Vor fünf Monaten starb Tugce Albayrak nach einer Attacke auf einem Parkplatz. Jetzt steht Sanel M. vor Gericht. An Tugces Schicksal nahmen in den sozialen Netzwerken und über Medienberichte Millionen Menschen Anteil.

Stuttgart - Fünf Monate nach dem tödlichen Schlag gegen die 22 Jahre alte Studentin Tugce A.bayrak auf dem Parkplatz eines Offenbacher Schnellrestaurants beginnt der Prozess gegen den mutmaßlichen Täter. Der 18-jährige Sanel M. aus Offenbach muss sich von diesem Freitag an wegen Körperverletzung mit Todesfolge vor dem Landgericht Darmstadt verantworten. Er sitzt seit der Tat Mitte November in Untersuchungshaft. Die Jugendkammer unter Vorsitz von Richter Jens Aßling hat zehn Verhandlungstage angesetzt. Etwa sechzig Zeugen und zwei Sachverständige sind geladen.

 

Die Eltern der Lehramtsstudentin aus Gelnhausen treten als Nebenkläger auf. Drei Berufsrichter und zwei Jugendschöffen müssen sich bis zum 15. Juni ein Bild von der Tat und dem Angeklagten machen. Sanel werde sich vor Gericht zur Sache äußern, kündigte sein Anwalt Stephan Kuhn an. „Er bereut und es tut ihm unglaublich Leid.“ Bei Heranwachsenden wie Sanel ist das Verfahren grundsätzlich öffentlich. Zum Schutz des Angeklagten oder von Zeugen kann die 10. Große Strafkammer die Öffentlichkeit aber teilweise ausschließen.

Tugce hat zwei Teenager-Mädchen geholfen

Was ist laut Anklage in den Morgenstunden des 15. November passiert? Tugce soll zunächst in der Damentoilette des Fast-Food-Lokals bei einem Streit zwischen Sanel und seinen Begleitern mit zwei Mädchen unter 14 Jahren eingegriffen haben. Dabei soll sie die drei jungen Männer erfolgreich aufgefordert haben, die Toilette zu verlassen. Einige Zeit später kam es auf dem Parkplatz vor dem Lokal zu einer Auseinandersetzung zwischen den Gruppen um Sanel und Tugce. Dabei sollen Beleidigungen hin und her gegangen sein. Ein Begleiter, der mit auf der Toilette gewesen sein soll, soll Sanel davon abgehalten haben, auf die andere Gruppe loszugehen.

Etwa zehn Minuten später soll Tugce einige Schritte auf Sanel zugegangen sein. Obwohl ihn sein Kumpel immer noch festhielt, schlug der 18-Jährige laut Anklage flach mit der rechten Hand so gegen Tugces Kopf, dass sie ohne jede Abwehrreaktion seitlich rückwärts auf den Asphalt fiel und mit dem Kopf aufschlug.

Am 23. Geburtstag wurden die Maschinen abgeschaltet

„Der Angeklagte soll erkannt haben, dass mit diesem Schlag die Gefahr eines solchen Sturzes mit tödlich verlaufenden Verletzungen verbunden sein kann“, stellt die Staatsanwaltschaft fest. Durch den Aufprall erlitt die Studentin ein Schädelhirntrauma mit Brüchen des Schädelknochens und fiel ins Koma, aus dem sie nicht mehr erwachte. Am 28. November, ihrem 23. Geburtstag, wurden die lebenserhaltenden Maschinen abgestellt.

Die Mindeststrafe für Körperverletzung mit Todesfolge beträgt bei einem Erwachsenen drei Jahre. Bei dem Angeklagten, der in der Tatnacht seinen 18. Geburtstag nachgefeiert haben soll, halten Beobachter eine Verurteilung nach Jugendstrafrecht für wahrscheinlich. Dafür muss das Gericht eine Reifeverzögerung feststellen. Eine Jugendstrafe – also Gefängnis – liegt (außer bei Mord) zwischen sechs Monaten und zehn Jahren. Damit wäre auch eine Bewährungsstrafe möglich.

Der Angeklagte ist einschlägig vorbestraft

Frühere Straftaten von Sanel werden dabei auch eine Rolle spielen. Der 18-Jährige war laut Anklagebehörde bereits viermal strafrechtlich in Erscheinung getreten, zweimal wegen Diebstahls, einmal wegen räuberischer Erpressung und einmal wegen gefährlicher Körperverletzung. Dafür saß er 2013 auch bereits im Jugendarrest.

An Tugces Schicksal nahmen in den sozialen Netzwerken und über Medienberichte Millionen Menschen Anteil. Viele verehrten die türkischstämmige Studentin als „Heldin“ und lobten ihre Zivilcourage. Kommunalpolitiker wollen in Offenbach eine Brücke nach ihr benennen. Der Eintracht-Frankfurt-Fußballspieler Haris Seferovic erinnerte beim Torjubel an sie, eine Petition für das Bundesverdienstkreuz unterzeichneten mehr als 215 000 Menschen. Bundespräsident Joachim Gauck kündigte an, prüfen zu lassen, ob die junge Frau posthum für ihre Zivilcourage geehrt werden soll. Die Bundesregierung begrüßte dies. Freunde von Tugce haben zum Prozessbeginn eine Mahnwache gegenüber dem Gerichtsgebäude angekündigt. Sie erwarten rund 250 Teilnehmer.