Youssou N’Dour, der populärste Sänger Afrikas, wird Kulturminister im Senegal. Er folgt dem Beispiel von Gilberto Gil in Brasilien. Und irgendwie auch Bob Marley.

Dakar - Kaum ein Musiker hat der sogenannten Dritten Welt so viel Selbstvertrauen beschert wie Bob Marley. Der 1981 an Krebs gestorbene jamaikanische Reggae-Sänger hatte nie ein politisches Amt inne. Aber in seinem politischen Wirken beschränkte sich der erste Superstar der Dritten Welt nicht auf seine Lieder, in denen er ohne Umschweife forderte „Emancipate yourselves from mental slavery!“ oder auch „Africa Unite!“ Nachdem Bob Marley am 22. April 1978 beim One Love Peace Concert in Jamaikas Hauptstadt Kingston mit sanfter Gewalt den historischen Handschlag zwischen Michael Manley (damals Premierminister) und Edward Seaga (damals Oppositionsführer) veranlasst hatte, beendeten die Anhänger ihrer beiden Parteien PNP und JLP tatsächlich vorübergehend ihre bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen. Bob Marley war ein Botschafter des Friedens – in seiner Kunst und weit über sie hinaus.

 

Er genießt globale Popularität

Es ist kein Zufall, dass Youssou N’Dour, bis heute der einzige afrikanische Popstar, der eine globale Popularität genießt, die zumindest ansatzweise an jene Bob Marleys erinnert, vor zwei Jahren ein Album mit dem Titel „Dakar-Kingston“ veröffentlicht hat. Zwei Hauptstädte wurden da mit einem durchaus symbolträchtigen Bindestrich verbunden: die des westafrikanischen Staates Senegal, Youssou N’Dours Heimat, mit jener des karibischen Inselstaats Jamaika, in der Bob Marley aufgewachsen war. Youssou N’Dour öffnete sein eigenes Genre, die Mbalax-Musik Westafrikas, radikal zum jamaikanischen Reggae hin.

Youssou N’Dour ließ dieses mutige Album in einem schlicht „Marley“ betitelten Song gipfeln. In dieser Hommage bedankt er sich dafür, dass Bob Marley gelebt hat. Und er bekennt zum groovenden Gegentakt: „Die Musik von Marley hat mich ganz schön inspiriert.“ Das ist eine hervorragende Voraussetzung für Youssou N’Dours neuen Job: Vor wenigen Tagen hat ihn der neue senegalesische Präsident Macky Sall als Kultur- und Tourismusminister in sein Kabinett berufen.

Früh auf die Bühne

Youssou N’Dour hatte zunächst – wie vor zwei Jahren bereits sein haitianischer Musikerkollege Wyclef Jean, der Kopf der Fugees – selbst Präsident werden wollen. Doch ebenso wie Wyclef Jean in Haiti scheiterte Youssou N’Dour im Senegal an Formalien. Bei ihm, heißt es, soll die Anzahl der Unterstützer-Unterschriften nicht ausgereicht haben. Aber auch der Umstand, dass Wyclef Jeans Bandkollegin Lauryn Hill mit Rohan Marley, einem von Bob Marleys Söhnen, fünf Kinder hat, spielt in dieser Geschichte eine nicht ganz nebensächliche Rolle. Denn auch der Fall Wyclef Jean (als Quasionkel von Bob Marleys Enkeln) belegt: wenn afrikanische Musiker oder Musiker mit afrikanischen Wurzeln in die Politik gehen, spielt Bob Marley immer irgendwie mit.

Denn die Karriere von Youssou N’Dour, der seit Jahren gegen die Malaria in Afrika kämpft, der mit dafür gesorgt hat, dass es in Dakar Internetcafés gibt, und der schon 1985 ein Konzert für die Freilassung Nelson Mandelas organisierte, ist ungewöhnlich. Aber beispiellos ist sie nicht. 2003 wurde schon einmal ein schwarzer Sänger und Songwriter Kulturminister: Gilberto Gil in Brasilien. In Südamerika, wo die Kluft zwischen Regierten und Regierenden bis vor wenigen Jahren als vollkommen unüberwindbar galt, stellte die Berufung des Musikers mit der wilden Dreadlocks-Frisur durch den damaligen brasilianischen Präsidenten Lula da Silva eine ähnliche kulturelle Revolution dar wie weiland Joschka Fischers Amtsantritt als sogenannter Turnschuhminister.

