Während des Kirchentags erlebt Stuttgart eine neue Form der Fortbewegung: die tropical mobility. StZ-Kolumnist Erik Raidt war mit der Saunabahn unterwegs und hat festgestellt: die Leute reden plötzlich miteinander.

Stuttgart - Um deine Nerven zu kitzeln, brauchst du keinen AdventureRide, keinen Tandemsprung mit dem Fallschirm, und du musst auch nicht im Wildwasser raften. In diesen Tagen genügt es, in Stuttgart ein Stadtbahnticket zu kaufen, allen Glauben an das Gute in dir zu versammeln und in eine Bahn einzusteigen, die von der Innenstadt aus zum Kirchentagsgelände am Neckarpark pendelt.

 

Am Donnerstag habe ich es versucht, es war frühmorgens, und an einem gewöhnlichen Tag kannst du an der Stadtbahn-Haltestelle Stöckach die Spatzen pfeifen hören, weil sich sonst kaum ein Mensch auf den Bahnsteig verirrt. Das war diesmal ein wenig anders. Allein die Pfadfinder, die mit mir auf die Bahn warteten, hätten den Zug füllen können, aber von denen kam auch keiner mehr rein. In der U 11 standen die Menschen vertikal gestapelt, verschwitzte Hände drückten gegen die Scheiben, an der Haltestelle öffnete sich keine Tür mehr, und ich hoffte, dass in der Bahn nicht auch noch die Klimaanlage ausgefallen war. Weil drinnen, da hatte die Hälfte der öffentlichen Fahrgemeinschaft so rote Köpfe, dass du um ihre Gesundheit fürchten musstest.

Exotisch: die Leute reden miteinander

In den Sonderzügen herrscht mitunter eine „tropical mobility“. Aber auch sonst fühlt sich das Stadtbahnfahren während des Kirchentags ganz anders an als im Stuttgarter Normalmodus. Viele Fahrgäste scheinen, vielleicht inspiriert von der ein oder anderen Veranstaltung, vergessen geglaubte menschliche Kulturtechniken wiederzuentdecken. Zum Beispiel reden sie miteinander – nicht nur über das Wetter, den nächsten Urlaub oder die Arbeit, sondern darüber, ob der Bundespräsident mit seinem Bild von der Gesellschaft recht hat, oder ob die Großstadt wirklich so durch und durch verweltlicht ist, wie es immer wieder behauptet wird.

Solche Gespräche in einer Stadtbahn mit anzuhören kommt mir ungeheuer exotisch vor. Üblicherweise starren die Leute schweigend auf ihre Smartphones, als ob sie von Zauberbotschaften hypnotisiert wären, die auf den Displays aufploppen. Ich kann das beurteilen, weil ich selbst verhext bin. Die stillen Stadtbahnen gleichen oft rollenden Kühlkammern, egal, wie heiß es draußen sein mag. Jetzt aber unterhalten sich plötzlich wildfremde Menschen miteinander, und was beinahe ebenso ungewöhnlich ist: sie lesen das Programm des Kirchentags, aber auch die Pläne für das Stadtbahnnetz meist auf Papier und nicht auf ihren digitalen Wunderapparaten.

In der Stadtbahn habe ich in diesen Tagen die Wiederauferstehung des gedruckten Worts miterlebt.