Immer häufiger werden die großen Vögel an verschiedenen Stellen in Baden-Württemberg gesichtet. Manche kommen offenbar von Ungarn und fliegen dann nach Süden weiter.

Stuttgart - Es muss ein Drama gewesen sein: Dieser Tage irrten mehrfach Kraniche in den nebelumwaberten Tälern des Schwarzwaldes umher und fanden keinen Ausweg. Der anhaltende Nebel in den Hochlagen habe die Vögel auf ihrem Flug gen Süden zu einer unplanmäßigen Rast oder zur Umkehr gezwungen, berichtet Marc Förschler, der Leiter des Fachbereichs ökologisches Monitoring, Forschung und Artenschutz im Nationalpark Schwarzwald. Und er fügt an, dass in diesem Jahr außergewöhnlich viele Vögel über den Landkreis Freudenstadt geflogen seien und teilweise dort Rast gemacht hätten.

 

Diese Beobachtung ist keineswegs ein Einzelfall. So rasten seit ungefähr einer Woche bis zu 150 Kraniche am Federsee in Oberschwaben, wie der Naturschutzbund Nabu jetzt berichtet. Dort tanken sie Energie für den anstrengenden Weiterflug in ihre Winterquartiere in Südfrankreich oder in Nord- und Südspanien. Gesichtet wurden in jüngster Zeit zudem größere Gruppen von einigen hundert Tieren auch im mittleren Neckartal und entlang der Enz. Vermutlich habe die Nordwest-Strömung die Tiere bei schlechter Witterung auf diese Route gedrückt, vermuten die Nabu-Experten. Eine weitere Flugroute verläuft über Mitteldeutschland und Hessen, sie führt entlang von Rhein und Neckar und durchkreuzt dann Baden-Württemberg.

Die Zugrouten ändern sich

Schon seit einigen Jahren beobachten die Vogelexperten, dass sich die Zugrouten der Kraniche ändern. Besonders interessant dabei ist, dass offenbar immer mehr dieser imposanten großen Vögel mit ihren trompetenartigen Rufen vermehrt von Ungarn nach Baden-Württemberg kommen. Von hier aus fliegen sie dann ins westliche Mittelmeergebiet. Laut Nabu nutzen osteuropäische Kraniche etwa aus Estland, Polen oder Westrussland verstärkt diese südliche Zugroute. Dabei reisen sie vom größten europäischen Rastplatz im ungarischen Nationalpark Hortobágy entlang der Donau nach Oberschwaben und weiter gen Westen. Hochdruckwetter mit Ostwind kommt ihnen besonders entgegen, weil sie dann vom Wind mitgetragen werden und Kraft sparen.

„Da scheint sich ein neuer Zugweg entlang der Alpen zu etablieren“, erläutert der Zugvogel-Experte Wolfgang Fiedler vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Radolfzell. Was auf der Südroute alles abläuft, weiß man aber noch nicht so genau, denn: „Meines Wissens gibt es leider noch keine mit einem Sender ausgerüsteten Kraniche, die auf dieser Route fliegen“, so Fiedler. Für die Forscher sind solche besenderten Vögel aber wichtig, weil sie detailliert die zurückgelegten Strecken inklusive Flughöhen, Fluggeschwindigkeiten und Rastzeiten aufzeichnen. Im Dunkeln liegt vor allem aber der Sinn dieser neuen Strecke: „Die Kraniche könnten doch leichter östlich an den Alpen vorbei nach Norditalien fliegen“, meint Fiedler.

Kranichflug an Weihnachten

Allerdings ändert sich derzeit europaweit einiges am herbstlichen Kranichflug nach Süden. Neben völlig neuen Zugwegen und Aufenthaltsorten erweitern sich vor allem die Flugzeiten. So lassen sich in jüngster Zeit regelmäßig auch noch um die Weihnachtszeit fliegende Kraniche beobachten. Hinzu kommt, dass immer mehr dieser Vögel in Deutschland überwintern – im vergangenen Winter wurden rund 5000 Tiere gezählt. In Frankreich verbrachten 133 000 dieser Vögel den Winter – entsprechend zeitig können sie wieder in Deutschland sein, manchmal sogar bereits Ende Januar. Die meisten Kraniche aber fliegen nach wie vor in das westliche Mittelmeergebiet: Im vergangenen Januar zählten die Experten des gemeinsamen Kranichzentrums des Nabu und der Umweltstiftung WWF 255 000 Vögel in Spanien und 10 000 in Portugal.