CDU und Grüne wollen auf Anregung der Kommunen das Wahlrecht reformieren, um die Zersplitterung der Gemeinderäte einzudämmen. Doch Innenminister Strobl hat verfassungsrechtliche Einwände.

Stuttgart - Baden-Württembergs Kommunen scheitern mit ihre Erwartung, bei der nächsten Wahl die Zahl der Kleinstgruppierungen in Gemeinderäten zu reduzieren, am Widerstand von Innenminister Thomas Strobl (CDU). Sie hatten vorgeschlagen, das Berechnungsverfahren so weiterzuentwickeln, dass Einzelbewerber und kleine Initiativen bei der Sitzzuteilung nicht mehr begünstigt werden, denn dies könne bei den Kommunalwahlen 2019 „die Atomisierung der Gemeinderäte und Kreistage weiter vorantreiben“, wie es in einem Brief des Städte-, Gemeinde- und Landkreistags an Strobl heißt. Die beiden Regierungsfraktionen CDU und Grüne machen sich dieses Anliegen ebenfalls zu eigen und verweisen auf den Koalitionsvertrag, wo eine Reform des Kommunalwahlrechts angekündigt wird. Doch Strobl hält dies für „verfassungsrechtlich sehr problematisch“ und warnt vor der Gefahr, dass die Kommunalwahlen landesweit wiederholt werden müssen.

 

Im Kern geht es um den Umstand, dass es bei Kommunalwahlen keine Hürde für Mandate gibt wie bei Landtags- oder Bundestagswahlen. In den Gemeinden ist Vielfalt Trumpf. Das hat für die Bürger- und Oberbürgermeister zur Folge, dass sie es vor allem in großen Städten mit einer bunt schillernden Ratsgesellschaft zu tun haben und ständig neue Mehrheiten organisieren müssen. Denn neben den großen Fraktionen gibt es vielerorts ein munteres Häuflein von Gruppierungen und Einzelräten. Das sei wie ein „Flohzirkus“, spottete einmal der Freiburger OB Dieter Salomon.

„Gerade weil es keine Sperrklausel gibt, ist allerdings besonders darauf zu achten, dass Kleinstgruppierungen nicht weiter bei der Sitzzuteilung begünstigt werden“, schreiben deshalb die Chefs der kommunalen Spitzenverbände an Strobl. Sie fürchten, dass nach den Kommunalwahlen die Entscheidungsfindung in diesen Gremien noch schwieriger wird – „zu Lasten der Mehrheit“. Bereits jetzt bestünden Gemeinderäte aus bis zu 13 Fraktionen und Gruppierungen – in Freiburg etwa oder in Heidelberg und Stuttgart.

Der Koalitionsvertrag ist geduldig

„Das jetzt bestehende Recht unverändert beizubehalten, käme geradezu einer Ermutigung an Kleinstinitiativen gleich“, heißt es darin weiter. Die Kommunalvertreter schlagen der Landesregierung deshalb vor, an der Methode zur Errechnung der Mandate – sie geht auf den französischen Mathematiker Sainte-Lague zurück – ein kleines Stück zu drehen. Bei diesem „Divisorverfahren mit Standardrundung“ werden die Stimmen der Parteien nacheinander durch die Zahlen 1, 3, 5, 7, 9 und so weiter geteilt und die Sitze dann in der Reihenfolge der größten sich ergebenen Höchstzahlen zugewiesen. Die Kommunen raten nun, als ersten Teiler nicht 1, sondern 1,5 zu nehmen. Das hätte zur Folge, dass ein höherer Stimmanteil nötig wird, um den ersten Sitz zu erringen.

Bisher ist es in der Tat so, dass ein Bewerber bereits dann einen Sitz erhält, wenn seine Stimmen rechnerisch nur für einen halben Sitz reichen – einfach deshalb, weil aufgerundet wird. Die grün-schwarze Koalition hat diese Bedenken, die auch in anderen Ländern aufgekommen waren, aufgegriffen und bei der Regierungsbildung 2016 eine Reform vereinbart: „Um bei Kommunalwahlen zu erreichen, dass die Sitzverteilung möglichst nah am Wahlergebnis liegt, und um zu vermeiden, dass Kleinstgruppen bevorteilt werden, werden wir das Auszählverfahren nach Sainte-Lague/Schepers weiterentwickeln“, heißt es im Koalitionsvertrag.

Strobl malt den Teufel an die Wand

Doch jetzt bläst Strobl zum Rückzug. Nachdem seine Fachleute den kommunalen Vorschlag geprüft haben, bringt der Innenminister verfassungsrechtliche Einwände vor. „Ein solches Berechnungsverfahren beinhaltet eine faktische Sperrwirkung, da es für kleine Parteien und Wählervereinigungen schwieriger wird, einen Sitz zu erhalten“, antwortet er den Verbandschefs. Den Vorteil hätten die größeren Parteien und Wählervereinigungen. Diese Änderung, so mahnt er, tangiere den Grundsatz der Gleichheit der Wahl, sei also nur dann gerechtfertigt, wenn die Funktionsfähigkeit der Kommunalvertretung in Gefahr sei. Doch darüber lägen ihm keine Erkenntnisse vor. Dass die Vielzahl von Fraktionen, Gruppen und Einzelräten zu einer schwerfälligen Meinungsbildung führt, reicht nach Meinung der Experten für eine Gesetzesänderung jedenfalls nicht aus. Eine „Atomisierung“ lasse sich nicht belegen.

Warum hat Grün-Schwarz das Anliegen dann in den Koalitionsvertrag aufgenommen? Das war ausdrückliches Anliegen der beiden Fraktionen gewesen – und diese verfechten die Sache nach wie vor. „Wir haben in der kommenden Woche noch einmal ein Gespräch mit dem Innenminister, denn wir können die Verfassungsbedenken nicht teilen“, sagte der Grünen-Fraktionsvize Uli Sckerl unserer Zeitung. Man werde schauen, ob man eine Lösung für das Problem findet.