Viele aussichtsreiche Kandidaten gehen in diesem Jahr ins Rennen um den begehrteste Filmpreis der Welt. Dominieren werden die 89. Oscar-Verleihung an diesem Sonntag Hollywood selbst, die Afroamerikaner und der US-Präsident.

Stuttgart - Hollywood hatte schon immer Sehnsucht nach sich selbst, die Oscar-Nacht dient ihm auch der Selbstvergewisserung. Diesmal geht es dabei nicht nur um Kunst und die eigene Geltung, sondern um eine Gesinnungskrise. Bei der Präsidentschaftswahl hat nicht nur Hillary Clinton verloren, obwohl große Teile Hollywoods sie unterstützten – abgewählt wurde auch das bürgerrechtsliberale, politisch korrekte Weltbild vieler Stadt- und Küsten-Bewohner der USA. Dieses Weltbild ist Teil eines Feindbild-Komplexes, den der neue Präsident aus dem Wahlkampf ins Oval Office mitgenommen und dort unter Artenschutz gestellt hat. Donald Trump darf also nicht auf Gnade hoffen bei der Oscar-Verleihung, die traditionell eine von Witz und Satire getriebene Abrechnung mit den Verhältnissen ist; es könnte sogar richtig blutig werden vor zuletzt rund 34 Millionen Zuschauern weltweit.

 

Als Moderator fungiert der joviale TV-Talker Jimmy Kimmel, der freilich auch schon „alternative Fakten“ verulkt hat. „Es gibt so viele Trump-Nachrichten (...), man fragt sich, wie viel davon die Amerikaner überhaupt verarbeiten können“, sagte er vor einer Straßenumfrage, bei der US-Bürger Trump-Nachrichten und Inhalte aus der jüngsten Staffel der Zombie-Serie „The Walking Dead“ nicht auseinanderhalten konnten. Bei den Oscars ist der zeitgenössische Western „Hell Or High Water“ nominiert, ein feinsinniger Ausflug ins abbruchreife West-Texas der Abgehängten, und Jeff Bridges als latent rassistischer Ranger als bester Nebendarsteller.

Ein Höhepunkt der Selbstvergewisserung Hollywoods wäre aber ein Erfolg für „La La Land“, das wie einst „Titanic“ mit der bislang höchsten Anzahl von 14 Nominierungen ins Rennen geht. In Damien Chazelles Musical erleben eine Schauspielerin (Emma Stone) und ein Jazz-Pianist (Ryan Gosling) ein kurzes Glück, das sich als flüchtig erweist wie das Showgeschäft. Der Film ist eine Hommage an die Goldene Ära Hollywoods, und weil Chazelle („Whiplash“) seine Figuren liebt, steckt in dieser Romanze die ganze universelle Tragik unerfüllter Liebe wie einst in „Casablanca“. Der Regie-Oscar wäre so verdient wie der für die souverän durch den Film schwebende Hauptdarstellerin Stone.

Alle schauen auf das Abschneiden der Afroamerikaner

Ihr gefährlich werden könnte Isabelle Huppert, nominiert als Vergewaltigungsopfer und Racheengel in „Elle“. Gosling dürfte chancenlos sein wie auch Viggo Mortensen, der in „Captain Fantastic“ als fundamentalistischer Aussteiger seinen Nachwuchs einer normalen Kindheit beraubt. Anders Casey Affleck im herzzerreißenden Drama „Manchester by the Sea“, in dem es um Familie geht und um Vergangenheit, die einen einholt. Der Film selbst und Regisseur Kenneth Lonergan haben allerdings starke Konkurrenz.

Das zweite wichtige Thema dieses Oscar-Abends dürfte nämlich das Abschneiden der afroamerikanischen Filmschaffenden werden. 2016 war es zum Eklat gekommen, weil schon zum zweiten Mal in Folge keine Afroamerikaner nominiert waren. Rassismus-Vorwürfe trafen die Academy. Nun sind gleich drei eindeutig afroamerikanisch geprägte Filme im Rennen. In „Fences“ brilliert Denzel Washington als kleinbürgerlicher Patriarch, der in den späten fünfziger Jahren an der großen Moral scheitert, die er Frau und Sohn ständig predigt. Er darf auf seinen zweiten Darsteller-Oscar nach 2002 hoffen, der 2006 verstorbene Dramatiker August Wilson, für „Fences“ 1986 bereits Pulitzer-prämiert, könnte posthum einen Drehbuch-Oscar bekommen.

Ganz harte Realität zeigt das spröde Ghetto-Drama „Moonlight“. Für den begabten, gemobbten Sohn einer alleinerziehenden Drogenabhängigen, der nicht weiß wohin mit seiner Homosexualität, gibt es keine Zukunft im Amerika von heute – Ausweglosigkeit in drei Akten hat der für Regie und Drehbuch nominierte Barrry Jenkins inszeniert. Mahershala Ali („House of Cards“) als kinderfreundlicher Drogendealer im Zwiespalt konkurriert mit Jeff Bridges um den Nebendarsteller-Oscar.

Disney hat starke Konkurrenz

Er ist auch in „Hidden Figures“ zu sehen, der Geschichte dreier afroamerikanischer Nasa-Mitarbeiterinnen in den 1960er Jahren, ohne deren Zutun die Amerikaner es nicht als erste auf den Mond geschafft hätten. Das Melodram ist im Rennen um den besten Film, Octavia Spencer könnte nach 2012 („The Help“) erneut als beste Nebendarstellerin ausgezeichnet werden.

Beim Animationsfilm hat Disney gleich zwei Produktionen am Start, wobei die clevere Satire „Zoomania“, in der eine Häsin und ein Fuchs in der Tier-Metropole eine Verschwörung aufdecken, die Nase vorn haben dürfte gegenüber dem Südsee-Märchen „Vaiana“. Dagegen steht „Kubo – der tapfere Samurai“ von Travis Knight aus dem kleinen, feinen Studio Laika („Coraline“), ein sinnliches Fest der Fantasie voller Magie und Humor. Weil Kubo lustvoll das Origami-Papier wirbeln und verschiedenste Gestalten annehmen lässt, ist der Film zurecht auch für die besten visuellen Effekte (VFX) nominiert. Genau wie das „Dschungelbuch“, in dem digitale Tiere zu hyperrealistischem Leben erwachen, was besonders in Massenszenen beeindruckt – auch wenn die Pionierleistung natürlich der Tiger in „Life of Pi“ war (VFX-Oscar 2012).

Nach viel Lob ohne Preis in Cannes und bei den Golden Globes ist der Auslands-Oscar Maren Ades letzte Chance auf eine große Auszeichnung. Vereiteln könnte dies Asghar Farhadis „The Salesman“ nicht nur, weil es sich um einen iranischen Film handelt: Brillant inszeniert er die Wandlung eines reflektierten Bildungsbürgers zum hysterischen Rächer. Nicht minder bemerkenswert ist indes, wie Ade mit ihrem Vater-Tochter-Konflikt in die ideologischen Schützengräben steigt, die neoliberale Realität und Kapitalismuskritik voneinander trennen.

Die Oscar-Gala findet an diesem Sonntag im Dolby Theatre in Los Angeles statt. Pro7 überträgt die Zeremonie live von 2.30 Uhr an.