kollegen geben. Der Tunesier ist bereits fort, seinen Rausch hat er halbwegs ausgeschlafen. Die Polizei hat ihm nach der Erfassung einen Gutschein für die Fahrkarte nach Karlsruhe und ein Formblatt in arabischer Sprache in die Hand gedrückt. Dort, in der Erstaufnahmestelle für Flüchtlinge, muss sich der Asylbewerber melden. Noch ist seine Reise nicht zu Ende.

Flüchtlingsheime mit mehr als 20 Plätzen im Raum Stuttgart: