Von Bempflingen auf die Bühne des Fernsehens: Ulrike C. Tscharre hat es aus der schwäbischen Provinz in die Filme großer Regisseure geschafft. An diesem Freitag spielt sie in Stefan Krohmers „Konfirmation“ die Mutter eines Teenagers.

Stuttgart - B

 

empflingen ist ein unscheinbarer Ort. Verschlafen liegt er zwischen Filderstadt und Reutlingen. Kirche, Bahnhof, Schule, ein bisschen Fachwerk, ein bisschen Handwerk – ansonsten passiert dort nicht so viel. Für viele der 3774 Bewohner ist das zwar mehr als genug, für überregionalen Ruhm hingegen reicht das kaum. Bis auf den Philologen Gottfried Lukas Friedrich Tafel, der 1787 hier geboren wurde, kennt man selbst in der Region drumherum kaum jemanden aus Bempflingen, der von Bedeutung wäre – zumal auch die bekannteste Tochter der Stadt allenfalls Kennern ein Begriff ist. Und das auch nur, wenn man den Zweitnamen abkürzt: Ulrike C. Tscharre.

Jahrelang als bildhübscher Geheimtipp gehandelt, macht Tscharre nun allerdings richtig Karriere im Fernsehen. Nach sieben Nebenrollen im „Tatort“, zwei Dutzend Auftritten in Serien von „Pfarrer Braun“ bis „Helen Dorn“ und einer wachsenden Zahl künstlerischer Filme spielt sie nun die weibliche Hauptrolle im ARD-Film „Konfirmation“. Und wie! Im Freitagsbeitrag zur laufenden Themenwoche „Woran glaubst du?“ ist Ulrike C. Tscharre die Mutter eines Teenagers, der sie nicht damit schockt, schwul oder Nazi zu sein, sondern: Christ.

Und das ist ein Schock für die bemüht lässige Johanna und ihren Partner, der zum Stiefsohn „Bro“ sagt und auch sonst eher peinlich wirkt als cool. Seine Frau aber wandelt so glaubwürdig zwischen Empathie, Trotz und Verlustangst, dass man meinen könnte, die privat kinderlose Ulrike C. Tscharre habe selbst pubertierenden Nachwuchs. Der Realismus darin ist dabei gewiss auch Stefan Krohmer zu verdanken, dessen Werke das bürgerliche Beisammensein seit je ebenso heiter wie klug sezieren. Dennoch ist es unerlässlich, dass sich Regisseure wie er auf Darsteller wie Tscharre verlassen können. Ein wenig Glück ist freilich auch dabei.

Die Nobilitierung verdankt sie Dominik Graf

Vor mehr als zwanzig Jahren nämlich zog die Bempflingerin hinaus in die weite Welt der darstellenden Kunst, landete 2001 nach ein paar Folgen „Verbotene Liebe“ als neue Marion Beimer in der „Lindenstraße“ und schafft dort etwas, was man vertraglich gebundenem Serienpersonal irgendwann kaum noch zutraut: den Absprung. Und zwar mitten hinein in die Hochkultur des alten Leitmediums. Schuld daran ist Sathyan Rameshs fabelhaftes Ensemblestück „Schöne Frauen“. Und weil Ulrike C. Tscharre 2004 nicht nur den Titel, sondern auch die Story von fünf gescheiterten Schauspielerinnen auf Selbstfindungssuche mit Leben füllt, wird ein sehr berühmter Kollege des Regisseurs auf sie aufmerksam: Dominik Graf.

Tscharres Melancholie, ihr Geheimnis hinter der Hülle, gepaart mit dezenter Bodenhaftung – Deutschlands derzeit bedeutendster Fernsehfilmmacher „hat etwas in mir gesehen, das er gesucht hat“, erinnert sich die Schauspielerin dreizehn Jahre später und fügt für ihr Metier erstaunlich offen hinzu: „Damals durfte ich ja längst noch nicht alles spielen, was ich wollte“. Wenn dann ausgerechnet ein „Ausnahmekünstler wie Graf“ das Wesen einer Schauspielerin entdeckt, „prägt das ungemein“. 2010 verlässt sie also die ruhige See der uralten Vorabendserie und wechselt ins Wildwasser der wichtigsten Hauptabendserie unserer Tage: „Im Angesicht des Verbrechens“. Das Russen-Mafia-Epos von Dominik Graf reißt die Kritik zu Jubelstürmen hin – und macht aus Tscharre ein Liebling der Krimifans, zuletzt zu bewundern im grandiosen Polizeifilm „Die Zielfahnder“. Und spätestens da ist klar, dass die Spätstarterin mit abgebrochenem Literaturstudium, deren Vater schon ein Vorstellungsgespräch bei der örtlichen Bank organisiert hatte, nun frei entscheiden kann, was sie spielen will. Oder muss. Denn so wichtig ihr die künstlerische Herausforderung mit jedem neuen Regisseur und jeder neuen Rolle ist: „Wenn mich Dominik Graf heute Abend anruft, ob ich morgen früh am Set stehe“, es klingt nur halb im Scherz, „bin ich da“.

Bis dahin arbeitet sie daran, ihr Repertoire zu erweitern. Kein leichtes Unterfangen für jemanden mit dieser Optik. Schlichtes Massenfernsehen wie der Pro-7-Katastrophenquatsch „Crashpoint“ von 2009 ist zwar seltener geworden, doch selbst, wenn es wie in „Konfirmation“ anspruchsvoller wird, muss die Mittvierzigerin notorisch in Unterwäsche vorm Spiegel stehen. Das kann man kritisieren, man kann es auch als Branchengesetz hinnehmen. Vor allem aber tut es der Aura von Ulrike Claudia Tscharre, dieser Spezialistin für starrsinnig schwermütige Frauen, keinen Abbruch. Aufgewachsen in Bempflingen, wo es irgendwie unschicklich war, Schauspielerin zu werden, will sie denen, die sie trotzdem gefördert haben, heute noch etwas zurufen: „Mama, Papa – ihr habt das gut gemacht!“