Mit StudiVZ lernte eine ganze Studentengeneration, sich selbst darzustellen. Jan Georg Plavec begab sich auf eine Reise in die eigene digitale Vergangenheit – und entdeckte das „neue“ StudiVZ.

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Stuttgart - Schnapsidee: Mal wieder bei StudiVZ reinschauen. Reportage aus der eigenen digitalen Vergangenheit schreiben. Dabei auf Leute stoßen, die trotz 1000 Facebook-Freunden nicht mehr in meinem eigenen digitalen Dunstkreis auftauchen. Schauen, ob meine Freundin mich wirklich wie neulich berichtet gegruschelt hat. Und dabei, wie sich zeigt, das „neue“ StudiVZ kennenlernen. Also, los geht’s.

 

Überraschung: Ich kenne meine StudiVZ-Logindaten tatsächlich noch. Beim ersten Anlauf (und nach einigen Sekunden Wartezeit) bin ich drin. Der Streifzug durch die eigene sozialmediale Vergangenheit beginnt mit einem Klick auf „Meine Seite“. Ich habe mich am 1. August 2006 angemeldet. Steht in meinem Profil, wo mich derjenige anblickt, der ich am 25. Februar 2010 digital sein wollte – an diesem Tag habe ich mein Profil laut StudiVZ zuletzt aktualisiert.

StudiVZ, deine Gruppen

Eine ganze Studentengeneration hat mit StudiVZ gelernt, sich selbst darzustellen. Neben den klassischen Angaben zu Lieblingsbüchern, -serien, -filmen und -zitaten waren damals die Gruppen neu, denen man sich öffentlich anschließen konnte. Etliche davon aus tatsächlichem Interesse – „Praktikanten in Brüssel“ (dort war ich 2007), „Eintracht Frankfurt“ (bin ich immer noch Anhänger von), vor der Festanstellung bei der StZ auch „Wir sind die Zeitung – freie Mitarbeiter an die Macht!“.

Die größere Zahl der Gruppen dient aber dazu, um zu zeigen, wie locker man wirklich ist. Bei den Kommilitoninnen war damals „Schminken wie russische BWL-Studentinnen“ überaus beliebt, wer Mitte der Nullerjahre Deutsch-Abi in Baden-Württemberg gemacht hat, erinnert sich vielleicht an „Effi und Crampas haben es wild in der Kutsche getrieben“. Ich bin unter anderem beigetreten der „Initiative für gesetzlich garantierten Mittagsschlaf“, den Gruppen „Wenn ich den See seh, brauch ich kein Meer mehr !“ sowie „David Hasselhoff is the real reason the berlin wall fell!“ Auch diese Gruppe soll hiermit gewürdigt werden:
 


Der nächste Klick geht auf meine Freundesliste. All die „gelöschten Personen“ tauchen da natürlich nicht auf, dafür aber der Ex-Kollege J., der hier noch unter seinem alten Nachnamen gelistet ist, außerdem der ehemalige Mitschüler D., dessen Profilbild ihn mit seiner Flamme Stand 24. April 2010 zeigt. Der StudiVZ-Freund mit dem aktuellsten Profil ist der (wenn ich mich recht erinnere) Fußballer F. aus meiner Heimatstadt, der sein Profil am 5. September 2012 auf den neusten Stand gebracht hat.

Schön auch: Gruppen mit Stuttgart-Bezug besuchen. Zum Beispiel „zwölfzehn – Dance to the music!“ Schon damals ein Studentenclub, in der Gruppe gelobt: man könne das Zwölfzehn „getrost als Schocken-Nachfolger“ verstehen. „Auf deutsch: Man kann richtig geil abspacken ...“ Dazu: Diskussionen über „Glatzen im Zwölfzehn“, Beschwerden über das Bier, das einem „Schädel“ macht oder über die Klimaanlage. Das mit dem Bier stimmt immer noch, die Klimaanlage ist inzwischen besser geworden.

Eine Funktion ist wirklich neu

Nicht nur ein längst vergangener Zustand der Welt ist im StudiVZ festgehalten, auch die Selbstbeschreibung des Netzwerks verharrt auf dem Stand vom November 2011. Da wird von 16 Millionen Nutzern berichtet, von mehr als 300 Mitarbeitern und dem inzwischen eingestellten Netzwerk SchülerVZ.

Heute liegt die Zahl der aktiven Nutzer angeblich bei einer Million. Der frühere Eigentümer Holtzbrinck hat die VZ-Netzwerke längst verkauft. Im Frühjahr 2014 hieß es in einem Blog-Eintrag des neuen Eigentümers Poolworks: „Wir haben [...] unser Entwicklerteam aufgestockt und setzen die Plattformen ab April komplett neu auf, um Euch endlich die gewohnten und voll funktionstüchtigen Websites zur Verfügung zu stellen.“

Was damit gemeint ist? Keine Antwort auf eine entsprechende Anfrage an die Pressestelle. Im Poolworks-Blog wird von erfolgreich behobenen Störungen berichtet – und von Neuerungen: etwa einem Onlineradio oder der „VZ 3D Welt“. Mal Reinklicken. Das Spiel erinnert an Sims (kennt das noch jemand?). Per Mausklick räumt mein „3D Avatar“ seine Wohnung auf, gießt Blumen oder setzt sich hin. Klick Klick Klick. Langweilig.

„Das neue StudiVZ“

Dann gehe ich den letzten Schritt dieser Digitalreportage in höchst eigener Sache und klicke auf „Das neue StudiVZ“. Erneut langer Ladebalken, dann: sieht nicht groß anders aus. Es gibt jetzt einen Newsfeed, aber der sagt mir nur „Bisher gibt’s noch nichts Neues.“ Stimmt genau.

Nee, stimmt nicht, es gibt doch was Neues: einen Hinweis auf die beliebtesten Gruppen im StudiVZ. Und die sind tatsächlich nicht Stand 2012, sondern von heute. „Der VZ Single-Treff“ hat mehr als 135.000 Mitglieder. Die VZ-Netzwerke als Flirtplattform? Hört sich nach einem speziellen Geschmack bei der Partnersuche an, „Spiegel Online“ hat sich zu dem Thema einige Geschichten von Nutzern erzählen lassen.

Auf so etwas habe ich keine Lust. Kurz vor dem Ausloggen sehe ich die Benachrichtigung, dass meine Freundin mich wie angekündigt gegruschelt hat. Gruscheln, schon das Wort ist schlimm! Aber ich will nicht so sein und gruschle zurück. Werde gefragt, ob ich wirklich zurückgruscheln will oder lieber „doch nicht“ klicken soll. Sage Ja. Und dann, doof: „Du hast Nina schon vorher gegruschelt. Sie muss Dein altes Gruscheln erst ausblenden, bevor Du sie erneut gruscheln kannst.“

Raus hier!