Die Bundeskanzlerin gesteht vor dem Beginn der Sondierungsgespräche der Grünen-Führung einen wichtigen Punktsieg zu. Rote Linien für eine Koalition mit der Umweltpartei und den Liberalen nennt sie ausdrücklich nicht.

Berlin - Zwei Wahlen hat Angela Merkel am Montag zu kommentieren gehabt, beide mit Folgen für die unionsinterne Debatte. Die Stimmabgabe in Niedersachsen hat der CDU das schlechteste Ergebnis seit 1959 eingetragen, weshalb jüngere Funktionäre, gerade aber die bayerische Schwesterpartei CSU von einem weiteren Warnschuss sprechen. Die Wahl in Österreich wiederum, die der klar rechts ausgerichtete Sebastian Kurz für die Partnerpartei ÖVP gewann, beflügelt ebenfalls die Fantasie eher konservativer Unionsleute. Zu Niedersachsen blieb die Parteichefin bei ihrer Linie, den Sieg der Sozialdemokraten vor allem als Landesphänomen zu behandeln. Zu ihrem künftigen Kanzlerkollegen bemerkte sie interessanterweise, dass Kurz „energisch die Erneuerung der Partei vorangetrieben“ habe. Eine große Richtungsdebatte, so berichteten Teilnehmer der Gremiensitzung anschließend, habe es dennoch nicht gegeben.

 

Der Blick nach vorne, auf die am Mittwoch startenden Sondierungsgespräche mit FDP und Grünen, soll Niederlagen vergessen machen. Als stärkste Partei gehe man „selbstbewusst“ in die Gespräche, ließ Merkel wissen. „Wir müssen jetzt schauen, gut in die Vorwärtsbewegung zu kommen“, meint CDU-Vize Thomas Strobl, der Stuttgarter Innenminister: „Bestes Mittel dafür sind erfolgreiche, ergebnis- und zielorientiert geführte Koalitionsverhandlungen im Bund.“ Dort müssen die Union nun zeigen, dass sie Probleme lösen könne „für die Mitte der Gesellschaft – für die kleinen Leute, die morgens früh aufstehen, hart arbeiten und abends müde ins Bett gehen“.

Das spiegelt sich bei den Themen, die Merkel als Schwerpunkte der Union ausgab: Rente und Pflege, Stärkung ländlicher Räume, bezahlbarer Wohnraum in Großstädten , Familienpolitik, dazu Wirtschaft und Sicherheit. Rote Linien gibt es ausdrücklich nicht. Nur einen Nebensatz verwandte Merkel auf die Zuwanderung, interessanter noch, welche Bereiche sie nicht erwähnte. So ist für die Kanzlerin schon jetzt klar, dass gesunde Finanzen kein Streitthema werden. Klima und Energie nannte sie erst auf Nachfrage, was Raum für Spekulationen lässt, ob den Grünen hier entgegengekommen werden soll. Überhaupt gibt es auch im Parteivorstand Kritiker, die diese Festlegungen für viel zu vage halten und ein gemeinsames Konzept zusammen mit der CSU vermissen.

Zur Freude der Grünen ist Merkel in einem Punkt schon klar auf sie zugegangen: Deren Wunsch, nach den mehrwöchigen Sondierungen ein Dokument an die Hand zu bekommen, um auf ihrem Parteitag mit konkreten Erfolgen für förmliche Koalitionsverhandlungen werben zu können, hat die Kanzlerin entsprochen: „Das ist uns auch recht.“ Parallel zu den Grünen will die CDU auf einer Bundesvorstandsklausur ihrerseits Bilanz der Sondierungen ziehen, die mehr sein würden als „ein persönliches Kennenlernprogramm“.

