Mehr als eine Million Euro fordert Detlev Zander von der Brüdergemeinde Korntal. Der Grund: Zander gibt an, in einem Kinderheim vergewaltigt und gequält worden zu sein. Vor Gericht muss er jetzt aber einen Rückschlag hinnehmen.

Update (26.9.2014): Wie angekündigt, hat der Anwalt des Klägers Beschwerde gegen die Entscheidung des Landgerichts über die Prozesskostenhilfe eingelegt. Nun muss das Oberlandesgericht den Fall prüfen.

 

Korntal-Münchingen - Das Landgericht Stuttgart will die Klage eines Mannes gegen die Brüdergemeinde nicht finanziell unterstützen. Detlev Zander war von 1963 bis 1977 im Kinderheim Hoffmannhaus in Korntal und berichtet von sexuellem Missbrauch, Prügelorgien und Zwangsarbeit. Er ging deshalb im Frühjahr mit seiner Forderung von 1,1 Millionen Euro Schadenersatz und Schmerzensgeld an die Öffentlichkeit. Um die beabsichtigte Klage finanzieren zu können – bei diesem Streitwert liegen allein die Gerichtskosten bei mehr als 16 000 Euro –, hatte er ein Gesuch um Prozesskostenhilfe eingereicht. Die zweite Zivilkammer wies dieses nun zurück, weil sie „keine hinreichenden Erfolgsaussichten“ sehe.

Zur Begründung heißt es, dass der Anspruch verjährt sei – darauf hatte sich auch die Brüdergemeinde berufen. Zudem seien laut der Kammer die „aufgestellten Behauptungen nach dieser langen Zeit nur sehr vage hinsichtlich der Zeit, der genauen Tathandlung und der Beteiligten“. Aus Sicht der drei Richter musste Zander seine Vorwürfe „vielleicht auch wegen des lang zurückliegenden Zeitraums, auf Vorhalt der Antragsgegnerin in dem ein oder anderen Punkt korrigieren, was im Ansatz die Schwierigkeiten aufzeigt, nach all den Jahren das Geschehene aufzuklären“.

Zander hatte 1,3 Millionen Euro gefordert, die Summe aber Anfang Juli auf 1,1 Millionen Euro reduziert. Denn anders als zunächst angegeben, hatte er das Abitur nicht nachgeholt, weshalb ihm die schweren psychischen Folgen das angeblichen Missbrauchs auch keine akademische Karriere unmöglich gemacht haben. Sein Anwalt Christian Sailer, der schon lange Missbrauchsopfer vertritt, hat diese Angaben Zanders als „Angeberei“ bezeichnet, die „aus den massiven Minderwertigkeitskomplexen erwuchs (...) seit seine Würde durch die jahrelangen Erniedrigungen aufs Schwerste verletzt wurde“.

Sailer kann die Begründung des Gerichts hinsichtlich der Wahrhaftigkeit der gemachten Angaben „absolut nicht nachvollziehen“. Abgesehen von dem Thema Abitur habe er für die übrigen Sachverhalte 20 bis 30 Zeugen benannt, die diese bestätigen könnten. Was die Verjährung anbelangt, sei dies von Anfang an ein bekanntes Problem gewesen. Der Anwalt, der derzeit noch im Ausland ist, will nach seinem Urlaub die Begründung genau prüfen „und dann erwägen, Beschwerde gegen den Beschluss vor dem Oberlandesgericht einzulegen“. Dafür habe er einen Monat Zeit. Ebenso müsse er noch mit Zander beraten, ob dieser, vielleicht unterstützt durch Spenden, trotzdem klagen werde.

Der Stuttgarter Rechtsanwalt Martin Hirschmüller, der die Brüdergemeinde in dieser Angelegenheit vertritt, zeigte sich erleichtert über die Entscheidung der Kammer. „Damit wird unsere Rechtsauffassung voll bestätigt.“ Die Brüdergemeinde hatte sich nicht nur auf die Verjährung berufen, was Zanders Anwalt mit dem Einwand parierte, dass die Verantwortlichen noch innerhalb der Frist seinen Mandanten in einem Brief um Vergebung gebeten hätten. Sondern auch darauf, dass Zander Unterstützung aus dem von Bund, Ländern und Kirchen finanzierten Fonds Heimerziehung bezogen und das zunächst verschwiegen habe. Der Fonds ist ein Ergebnis des Runden Tisches, der zur Aufarbeitung der Heimerziehung in der Bundesrepublik Deutschland zwischen 1949 bis 1975 ins Leben gerufen worden war. Eine Anerkennung des Prozesskostenhilfegesuchs hätte aus Hirschmüllers Sicht die Konsequenz gehabt, „dass das Konstrukt Runder Tisch in sich zusammengefallen wäre“.

Was ist Prozesskostenhilfe?

Prozesskostenhilfe
Sie ist eine Unterstützung für einkommensschwache Menschen. Der Antrag auf Prozesskostenhilfe (PKH) muss bei dem Gericht gestellt werden, bei dem auch geklagt werden soll. Der Antragsteller muss eine Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse abgeben, zudem prüft das Gericht vorab die Erfolgsaussichten des Antragsstellers. Die Unterstützung wird nur bei hinreichender Erfolgsaussicht gewährt. Ist nur mit einem teilweisen Erfolg zu rechnen – zum Beispiel ein geringeres Schmerzensgeld als angestrebt – gibt es auch nur einen Teil der PKH.

Gesetzesänderung
Angesichts gestiegener Ausgaben der Länder für diese Hilfe wurden zum 1. Januar 2014 die Vorgaben für die Bewilligung verschärft, das gleiche gilt für die Regeln für die Rückzahlung des Geldes. Mit dem neuen Gesetz kam die Bundesregierung auch Forderungen der Länder nach, deren Haushalte durch steigende Ausgaben für Prozesskosten- und Beratungshilfe belastet werden. Bund und Länder zahlten 2010 rund 509 Millionen Euro PKH; in die Staatskassen zurück flossen rund 63,3 Millionen. Baden-Württemberg zahlte 2010 rund 51,1 Millionen und erhielt 12,8 Millionen zurück. Am Landgericht Stuttgart wurde 2013 in fünf Prozent aller Verfahren PKH beantragt, fast drei Viertel dieser Anträge wurden auch bewilligt. Insgesamt wurden rund 560 000 Euro ausbezahlt.

Amoklauf
Einen Antrag auf PKH hatte auch der Vater des Amokläufers von Winnenden gestellt. Er wollte Zivilklage einreichen gegen das psychiatrische Klinikum in Weinsberg, weil es ihn auf die Gefährlichkeit seines Sohnes hätte hinweisen müssen, argumentierte er. Die 1. Zivilkammer des Landgerichts Heilbronn entschied aber gegen seinen Antrag.