Lange galten Parteien für Jugendliche als verstaubt und unattraktiv. Doch es tut sich was: Seit Mitte letzten Jahres haben die Parteien und Jugendorganisationen wieder mehr Zulauf von jungen Menschen.

Stuttgart - Seit gut einem Jahr ist Felix Leonhardt aus Herrenberg nun schon bei den Jusos aktiv, bei der Jugendorganisation der SPD. Der Rechtsruck in der Gesellschaft, sagt der 15-Jährige, habe ihm den letzten Kick gegeben, sich zu engagieren, deshalb ist er eingetreten.

 

Felix Leonhardt ist einer von vielen jungen Menschen, die in den vergangenen Monaten einer Partei oder einer politischen Jugendorganisation beigetreten sind. So stieg die Mitgliedszahl der Jungsozialisten (Jusos) seit Beginn 2016 von 69572 auf aktuell 74773 Mitglieder an. Allein im ersten Halbjahr 2017 wuchs die Mitgliederzahl um 10 Prozent. Im selben Zeitraum konnte die SPD auf Bundesebene über 22000 neue Parteimitglieder gewinnen, davon fast 40 Prozent unter 35 Jahren. Doch der sogenannte Schulz-Effekt war offensichtlich nur ein Grund für die im Vergleich mit den Vorjahren spürbare Zunahme an jungen Neumitgliedern in den politischen Verbänden.

Auch Junge Union und andere Verbände sehen einen Trend

Auch die anderen Jugendorganisationen sowie die im Bundestag vertretenen Parteien und die AfD spüren ein gestiegenes Interesse unter Jugendlichen, zeigt die gemeinsame Anfrage von SWR und unserer Zeitung – beinahe alle Verbände bestätigen diesen Trend.

„Seit Ende letzten Jahres steigt die Zahl der Neueintritte an“, sagt Paul Ziemiak, Vorsitzender der Jungen Union. „Seit April haben wir zum ersten Mal seit langer Zeit mehr Neueintritte als Austritte zu verzeichnen.“ Nach jahrzehntelangem Rückgang sei dies eine starke Nachricht, sagt Ziemiak. Die JU hat bundesweit 106 381 Mitglieder, im April waren es 170 weniger. Die junge Generation sei – entgegen vieler Behauptungen – in „hohem Maße politisiert." In den vergangenen Jahren seien die Zahlen kontinuierlich gesunken, weil die besonders starken Jahrgänge mit Mitte 30 aus der Jugendorganisation ausscheiden (Ende 2013: 118 429 Mitglieder, Ende 2016: 107 796).  Auch bei der Mutterpartei CDU ist die Gesamtmitgliederzahl eher rückläufig, trotz vieler Neueintritte seit Jahresbeginn. Grund sei der demografische Wandel.

Auch bei der Grünen Jugend ist ein Anstieg von Neueintritten seit Mitte 2016 zu erkennen. Man sehe „überdurchschnittlich mehr Mitglieder im Alter zwischen 14 und 18 Jahren seit 2016“, heißt es aus der Bundesgeschäftsstelle - obwohl sich das aufgrund des Ausscheidens der starken Jahrgänge nicht in den absoluten Zahlen niederschlägt (Ende 2013: 8264, Ende 2016: 7173, aktuell 6984). Ähnliches berichten die Jungen Liberalen: Seit Januar 2017 habe man einen Mitgliederzuwachs von 12 Prozent, darunter ebenfalls besonders viele 14- bis 18-Jährige (Ende 2013: 9352, Ende 2016: 8348, aktuell: 9072). Und aus der Geschäftsstelle der FDP heißt es, man habe unter den Neumitgliedern zunehmend jüngere Menschen. Die linksjugend solid (Ende 2013: 4900, Ende 2016: 5858, aktuell 6058) und die Junge Alternative (aktuell: 1600), die Jugendorganisation der AfD, wachsen eigenen Angaben zufolge bereits seit längerem kontinuierlich an - die Junge Alternative insbesondere seit Herbst 2015.

Als Gründe nennen die Jugendorganisationen wie auch die Bundesparteien zentrale politische Ereignisse im vergangenen Jahr: Der Brexit, Trump, ein „Erstarken der Neuen Rechten“ (Grüne Jugend), eine generelle „Polarisierung der Gesellschaft“ (linksjugend solid) sowie verschiedene Wahlen wirkten mobilisierend. 

Auf Landesebene sind die Entwicklungen bislang noch weniger deutlich: Die Grünen in Baden-Württemberg verzeichneten im ersten Quartal 2017 ein neues Allzeit-Hoch an Mitgliedern (aktuell: 9301) und einen sinkenden Altersdurchschnitt bei den Neumitgliedern. Auch bei den Jusos im Land sieht man eine „verstärkte Politisierung“ der jungen Generation und viele Neueintritte insbesondere seit Beginn 2017 (2016: 4900, aktuell: 5800). Die SPD Baden-Württemberg (berichtet von einem Anstieg an Mitgliedern, die unter 18 Jahre alt sind, der Landesgeschäftsführer der Linken spricht von einer "deutlichen Verjüngung" und bei der FDP treten seit Ende 2016 "durchschnittlich deutlich mehr junge Menschen in die FDP ein". Die Mitgliederzahlen sind auf Landesebene allerdings in einem niedrigeren Bereich, sodass Trends sich nur langsam und weniger deutlich abzeichnen.

Politikwissenschaftler sieht keinen langfristigen Anstieg

Seit den 80er Jahren klagen Parteien und die parteinahen Jugendorganisationen Jahr für Jahr über Nachwuchsprobleme und sinkende Mitgliedszahlen. Dabei sind Jugendliche gar nicht per se unpolitisch, zeigen Umfragen wie die repräsentative Shell-Studie und eine Erhebung von Bravo und dem meinungsforschungsinstitut YouGov. Interesse für politische oder gesellschaftliche Themen stieg demnach in den vergangenen Jahren wieder an, nur das Vertrauen in Parteien sei gering.

Auch Politikwissenschaftler Jan van Deth von der Universität Mannheim hat den Trend zu verstärktem parteipolitischen Engagement junger Menschen wahrgenommen – und auch er macht es an aktuellen politischen Ereignissen wie der Trump-Wahl, dem Brexit und der anstehenden Bundestagswahl fest. Dennoch müsse man bedenken, dass weniger als ein Prozent der Jugendlichen überhaupt Mitglied in einer Partei sei. Die momentane Politisierung der Gesellschaft sei ein "typisches Strohfeuer". Langfristig, sagt er, werde der aktuelle Anstieg von jungen Parteimitgliedern kaum anhalten. „Wenn die rechtspopulistischen Parteien nicht mehr im Vordergrund stehen und die Bundestagswahl vorbei ist, wird sich das parteipolitische Engagement unter Jugendlichen wieder auf einem niedrigen Niveau stabilisieren.“

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