Stuttgart liest vor und will damit die Leselust bei Schülern wecken: Im Pressehaus, in Verlagen und in Buchhandlungen haben Vorleser magische Geschichten vorgetragen.

Stuttgart - Warum denken die Kinder in Finnland, dass sie nach der ersten Klasse an die Universität kommen? Und sind dort wirklich alle Schulgebäude rosa? Ausgefuchst und inhaltlich überraschend präzise sind die Fragen der Grundschüler, mit denen sie an diesem Freitagmorgen Lokalredakteur Alexander Ikrat löchern. Der hatte nämlich anlässlich des bundesweiten Vorlesetags genau zehn Minuten lang aus „Ella in der Schule“ vorgelesen, dem Lieblingsbuch seiner eigenen Kinder. Darin lässt der finnische Kinderbuchautor Timo Parvela die Grundschülerin Ella mit viel Witz und Charme von ihrem Schulalltag erzählen.

 

Kluge Fragen, begeisterte Zuhörer

„Ich bin überrascht, wie viele kluge Fragen die Schüler stellen und wie begeistert sie zuhören“, erklärt Nadia Köhler, die als Leiterin der Stuttgarter Kinderzeitung und Kindernachrichten zum Vorlesetag ins Pressehaus in Möhringen eingeladen hatte. Und weil es sich auf dem Teppichboden und in Sitzsäcken einfach besser sitzt als auf öden Stühlen, hatten es sich rund 70 Drittklässler der Körschtalschule aus Plieningen auf dem Boden bequem gemacht, bereit den Geschichten von acht Redakteuren dieser Zeitung zu lauschen. Neben den Klassikern wie „Das Dschungelbuch“ von Rudyard Kipling fesselten auch moderne Kindergeschichten, wie „ Die Nacht der gefangenen Träume“ von Antonia Michaelis die kleinen Zuhörer. Dabei entführte Redakteurin Wenke Böhm die Grundschüler in die Welt der Träume.

Schaurig gruselig und märchenhaft

Das schaurig gruselige „Krabat“ von Otfried Preußler aber, hatte es den Acht- bis Zwölfjährigen besonders angetan: Nach zwanzig Minuten musste Vorleser und Titelautor Mirko Weber hoch und heilig versprechen, einmal zur Vorlesestunde in die Plieninger Grundschule zu kommen. „Die findet täglich nach der Großen Pause statt“, erklärte Deutschlehrerin Brigit Fürtsch. Dabei herrschen strenge Regeln – weder Aufstehen noch Reden sind erlaubt. Und während Redakteurin Kathrin Zinser beim Vorlesen aus „Wir Kinder von Bullerbü“ die geübten Zuhörer mit der Geschichte von Oles losem Milchzahn verzückte, entdeckten zur gleichen Zeit am anderen Ende der Stadt, genauer im Stuttgarter Westen, Flüchtlingskinder die Märchen der Gebrüder Grimm.

Denn auch der Klett Sprachen Verlag hat eine besondere Anstrengung unternommen, um Kindern, die eher ohne Bücher aufwachsen, die Lust auf Lesefutter zu machen. Vorneweg der Verlagsleiter David Klett, aber auch eine Reihe von Mitarbeitern und der Rapper Bartek. In Schulen, Flüchtlingsheimen und Kitas waren sie unterwegs. Und besonders war auch die Vorleseaktion der Französisch-Spezialisten von Klett am Königin-Katharina-Stift.

Im Geschichten-Sammelfieber

Vorlesen kann also ein spannendes Abenteuer sein. Sogar dann, wenn gar nicht vorgelesen wird! Denn als Leseohren-Patin Irmgard Lederer bei Osiander am Marktplatz merkt, dass sie mit „Käpt`n Kaos“ bei ihren jungen Zuhörern ratlose Gesichter fabriziert, greift sie kurzerhand zum Stuttgart-Wimmelbuch – und bastelt mit der kleinen Runde Geschichte um Geschichte. „Ab in die Pinocchio-Probe!“ heißt es für die kecken Kinder, die beim Punktesammeln mogeln, weil sie allesamt vom Geschichten-Sammelfieber gepackt werden.

Aufregende anderthalb Stunden sind das sowieso für die Sechstklässler von der Pestalozzi-Werkrealschule in Stuttgart-Vaihingen. Erst geht es zwecks Erkundung die Buchhandlung rauf und runter, dann lösen sie dazu ein Quiz und teilen sich in drei Gruppen. Und jede ist ganz anders!

„Die wunderbare Welt der Literatur“

Gemütlich fläzen sie bei Monika Leistner, der es fast spielerisch gelingt, die Kinder in Spannung zu halten und so „für die wunderbare Welt der Literatur zu begeistern“, wie sie sagt. Ganz nah dran ist auch Peter Wuppermann. Und so folgt ihm selbst der anfangs hibbelige Mavlet bei der „Reise bis hinter den Mond hinaus“ mit zunehmender Aufmerksamkeit. So zeigen die Profis vom Verein Leseohren, dass sich durchaus auch Wenig-Leser für Bücher begeistern lassen.