VfB-Heimspiel gegen Werder Bremen, ausverkauftes Cro-Konzert und langes Wasen-Wochenende: Der Samstag brachte den Neckarpark an seine Belastungsgrenze. Wie viel Feiern verträgt Stuttgart, ehe die Stimmung kippt? Ein Erfahrungsbericht.

Freizeit & Unterhaltung : Ingmar Volkmann (ivo)

Stuttgart - Manchmal fühlt sich der Besuch auf dem Volksfest wie ein Tanz auf dem Pulverfass an. Zum Beispiel am Samstag: Wasen-Halbzeit, langes Wochenende, die ersten Feiertouristen wechseln von der Wiesn auf den Wasen, der VfB spielt im Heimspiel gegen Werder Bremen und der Rapper Cro feiert sein Tour-Finale in der ausverkauften Schleyerhalle. Festzeltwirtin Daniela Maier vom Göckelesmaier hatte schon am Freitag, dem Brückentag, eine aggressive Grundstimmung auf dem Wasen beobachtet. Wie viel Feiern verträgt Stuttgart, ehe es endgültig kippt?

 

Die Fahrt zum Volksfestgelände mit der U 11 verläuft um 16.45 Uhr unspektakulär. Bei der Ankunft auf dem Wasen wird klar, warum: Alle sind schon da. Die mittlere Straße, an der die Festzelte liegen, ist noch voller als am Feiertag. Von der Aussichtsplattform City Skyliner in über 80  Meter Höhe wirkt das Wasenpublikum wie ein Ameisenvolk, das in verschiedene Ameisenbauten strömt, die Wasenwirt, Grandl oder Klauss & Klauss heißen. Die Szenerie ist eindrucksvoll, Stuttgarts Hügel liegen im Nebel, die Fahrt wird von Klassik aus der Konserve und einem Amerikaner untermalt, der Zicke-Zacke-Heu („Sigge-Sagge-Hoi“) brüllt.

Ohne Reservierung im Zelt geht nichts

17.20 Uhr, es geht abwärts, wir warten auf die Fans des VfB und die Antwort auf die Frage, ob man sich ein 1:1 gegen Bremen schöntrinken muss. Erste Erkenntnis vorab: ohne Tracht fällt man auf dem Wasen mittlerweile auf. Zweite Erkenntnis: ohne Reservierung geht schon jetzt in keinem Zelt mehr was. Das ist der Stimmung in den langen Schlangen nicht gerade zuträglich. Zeit für den nächsten Perspektivwechsel.

Von der Empore der Schwabenwelt von Festwirt Michael Wilhelmer hat man einen guten Überblick über die Menschenmengen, die in die Zelte drängen. Polizeioberrat Thomas Engelhardt, der Chef der Wasenwache, erweist sich dabei als Prophet: Unter der Woche hatte er gesagt, dass man italienische Gäste an ihrer eigenwilligen Vorliebe für exzentrische Hüte erkenne. Zwei besonders hübsche Exemplare mit ihrer Meinung nach landestypischen Cowboyhüten aus Filz reihen sich brav in den Pulk vor dem Eingang ein. „Die warten da jetzt Minimum zwei Stunden, Einlass ungewiss“, kommentiert eine Mitarbeiterin des Sicherheitsdienstes auf dem Balkon.

Zwei junge Herren vergnügen sich im Schwitzkasten

„Heute ist die Stimmung besonders aggressiv“, fährt die Security-Mitarbeiterin fort. Wie auf Kommando sieht man links vom Zelt zwei junge Herren in Lederhosen im innigen Schwitzkasten. Schnell werden die Streithähne vom Sicherheitspersonal getrennt. Wenige Minuten später trifft die Polizei ein und bittet die nicht ganz nüchternen Kontrahenten zur Konfliktnachbesprechung. Der Wasen-Wahnsinn strebt zur Halbzeit seinem Höhepunkt entgegen.

Das passende Getränk zur Halbzeitbilanz: die Neun-Liter-Flasche Champagner, die bei Wilhelmer für 2150 Euro serviert wird, zumindest, wenn es nach der städtischen Veranstaltungsgesellschaft In Stuttgart geht. Die gibt gewohnt euphorische Zahlen heraus: „Wir liegen zehn Prozent über dem Vorjahr“, sagt Andreas Kroll, In-Stuttgart-Geschäftsführer. Allein am Tag der Deutschen Einheit habe man 250 000 bis 300 000 Gäste gezählt.

Am kommenden Wochenende droht das nächste Pulverfass

Am Samstag fühlt es sich gegen 17.40 Uhr so an, als würde sich tout Stuttgart gleichzeitig im Neckarpark aufhalten. Mittlerweile haben auch die VfB-Fans den Weg zum Wasen gefunden. Natascha Schwarz steht am achten Abend in Folge am VIP-Eingang des Göckelesmeier-Zelts. In zehn Minuten muss sie rund 20-mal Besucher abweisen, die mal dreist, mal mit Hundeblick Einlass ins Zelt verlangen. „Ohne Reservierung keine Chance“, wiederholt sie ihr Mantra geduldig. Weniger geduldig gehen Facebook-User derweil mit ihren Mitfahrern ins Gericht: „Ich weiß nicht, was schlimmer ist: Wasen-Besucher oder Cro-Fans in der Bahn.“ Von den Cro-Besuchern bekommt man auf dem Wasen am wenigsten mit. Das liegt daran, dass viele der Fans von ihren Müttern direkt am Hintereingang der Schleyerhalle abgeliefert werden.

Gegen 20.30 Uhr entspannt sich die Situation auf dem Wasen. Die Cro-Fans feiern ihren Helden in der Halle, die Zelte sind voll, das Gedränge davor im Rahmen. Es ist die Ruhe vor dem Sturm: Am kommenden Wochenende wartet der nächste Tanz auf dem Pulverfass. Dann gastiert Mario Barth zeitgleich zum Wasen in der Schleyerhalle.

Wie zählt man so viele Menschen?

In Stuttgart übertrifft sich wieder in Sachen Wasen-Besucherzahlen. Wie die Veranstaltungsgesellschaft auf ihre Angaben kommt? Durch Klickern und Schätzungen. „90 000 Besucher passen auf das Gelände. Wenn wir den Platz an einem guten Tag dreieinhalbmal umschlagen, sind wir nach drei Tagen im Millionenbereich“, so Andreas Kroll.

Kritiker zweifeln an den Zahlen. „Man müsste anders zählen, dreimal am Tag zu festen Zeiten. Vom Riesenrad aus hat man die Gassen im Blick“, sagt ein Schausteller, der namentlich nicht genannt werden will. Er rechnet bis Wasenende mit zwei statt der von In Stuttgart geschätzten vier Millionen Besucher.