Ulrich Tammler vom Nabu Stuttgart hat zur Vogelbeobachtung im Wiesental geladen. 50 verschiedene Arten haben dort ihre Brutstätten, insgesamt über 100 Vogelarten lassen sich dort beobachten.

Manteldesk: Sandra Hintermayr (shi)

Büsnau - Angestrengt richten die 20 Spaziergänger ihre Ferngläser und Kameraobjektive auf das dichte Grün am Rande des kleinen Sees, der eigentlich ein Regenrückhaltebecken ist. Ulrich Tammler, der Fachbeauftragte für Vogelschutz beim Naturschutzbund (Nabu) Stuttgart, hat einen Eisvogel ausgemacht. Zwar ist der im Büsnauer Wiesental nicht selten, doch die Aufregung der Teilnehmer beim „After Work Birding“, also der Vogelbeobachtung nach Feierabend, ist groß. Schließlich ist der Eisvogel mit seinem schillernd-blauen Rücken und dem orange-leuchtenden Bauch ein besonders hübscher Vertreter der heimischen Vogelarten. Der Hoffnung der Spaziergänger, der kleine Vogel möge seine Flügel ausbreiten und vom Ast ins Wasser stürzen, um einen kleinen Fisch zu erbeuten, kommt der Eisvogel nicht nach. „In Relation zu seinem Körpergewicht frisst ein Eisvogel riesige Mengen, wenn er einen Fisch erbeutet. Danach muss er erst einmal ausruhen und bleibt schon mal einige Zeit regungslos auf dem Ast sitzen“, erklärt Ulrich Tammler.

 

Über 50 verschiedene Brutvogelarten gibt es im Wiesental, schätzt der Vogelexperte. Insgesamt könne man über 100 Vogelarten zählen. „Es ist eines der letzten Kleinode in Stuttgart, in denen wir noch solche ausgedehnten Feuchtwiesenflächen haben“, sagt Tammler. Die fast schon morastartigen Flächen zwischen Steinbach, Katzenbach und Bandtälesbach sowie die dichten Sträucher und ausgedehnten Wiesen sind ein Paradies für Vögel: Elstern, Rabenkrähen, Ringeltauben und Graureiher sehen die Teilnehmer am Mittwochabend zuhauf, Zilpzalp und Mönchsgrasmücke machen sich zumindest akustisch bemerkbar. „Die Vögel haben hier ideale Lebensbedingungen gefunden“, sagt Tammler.

Seit 1989 ist das Wiesental Naturschutzgebiet

Der Nabu setzt sich seit Jahren für den Erhalt des Wiesentals ein. Über die Jahre war immer wieder eine Bebauung des Tals im Gespräch, zuletzt Ende der 1970er-Jahre, als Erholungs- und Sportanlagen geplant waren. 1989 wurde das Wiesental auf einer Fläche von 28 Hektar als Naturschutzgebiet ausgewiesen. Doch immer noch ist der Lebensraum der Vögel bedroht. Tammler sieht das vollständige Mähen der Wiesen kritisch. „Es wäre besser, im Frühsommer einen Teil zu mähen, der dann wieder nachwachsen kann, bis der Rest einige Wochen später gemäht wird.“ Denn im gemähten Gras gibt es weniger Insekten, und damit weniger Nahrung für die Vögel.

Neben den heimischen Arten ziehen unzählige Vögel auf ihrem Weg nach Süden durch das Naturschutzgebiet. Der Vogelzug hat bereits begonnen, erklärt Tammler. „Der Mauersegler gehört zu den ersten, die sich auf die Reise machen.“ Die Stuttgarter Mauersegler seien zum Großteil bereits Ende Juli ausgeflogen. „Die Exemplare, die man jetzt noch sieht, sind einzelne Nachzügler oder Durchreisende aus dem Norden“, so Tammler.

Ein Pärchen Gimpel zwitschert aufgeregt im Gebüsch

Auch Raubvögel finden im Wiesental ideale Lebensbedingungen. Ein junger Mäusebussard verspeist im Gras genüsslich seine Beute, ein Sperber hält auf einem Pfosten noch Aussicht nach seinem Abendessen. Der Vogelexperte hat sogar einen Rotmilan entdeckt, der jedoch wieder verschwunden ist, bis die Teilnehmer der vogelkundlichen Wanderung ihre Ferngläser auf die entsprechende Stelle gerichtet haben. Die habichtartigen Greifvögel gibt es fast ausschließlich in Europa, etwa die Hälfte des Gesamtbestandes brütet in Deutschland.

Am Ende des Tages kann Ulrich Tammler sogar noch eine neue Art zu seinen Sichtungen im Wiesental hinzufügen: ein Pärchen Gimpel, auch Dompfaff genannt, zwitschert aufgeregt im Gebüsch. „Die habe ich hier tatsächlich noch nie gesehen“, sagt der Mann vom Nabu. Der Fink mit dem beim männlichen Tier auffallend rosaroten Bauch, dunkelgrauen Rücken und schwarzen Kopf ist in Stuttgart recht selten. „Vermutlich gibt es nur zehn bis 15 Brutpaare in der ganzen Stadt“, sagt Tammler. Für den Vogelexperten ein Grund mehr, sich auch weiterhin für den Erhalt des Naturschutzgebiets in Büsnau einzusetzen.