Aufsichtsräte der Veranstaltungsgesellschaft stellen klar: Die Vorverlegung der Wasen-Eröffnungsfeier von Freitagabend auf den Nachmittag habe im Gremium keine Mehrheit gefunden. Die Debatte über die Sinnhaftigkeit der Vorverlegung ist wohl nicht sehr harmonisch gelaufen.

Stuttgart - Mit dem „Ius primae noctis“ wurde in der Zeit der Erbuntertänigkeit in Europa das Recht eines Gerichtsherren bezeichnet, bei der Heirat von ihm unterstehenden Personen die Hochzeitsnacht mit der Braut zu verbringen. Im US-Streifen „Braveheart“ mit Mel Gibson hatte sich der Bräutigam Probleme eingehandelt, als er das Recht in Frage stellte. Nicht das Recht der ersten Nacht, aber das auf die erste Maß Cervisia beim Volksfest hat nun OB Fritz Kuhn (Grüne) für sich reklamiert, nachdem in den vergangenen Jahren die ersten Betrunkenen aus den Zelten torkelten, obwohl der OB das erste Fass noch gar nicht angezapft hatte.

 

Die Debatte über die Sinnhaftigkeit, nun die Eröffnungsveranstaltung vom Abend auf den Nachmittag vorzuverlegen (die StZ berichtete), auf die Gefahr hin, dass das SWR-Fernsehen nicht mehr überträgt, ist offenbar weitaus weniger harmonisch gelaufen, als das der Volksfest-Organisator Andreas Kroll von der städtischen Veranstaltungsgesellschaft In Stuttgart und der Wasenbürgermeister Michael Föll (CDU) bisher Glauben machten.

Teilnehmer der Aufsichtsratssitzung vor einigen Wochen, in der sie über die Terminänderung informiert wurden, haben gegenüber der StZ jetzt klargestellt, dass gegen dieses Vorhaben erheblicher Widerstand geleistet worden sei. „Fast alle Fraktionen waren der Meinung, dass ein Beginn um 15 Uhr und eine Einladung für die Ehrengäste ab 13 Uhr an einem Werktag völlig indiskutabel sind“, betonte ein Aufsichtsratsmitglied. „Die meisten Eingeladenen nehmen sich doch nicht eigens dafür frei“. Nur mit Mühe habe Schlimmeres verhindert werden können. Ursprünglich hätten die Organisatoren einen noch früheren Beginn in Erwägung gezogen. „Nach einer Maß Bier am Mittag wäre der Tag auf jeden Fall gelaufen“, hieß es kritisch.

Kritik an der Auswahl der Künstler

Fölls Aussage, die Vorverlegung habe überhaupt nichts mit den schlechten Erfahrungen zu tun, die OB Kuhn gemacht hatte, als er bei der Eröffnung von Zeltbesuchern massiv gestört worden war, haben mehrere Aufsichtsratsmitglieder als unzutreffend bezeichnet. „Das war natürlich der Hauptgrund, das war auch konkret angesprochen worden“. Insgesamt sei die Stimmung bei der Eröffnung als schlecht beschrieben worden. Hauptadressat der Kritik war der übertragende Fernsehsender SWR, auf dessen Sendung die Eröffnungsfeier zugeschnitten war – und nicht etwa auf das Publikum im Festzelt, das großteils von dem Treiben nur Bruchstücke mitbekommen hatte. Für viele ist das allerdings ein Segen gewesen, seit Jahren wird die unzureichende Qualität der Darbietungen kritisiert, ohne dass dies an der Auswahl der Künstler etwas geändert hätte.

Nun, da OB Kuhn das Recht auf die erste Maß Bier hat – und erst danach in den übrigen Festzelten der Verkauf beginnen darf, Festeröffnung und Eröffnungsfeier also zeitgleich stattfinden, hätten die Organisatoren die Chance gehabt, ihrer fernsehfreien Veranstaltung ein entsprechendes Niveau zu verleihen. Die Chance wurde, so die Kritik des Aufsichtsrats und des Volksfestvereinssprechers Hans-Peter Fischer, vertan. Statt der Tradition des Festes, das zum 169. Mal stattfindet, Raum zu geben, verfährt In Stuttgart bei der Künstlerauswahl auch ohne SWR nach dem Motto: Hauptsache trivial. „Volksdümmliche statt volkstümliche Musik“ hat der Brauchtumsexperte des Volksfestvereins, Wulf Wager, schon vor Jahren den Trend gegeißelt, Cannstatt zu 100 Prozent musikalisch an den Ballermann zu verlegen. Heimatverbundenheit artikuliert am Nachmittag des 26. Septembers lediglich die Moderatorin Sonja Faber-Schrecklein. Als musikalischer Stargast tritt das Schlagersternchen Antonia aus Tirol auf. „Was hat die mit dem Wasen zu tun? Als ob es in der Region keine Musiker gäbe“, klagt ein Aufsichtsrat.

Übergangen darf sich auch der Volksfestverein fühlen. „Uns hat keiner gefragt, ob wir mitmachen würden“, sagt Hans-Peter Fischer, der vor sieben Jahren mit einer vom Vorsitzenden Carl Herzog von Württemberg unterschriebenen Resolution die Vorverlegung auf den Freitag und den Verzicht auf volkstümliche Elemente verhindern wollte. Bis dahin war die Eröffnung an der Fruchtsäule gefeiert worden. Die Redebeiträge von OB Arnulf Klett und dann bis 1996 von Manfred Rommel seien die Höhepunkte der Veranstaltung gewesen. „Die können wir leider nicht mehr einladen“, sagte Fischer, der die bisherige Trennung von Festeröffnung und Fassanstich süffisant von einem „Alleinstellungsmerkmal für Stuttgart“ spricht. „Das gibt es nicht einmal in Hintertupfingen“. Und schon gar nicht in München, wo das Stadtoberhaupt traditionell am Samstagvormittag das Recht aufs erste Bier für sich in Anspruch nehmen darf. Die Münchner schaffen die Zeremonie übrigens ohne Hilfe aus Tirol.