Wie können CDU, Grüne und FDP ihre Anliegen unter einen Hut bekommen? Das erproben zwei Stuttgarter – zumindest in abgespeckter Form – in schon seit Jahren. Denn Jan Havlik von der FDP und Brian Krause von den Grünen leben zusammen in einer WG. Wir haben die Jamaica-WG mit der Kamera besucht:

Die Liberalen brauchen keinen „Aufsichtsrat“

In der FDP sehen sie das ähnlich. „Wir werden sicher schon am Anfang der Sondierungen über die schwierigen Themen sprechen müssen“, sagte der Böblinger Abgeordnete Florian Toncar dieser Zeitung. Er geht auch davon aus, „dass am Ende der Sondierung mehr stehen muss als die Erkenntnis, dass sich alle Beteiligten menschlich näher gekommen sind“. In der Parteiführung war aber zunächst noch umstritten, ob dies auch im Abfassen eines schriftlichen Dokuments münden soll, das dann die Grünen-Führung ihren Delegierten präsentieren kann. Kritiker monieren, man dürfe sich von den Grünen „nicht das Verfahren aufzwingen lassen“. Mit der Festlegung Merkels dürften sie es aber schwer haben.

Die FDP geht mit einem kleinen „Kernteam“ in die Gespräche. FDP-Chef Christian Lindner, Vizechef Wolfgang Kubicki, Generalsekretärin Nicola Beer und der erste Fraktionsgeschäftsführer Marco Buschmann bilden ein Quartett, das bei Bedarf mit Fachleuten aus Präsidium und Vorstand ergänzt wird. Die zahlenmäßig klar überlegenen Delegationen von Grünen und Union schrecken die Liberalen nicht – im Gegenteil. Das spiegele die Einigkeit der Partei wieder, heißt es in deren Führung, anders als die zerstrittenen Parteien CDU, CSU und Grüne müsse die FDP nicht mit „komplettem Aufsichtsrat“ auflaufen. Neben der Frage, ob gegenseitiges Vertrauen möglich ist und Feindbilder überwunden werden können, geht es ihr vor allem darum, ob sie, wie es intern heißt, bei den „fünf Es“ Erträge einfahren kann: Einwanderung, Energie, Europa, Entlastung, und „Education“ – soll heißen: Bildung. Eine Bedingung hat Lindner schon mal genannt: die Abschaffung des Solidaritätszuschlags.

Die Grünen wollen nicht nur Abwehrkämpfe führen

Bei den Grünen hat die 14-köpfige Sondierungsgruppe am Montag das erste offizielle Gespräch mit der Union vorbereitet. Es war das dritte Treffen der grünen Unterhändler; zwischendurch gab es Telefonkonferenzen, vereinzelt und bilateral wohl auch erste Kontakte zu potenziellen Jamaika-Partnern. Aber im Wesentlichen ging es, so heißt es, um einen grünen Selbstfindungsprozess auf der einen, und das Abstecken von Strategien auf der anderen Seite. „Nicht unkritisch, aber konstruktiv“ gehe es dabei zu, hieß es aus Teilnehmerkreisen.

Parteichefin Simone Peter war es am Morgen überlassen, die Tonlage für die nächsten Tage zu definieren. „Bei den sozialen Fragen und beim Klimaschutz kann es nicht nur bei Abwehrkämpfen bleiben. Da müssen wir Antworten geben“, sagte sie. Die Grünen würden deshalb „konstruktiv in die Gespräche reingehen, aber den Ausgang offen halten“. Klar scheint bisher, dass für die Grünen ein Einwanderungsgesetz zu den prioritären Verhandlungszielen zählt und dass sie sich für einen großzügigen Familiennachzug für Geflüchtete stark machen werden. Sie werden auf einen raschen Kohleausstieg und eine konsequente CO2-Reduktion bei Autos pochen.

Parteichef Cem Özdemir und Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt, die die Sondierungsgespräche auf grüner Seite leiten, hielten sich mit Äußerungen zurück. Beim Treffen mit Merkels Team werden beide zusammen mit Peter und Fraktionschef Toni Hofreiter „plus X“ antreten. Erst am Freitag, beim ersten kompletten Jamaika-Sondierungstreffen, sitzen dann alle grünen Unterhändler mit am Tisch.