Es gibt ein Leben nach Stuttgart: Der Regisseur Volker Lösch greift auch in Dresden in die Stadtpolitik ein. Und nirgendwo wird seine Arbeit so angefeindet wie jetzt in der Elbmetropole, wo er am Samstag ein Stück über Pegida auf die Bühne bringt.
Stuttgart - Langweilig wird es bei ihm nie: Wo immer Volker Lösch inszeniert, bringt er die Luft zum Brennen. Dazu braucht er nur offene Augen und Ohren für die Probleme der Stadt, in der er arbeitet. Das war in Stuttgart so, wo er während der Intendanz von Hasko Weber acht Jahre lang als Hausregisseur engagiert war und sich mit seinen Produktionen in den Großkonflikt um Stuttgart 21 eingemischt hat. Das war aber auch andernorts so, in Berlin, Bremen und Hamburg, wo er mal Prostituierte auf die Bühne brachte, mal Linksaktivisten und mal Hartz-IV-Empfänger: die Inszenierungen des Unruhestifters erregen Aufsehen, sie polarisieren, polemisieren und politisieren das Publikum.
Jetzt greift Volker Lösch mit seinem Theater in Dresden ein. Am Samstag kommt dort im Schauspielhaus „Graf Öderland / Wir sind das Volk“ heraus, ein „Moritat“ von Max Frisch, ergänzt um Texte von Bürgern der seit Monaten aufgewühlten Stadt. Klar, es geht darin um Pegida, worum sonst als um dieses Aufregerthema, das uns trotz oder gerade wegen der Pariser Terroranschläge nicht loslässt.
Der autoritäre Umsturz
Lösch, mittlerweile 52 und in Berlin lebend, kennt Dresden gut. Seit 2001 inszeniert er regelmäßig im dortigen Schauspielhaus, wo er 2003 auch die Sache mit dem in Stuttgart dann perfektionierten „Bürgerchor“ erfunden hat. Inzwischen gibt es diese Laien-Kollektive fast überall auf den Bühnen deutscher Stadt- und Staatstheater. Ähnlich dem Chor in antiken Dramen kommentieren und erweitern sie das Geschehen, indem sie – chorisch sprechend – die Sichtweisen des gemeinen Volks in das jeweilige Stück einspeisen. Das wird auch im „Grafen Öderland“ so sein: In dem 1951 uraufgeführten, nur selten gespielten Drama beschreibt Max Frisch eine autoritäre Revolte, die am Ende in einen politischen Umsturz mündet – wobei ausgerechnet ein Staatsanwalt, die Personifizierung von Recht und Ordnung, zum Führer der staatsfeindlichen Bewegung wird.
Wehe, du siehst fremdländisch aus!
Wenn man sich in Dresden derzeit als Pegida-Gegner outet, kann man unschöne Erfahrungen machen. Und noch unschöner werden sie, wenn man auch nicht wie ein Dresdner aussieht. Im dreißigköpfigen Bürgerchor spielt ein Syrer mit, der mit siebzehn Jahren von seiner Familie auf die Reise geschickt worden ist, um der Hölle in seiner Heimat zu entkommen. Nach den Terroranschlägen in Paris, so Lösch, begegne man dem jungen Mann in der Öffentlichkeit noch frostiger als zuvor. Feindliche Blicke in der Straßenbahn, durch die Zähne gezischte Beleidigungen in der Bäckerei – das gehöre für fremdländisch aussehende Menschen mittlerweile zum Alltag in Dresden. Und dann berichtet der Regisseur noch von einer Frau, deren Erlebnisse ebenfalls auf die Bühne kommen werden. In einer Sommernacht war sie mit einem Deutschen mit Migrationshintergrund – solche Menschen prägen in Stuttgart das Straßenbild – im linksalternativen Szeneviertel Neustadt unterwegs. Neonazis lauerten den beiden dort auf und jagten sie durch die Gassen. Die junge Frau und der junge Mann hatten Glück. Ihnen sei nicht mit Springerstiefeln der Kopf eingetreten worden, sie seien gerade noch einmal davongekommen. „Die Angst aber bleibt. Sie steckt den beiden in den Knochen“, sagt Lösch.
Die fremd gewordene Stadt
Pegida als nützlicher Idiot der Herrschenden, die sich ob der grassierenden Fremdenfeindlichkeit klammheimlich die Hände reiben: mit Provokationen hat sich Lösch noch nie zurückgehalten. Weder in Stuttgart, als es um S 21, den verarmten Mittelstand und internationale Flüchtlingsströme ging, noch jetzt in Dresden, wo er sich die neue rechte, islam- und demokratiefeindliche Bewegung vorknöpft, die in der Elbmetropole ihre Hauptstadt gefunden zu haben glaubt. Der zum AntiPegida-Stück umfrisierte „Graf Öderland“ ist Löschs achte Arbeit in Dresden – und das Theater dort eine Art künstlerische Heimat für ihn. Eigentlich. Diese Heimat droht ihm in einer fremd gewordenen Stadt nämlich gerade abhanden zu kommen. „Ich fühle mich nicht mehr sehr wohl in Dresden“, sagt der Theatermann, „ich bin froh, wenn ich wieder zu Hause in Berlin bin.“