Voodoo Jürgens und Der Nino aus Wien singen am Sonntag Lieder über Gemeindebau, Bauchstich-Café und Stereo-Watsch'n - und das Stuttgarter Merlin fühlt sich einen weinseligen Abend lang wie ein Wiener Tschocherl an.

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Stuttgart - Es ist schon bemerkenswert, dass dieses Konzert ausverkauft ist. Voodoo Jürgens und Der Nino aus Wien treten zwar im nicht allzu großen Stuttgarter Kulturzentrum Merlin auf. Aber es ist Sonntagabend, es handelt sich um zwei Wiener Mundart-Singer/Songwriter und die beiden waren unabhängig voneinander erst kürzlich in der Manufaktur Schorndorf zu Gast (Bericht vom Nino-Konzert hier).

 

Dass sich der (neuerliche?) Besuch trotzdem lohnt, liegt nicht nur daran, dass gemeinsame Auftritte der beiden Künstler aus Wien und Tulln (zwanzig Kilometer donauaufwärts) überaus selten sind, erst recht in Deutschland. Aber es liegt eben schon auch daran, und belohnt wird, wer bis zum Ende bleibt, als Nino ein "schönes verbleibendes Wochenende" wünscht und damit die allerletzte Minute bis Mitternacht gemeint ist.

Dieses Konzertdoppel, geteilt in zwei je erst von Nino und dann von Voodoo Jürgens bestrittene Hälften, ist wie ein guter Abend im Tschocherl, jener Wiener Variante der Eckkneipe: die Dinge entwickeln sich, es gibt Aufs und Abs, aber am Ende liegt man sich weinselig in den Armen und singt mit Ambros "Heroinspaziert". Das gilt  auch fürs Publikum: im Merlin haben sich Exilösterreicher, Österreichversteher, Pop-Freaks, Neugierige und Geschwätzige versammelt; die Raucherpause nach dem ersten Konzertteil wird gerne angenommen.

Austroexotik funktioniert

Man kann dieses Konzert vom Ende her denken - oder ein paar Jahre zurückgehen. Damals machte Der Nino aus Wien mit schnoddrigen Songs auf sich aufmerksam. Ein Junger, der die Lieder der Alten kennt und verdreht und in diesem Geiste seine eigenen schreibt. 2015 waren seine Konzerte längst eine Feier des gepflegten Phlegma, das gemeinsam mit Ernst Molden eingespielte Austropop-Album verortete ihn endgültig auf der langen Zeitleiste österreichischer Songschreiberkunst. Damit bereitete Nino den Boden, auf dem Künstler wie Voodoo Jürgens gedeihen können - auch, weil man die Hörer im großen Nachbarland viel leichter erreicht. Der Dialekt und der Schmäh verbreiten hierzulande eine Austroexotik, die man kaum je ganz entschlüsseln kann, wenn man nicht in Österreich aufgewachsen ist, einem in mancherlei Hinsicht mit deutschen Maßstäben kaum fassbaren Land.

Voodoo Jürgens spielt diese Klaviatur perfekt. Er singt Lieder aus dem Gemeindebau, vom seine Kinder prügelnden, "seligen Vater" mit seinen Stereo-Watsch'n und aus dem Café Fesch, einem "Bauchstich-Café aus dem fünfzehnten Bezirk", so die Ansage. Er hat diese Geschichten angeblich alle erlebt, diese Typen alle kennengelernt. Voodoo Jürgens ist bei dem Konzertdoppel am Sonntag der 15. Bezirk, also das einigermaßen berüchtigte Rudolfsheim-Fünfhaus. Der Nino aus Wien dagegen ist der 11. Bezirk: Albern, Ölhafen und Friedhof der Namenlosen, seine Songs sind Tagtraum statt Bauchstich. Beide erinnern sie mit ihren Liedern, ihrem Outfit und ihrem Vortrag an eine Weit, in der gesellschaftliche Rollen klar verteilt sind und noch dem ärmsten Hackler wenigstens die Schwärmerei und ein Glaserl Wein blieben. Außerdem die Hoffnung, dass auch der, der "ohne G'wand und ohne Geld" auf die Welt kommt, der schönste Mann von Wien werden kann.

Man sollte diese beiden großen Songschreiber nicht falsch verstehen als Poprevanchisten, die die Zeit zurückdrehen wollen. Es ist vielmehr so, dass ihre Songs Leben beschreiben, die so heute immer noch gelebt werden. Mit weinseligen Dialektliedern hat man in Österreich viel weniger ein Problem als in Deutschland. Wenn Voodoo Jürgens und Nino also ganz zum Ende Libertines-haft ihre Köpfe zusammenstecken, beide schelmisch grinsend, ist das kein ironisches Pop-Zitat, sondern einfach der logische Höhepunkt eines ausverkauften Tschocherl-Abends mit den schönsten Männern von Wien, wie man ihn in Stuttgart nur ganz selten erleben kann.


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