Das Buch „Mit Kanonen auf Spatzen“ will die Ereignisse vom 30. September 2010 im Stuttgarter Schlossgarten unvergessen machen.

Wenn Uli Sckerl von den knapp 200 Stunden berichtet, die er als Obmann der Grünen im Untersuchungsausschuss zum "schwarzen Donnerstag" verbracht hat, spricht er gerne von einer Tortur. Damit spielt er nicht nur auf sein strapaziertes Sitzfleisch an - viel mehr belastet haben ihn die seiner Ansicht nach "skandalösen Stellungnahmen" der Kollegen von CDU und FDP: "Die Geschichte wurde gefälscht, reingewaschen und neu aufgeschrieben."

 

Um daran zu erinnern, "was am denkwürdigen 30. September im Schlossgarten geschah und zu welchen Ergebnissen der eingesetzte Untersuchungsausschuss gekommen ist", so Sckerl, hat der Landespolitiker zusammen mit dem Historiker und Autor Gunter Haug und Beatrice Böninger ein Buch herausgegeben: "Mit Kanonen auf Spatzen". Am Mittwoch ist das Werk, an dem etliche bekannte und unbekannte Autoren und Zeugen mitgeschrieben haben, im Kunstgebäude am Schlossplatz vorgestellt worden. Der Impuls dazu kam von Beatrice Böninger, einer ehemaligen Kriminalhauptkommissarin beim Verfassungsschutz, die für den Arbeitskreis Juristen zu Stuttgart 21 alle Ausschusssitzungen mitverfolgt hat. Dabei habe sie sich oft über die Versuche geärgert, wie sie sagt, "die Protestbewegung zu kriminalisieren und Sachverhalte zu verdrehen". Dagegen habe man etwas unternehmen müssen.

Missstände aufdecken und unbequeme Wahrheiten beim Namen nennen

Herausgekommen ist nun ein Schwarzbuch, "das Missstände aufdecken, unbequeme Wahrheiten beim Namen nennen und Arbeit gegen das Vergessen leisten will", wie der Verleger Dankwart von Loeper gestern betonte. All dies sei dringend geboten, wenn es um die Ereignisse des 30. September gehe: "An diesem Tag sind mit martialischen Methoden die Grundrechte beschädigt und viele Menschen körperlich und seelisch verletzt worden."

In der Reihe der Autoren, die einen Bericht beigesteuert haben, steht neben dem Grünen-Stadtrat Werner Wölfle, dem Schriftsteller Wolfgang Schorlau, der Theologin Friederike Köstlin sowie dem Historiker Gerhard Raff auch Dieter Reicherter, der elf Jahre Vorsitzender Richter am Landgericht war. Seit Anfang September 2010 im Ruhestand, sei er am "schwarzen Donnerstag" zufällig in Stuttgart gewesen, berichtet er.Was er dann im Schlossgarten erlebte, hat er in seinem Beitrag mit "Die Ohnmacht der Bürger" überschrieben. Wie viele andere sei er abseits des Weges, der geräumt werden sollte, ohne Vorwarnung von einem Wasserwerfer unter Beschuss genommen worden. Dann hätten Polizisten in schwarzer Montur so massiv in die Wiese gedrängt, dass er befürchtet habe, dass eine Panik ausbricht und sich die Menschen tottrampeln.

Bekannt geworden ist der ehemalige Richter durch seine Dienstaufsichtsbeschwerde, die er beim Innenministerium eingereicht und bundesweit verschickt hat. Berichten wollte er von seinem Erlebnissen zudem auch im Untersuchungsausschuss. Nach viereinhalbstündigem Warten sei ihm aber gesagt worden, dass er nicht gebraucht werde und gehen könne.

Buchvorstellung Mit Kanonen auf Spatzen, Loeper Literaturverlag, 185 Seiten, zwölf Euro.