Auf den Spuren Gilberto Gils

Aber Gilberto Gil, der 2008 unter anderem seiner Musik zuliebe als Kulturminister zurücktrat, war in seiner Heimat bereits ein Superstar, als er ins Kabinett berufen wurde. Als der Minister im Sommer 2006 in Stuttgart auf der Freilichtbühne Killesberg auftrat, sang er neben vielen eigenen auch ein paar Lieder von Bob Marley, den er immer als sein Idol bezeichnet hatte. Gilberto Gils engagierte Version von Bob Marleys Song „Could you be loved“ klang, als wuchte jemand gewaltige Brecher in die für gewöhnlich sich eher sanft wiegende karibische See. Kulturminister Gil, der unter anderem dafür sorgte, dass arme brasilianische Musiker ordentliches Equipment bekamen, vermochte es, zwei Leben in einem zu leben. Bob Marley diente ihm als Inspiration und vor allem als Energielieferant.

Er entdeckt sich immer wieder neu

Mit kaum mehr zu überbietender Hingabe wiederum hat Youssou N’Dour, der künftige Kulturminister des Senegal, im September 2010 beim Peace One Day in Paris Bob Marleys „Redemption Song“ gesungen, das Lied, das die Aufforderung enthält, sich aus geistiger Sklaverei zu befreien. Seiner charakteristischen hohen Stimme, die anno 1994 auch seinen Welthit „Seven Seconds“ getragen hat, wohnt stets eine unerschütterliche Hoffnung inne.

Die Hoffnung zog Youssou N’Dour, 1959 als erstes von acht Kindern eines Automechanikers und einer ehemaligen Griot-Sängerin in Dakar geboren, früh auf die Bühne. Mit 16 wurde er der Leadsänger von Dakars profiliertestem Ensemble, der Star Band. Ein paar Jahre danach gründete er seine eigene Band, Étoile de Dakar, in der er die traditionellen Klänge der Griots bereits mit modernen Rhythmen kreuzte. Später, als er mit Superstars wie Peter Gabriel zusammenarbeitete, entwickelte er seinen eigenen Stil Mbalax: Die Gesangskultur der Griots wird von afrokubanisch anmutenden Arrangements befeuert. Aber Youssou N’Dour hörte danach nicht auf mit dem Sich-neu-Entdecken: Filme über die Sklaverei, eine eigene Plattenfirma, 2005 ein Grammy für das beste Weltmusik-Album.

Ein rauschhafter Abend in Schorndorf

Gemeinsam mit anderen Künstlern seiner Plattenfirma Jololi gastierte Youssou N’Dour 1996 in der Schorndorfer Manufaktur und entwarf einen rauschhaften Abend im Stil einer alten Motown-Revue. Wenn er mit seiner einzigartigen Stimme selbst die Rolle des Leadsängers übernahm, folgte die Band ihrem Chef fast ehrfurchtsvoll auf seiner bewegenden Zeitreise in ein selbstbewusstes, vorkoloniales Afrika. Einerseits schien Youssou N’Dour diese Ehrerbietung ein wenig peinlich zu sein. Andererseits freute er sich sichtlich, wenn ihm euphorisierte Zuschauer kleine Geldscheine zusteckten, wie das bis heute bei den Auftritten traditioneller Sänger im Senegal üblich ist. Bescheidenheit, Traditionsbewusstsein und die Fähigkeit zur Freude – das sind nicht die schlechtesten Voraussetzungen für seinen neuen Job in der Politik, deren reale Erscheinungsform sein Vorbild Bob Marley meistens abschätzig als „Politricks“ bezeichnet hatte.

Der Beginn von Youssou N’Dours zweiter Karriere ist einerseits eine typische afrikanische Wendung und andererseits eine Chance für den Senegal. Wenn alles gut läuft, könnte sie auch zum posthumen Triumph Bob Marleys über die Auswüchse politischer Macht werden.