Als Spitzenbeamter in Berlin hatte Uwe Lahl schon 2008 Hinweise auf Manipulationen bei Abgasmessungen. Beweise für die „abenteuerliche Geschichte“ hätten aber gefehlt. Trotz seines Konflikts mit einem kritischen Experten sieht sich der Amtschef von Verkehrsminister Hermann als Aufklärer.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart / Berlin - Der VW-Abgasskandal war gerade frisch aufgeflogen, da richtete Winfried Hermann (Grüne) kritische Worte gen Berlin. Die Bundesregierung, monierte der Stuttgarter Verkehrsminister per Interview, „hätte Hinweisen auf Manipulationen bei der Motorsteuerung längst nachgehen und genauer hinschauen müssen“. Stattdessen habe sie diese „als böswillige Unterstellungen abgetan“ und sich darauf verlassen, „dass in den ohnehin miserablen Tests nicht auch noch betrogen wird“. In Baden-Württemberg, berichtete Hermann, habe man sich schon lange gewundert, weshalb die Luftbelastung anhaltend hoch bleibe, „obwohl die Autos doch angeblich immer besser werden“.

 

Warum der Messbetrug nicht schon vor Jahren in Deutschland, sondern erst 2015 durch US-Behörden aufgedeckt wurde – dazu könnte der Minister im eigenen Haus einiges erfahren. Er müsste nur ein paar Zimmer weiter gehen, zu seinem Ministerialdirektor Uwe Lahl. Der Spitzenbeamte saß von 2001 bis 2009 an einer Schlüsselstelle in Berlin: Unter den Ressortchefs Jürgen Trittin (Grüne) und Sigmar Gabriel (SPD) leitete er die Abteilung Immissionsschutz, Gesundheit und Verkehr im Bundesumweltministerium. Dort erreichten ihn schon früh Hinweise auf Schummeleien bei der Motorsoftware. Doch sein Umgang damit wirft ebenso Fragen auf wie seine Rolle beim Kaltstellen eines hartnäckigen Experten – Fragen, die Lahl wohl vor dem Berliner Untersuchungsausschuss zum „Dieselgate“ beantworten muss. Dort dürfte er als wichtiger Zeuge in die Zange genommen werden.

Schummelei schon 2008 beschrieben

Wie nah die Beamten in Lahls damaliger Abteilung den Schummlern aus der Autoindustrie bereits auf der Spur waren, zeigt ein internes Papier, über das aktuell der „Spiegel“ berichtet. Bereits im Frühjahr 2008 sei darin präzise „moderne Fahrzeugtechnik“ benannt worden, die erkennen könne, ob sich ein Fahrzeug auf dem Prüfstand befinde. Die Software schalte dann „auf ein für die Abgas- und/oder Verbrauchsmessung optimiertes Motorkennfeld um“, das „vom normalen Betrieb abweicht“. Ob eine solche Manipulation – Fachausdruck: „cycle beating“ – stattfinde, werde bisher nicht überprüft. Im Kern war das VW-Prinzip damit bereits Jahre vor der Enttarnung beschrieben.

Jawohl, bestätigte Lahl der Stuttgarter Zeitung, es habe zu seiner Zeit im Bundesumweltministerium „in der Tat Hinweise über Differenzen zwischen den Messungen auf dem Rollenprüfstand und auf der Straße“ gegeben. Aus dem nachgeordneten Umweltbundesamt seien sogar „Behauptungen“ gekommen, dass Autos die Testsituation erkennen könnten „und dann die Abgasreinigung hochgefahren würde“. Beweise hätten aber gefehlt. „Ich leugne nicht, dass ich damals skeptisch war bezüglich des behaupteten cycle beatings“, sagt der Amtschef. Weil man „auf eine so abenteuerliche Geschichte nur kommen kann, wenn es Insider-Informationen gibt“, habe er die Vermutungen aber ernst genommen.

„Ich war der Treiber in dieser Sache“

Wie ernst – das wird noch zu klären sein. Entgegen dem „Spiegel“-Bericht, sagt Lahl, seien die frühen Hinweise im Bundesumweltministerium keineswegs gelöscht worden. Man habe sie nur „an einer zweiten Stelle gestrichen“, um eine Doppelung zu vermeiden; in einem von ihm veranlassten Untersuchungskonzept seien sie erhalten geblieben. Der Ministerialdirektor bestätigt hingegen den Inhalt einer Mail, mit der er damals dem Umweltbundesamt Dampf machte. „Noch einmal norddeutsch klar“ schrieb er im Februar 2008 an die Dessauer Behörde. Deren Mitarbeiter liefen seit Längerem „durch die Republik und behaupten, wo überall Abgassysteme nicht funktionieren … oder die Kontrollen nicht ausreichen“. Nun solle sie endlich einen Untersuchungsplan vorlegen. Für Lahl wird damit „deutlich, dass ich der Treiber in dieser Sache war“. Die Akten zeigten klar, wie er und seine Abteilung „die Aufklärung voran bringen wollten“. Allerdings seien die Messprogramme damals nicht so konzipiert gewesen, „dass alle Unzulänglichkeiten der Abgastechnik und die Manipulationen bei VW erkannt werden konnten“.

Konflikt mit angesehenem Abgasexperten

Nicht so recht zur Rolle des Aufklärers passt Lahls Umgang mit einem hochrangigen Abgasexperten: Axel Friedrich, damals zuständiger Abteilungsleiter im Umweltbundesamt. International als kundiger Vorkämpfer gegen Autoemissionen geschätzt, bekam Friedrich im Umweltministerium öfter Gegenwind. Besonders heftig wurde der Ende 2007 in der Affäre um unwirksame Dieselrußfilter. Seine strengen Maßstäbe bei Messungen gingen den Ministerialen zu weit. Per Schreiben nach Dessau empörte sich auch Lahl über „die von Herrn Friedrich festgelegten Extrempunkte, die rechtlich unbeachtlich sind und keinerlei Repräsentativität aufweisen, die sich aber für populistische Beiträge eignen“. Obwohl er die Affäre aufgedeckt hatte, sollte der Experte als Sündenbock amtsintern versetzt werden. 2008 ging er vorzeitig in den Ruhestand, heute ficht er im Abgasskandal an der Seite der Deutschen Umwelthilfe, die ebenfalls seit Jahren auf die Missstände hinweist. Hätte man ihn damals nicht kalt gestellt, meinen Kritiker, wäre der Abgas-Betrug womöglich um Jahre früher aufgeklärt worden.

Mit harter Hand und rauem Umgangston

Friedrich sei damals „von niemandem gebremst worden“, sagt Lahl heute. Wer ihn kenne, wisse, „dass er nicht zu bremsen ist“. Doch der promovierte Chemiker sei nicht nur ein hervorragender Experte, sondern auch „ein schwieriger Mensch“: „Es gab Konflikte nicht nur mit mir.“ Tatsächlich hatte der „Abgaspapst“ stets seinen eigenen Kopf. Er sah sich weniger als Ausführer von Anweisungen, sondern berief sich gerne auf seinen Amtseid, Schaden von den Bürgern abzuwenden. In Lahl geriet er zudem an jemanden, der nicht minder als schwieriger Mensch gilt. Mit harter Hand und zuweilen rauem Umgangston regiert der Ministerialdirektor auch in Stuttgart; man kommt ihm besser nicht in die Quere. Zuletzt soll der Amtschef dafür gesorgt haben, dass die im Haus geschätzte Staatssekretärin Gisela Splett das Ressort verließ. Offiziell gibt es dazu keinen Kommentar.

Noch ist Lahl nichts als Zeuge für den Berliner U-Ausschuss benannt, doch er rechnet fest mit der Ladung. „Und ich werde natürlich zur Aufklärung beitragen.“ Die Kritik seines Ministers, der Bund hätte in der Abgasaffäre schon viel früher handeln müssen, bezieht er nicht auf sich: „Ich habe 2007 und 2008 sehr früh gehandelt.“